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Editorial

Von Petra Pau, erschienen in Clara, Ausgabe 38,

Auf ein Wort mit der Herausgeberin: Petra Pau

Liebe Leserinnen, liebe Leser,   das Datum war wohl eher zufällig gewählt: Am 11. November 2015 entschied der Bundestag über alle Fraktionen hinweg, erneut einen Untersuchungsausschuss zur NSU-Mordserie und dem damit verbundenen Staatsversagen einzusetzen. NSU ist das Kürzel von „Nationalsozialistischer Untergrund“. So nannte sich ein Nazi-Trio. Es war im Jahr 1998 untergetaucht. Auf sein Konto gehen zehn Morde, zwei Bombenanschläge und zahlreiche Banküberfälle. Am 4. November 2011 flog die Bande in Eisenach auf, nach knapp 13 Jahren. Bis dahin blieben sie unerkannt und folglich unbehelligt. So sagt es zumindest die offizielle Version von Bundesregierung und Behörden.    Eine Woche später, also auch an einem 11. November, wurden im Bundesamt für Verfassungsschutz die Schredder angeworfen und massenhaft Akten vernichtet. Angeblich aus Datenschutzgründen. Aber die Frage bleibt seither: Was war an den Papieren so brisant, dass dieser Zerstörungsskandal als das kleinere Übel angesehen wurde?   Und das ist nicht die einzige Frage, die nach dem ersten NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags der Jahre 2012 und 2013 offengeblieben war. Genau betrachtet gibt es keinen einzigen Tathergang, bei dem ich sagen könnte: Ja, so wie er erzählt wird, genau so muss es gewesen sein. Auch, dass Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe über so lange Zeit isoliert waren und als Trio allein gehandelt haben, ist wenig glaubhaft. Immerhin wissen wir aus den NSU-Verhandlungen vor dem Oberlandesgericht München, dass in ihrem Umfeld über 40 V-Leute agiert haben, also vom Staat gekaufte Nazi-Spitzel.    Zu alledem kommt eine höchst aktuelle Brisanz. Anfang der 1990er Jahre gab es bundesweit Anschläge, ja Pogrome gegen Asylbewerberinnen und -bewerber sowie Migrantinnen und Migranten. In dieser Zeit wurde das spätere NSU-Trio rechtsextrem sozialisiert und gewalttätig radikalisiert. Heute brennen wieder Heime, nahezu täglich. Niemand kann ausschließen, dass nicht längst wieder Rechtsterroristen unterwegs sind. Umso dringender muss das NSU-Desaster weiter aufgeklärt werden, auch im Bundestag.    In dieser Ausgabe analysiert clara die neue Welle rechter Gewalt in Deutschland und präsentiert zahlreiche Infografiken. Im Schwerpunkt werden zudem die Herausforderungen beleuchtet, mit denen das Land nicht erst seit der Ankunft der Flüchtlinge konfrontiert ist: In welchen Bereichen muss gehandelt werden, welche Aufgaben sind vordringlich und woher soll das Geld kommen, um die Flüchtlinge aufzunehmen und das Leben aller Menschen hierzulande besser zu machen.   Ausführlich kommen die neuen Vorsitzenden der Fraktion DIE LINKE, Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch, zu Wort, die von ihrem Start, ihren Zielen und Wünschen erzählen. Stéphanie Gibaud, eine ehemalige leitende Angestellte der Schweizer Bank UBS, erzählt, wie sie einen der größten Steuerskandale der jüngeren Geschichte an die Öffentlichkeit brachte. Und in der Gastkolumne erläutert Olaf Zimmermann, der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, welche Erfolge die Gegner von TTIP und CETA schon erzielt haben und warum der Widerstand gegen die Freihandelsabkommen aufrechterhalten werden muss.   Ich wünsche Ihnen eine kurzweilige und erkenntnisreiche Lektüre.   Petra Pau ist Mitglied der Fraktion DIE LINKE und Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags