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Editorial

Von Petra Sitte, erschienen in Clara, Ausgabe 31,

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

für uns Parlamentarier ist es eine Binsenweisheit, dass nationale Gesetzgebung zumeist von europäischen Richtlinien und Verordnungen vorbestimmt und eingerahmt wird. Die Realität unseres Alltags wird in diesem Gedanken jedoch nur unzureichend gespiegelt: der tägliche Kontakt mit unseren Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Parlament, der ständige Abgleich mit europäischem Recht und der zugehörigen Rechtsprechung, der intensive Austausch mit europäischen Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften.

Der politische Alltag ist europäisch geprägt. Die großen Herausforderungen, denen sich linke Politik stellen muss, sind es auch. Wer nur einen alten Witz abwandelt und sagt: »Die EU soll Probleme lösen, die man ohne die EU gar nicht hätte«, verkennt die ökonomische und gesellschaftliche Realität. Unsere Gesellschaft ist in vielfältiger Weise international vernetzt – insbesondere mit anderen europäischen Ländern von Bulgarien bis Schweden. Große Unternehmen sind nicht mehr national organisiert, Banken nicht, Warenströme nicht. Demzufolge brauchen die daraus resultierenden Probleme für Umwelt und Gesellschaft auch nicht nationale, sondern internationale Lösungen. Die seit dem Jahr 2008 andauernde Wirtschaftskrise, die so verheerende Folgen zeitigt, hat ihre Ursache in der Ungleichverteilung von Vermögen und Einkommen und ist eine Krise der Banken und der zu Tode gesparten Staaten. Sie betrifft alle Menschen in Europa – auch uns in Deutschland. Denn es ist nicht zuletzt die Politik von Niedriglöhnen, Marktliberalisierung und Dumpingsteuern, die Deutschlands wirtschaftliche Ungleichgewichte nach innen und außen verstärkte und nun auch den anderen europäischen Ländern als Patentrezept zur Stärkung ihrer »Wettbewerbsfähigkeit« verordnet werden soll. Wer die Demokratie wieder auf Augenhöhe mit der Dynamik einer globalisierten Wirtschaft bringen will, muss eine international und auch eine europäisch geprägte Politik machen. Vorschläge dafür stellen Sahra Wagenknecht, Diether Dehm und andere in dieser Ausgabe der clara vor.

Parallel zur internationalen Dimension steigt die Bedeutung der Kommunen. So sind es etwa Großstädte wie Warschau, Berlin oder Paris, in denen die Chancen, aber auch die Probleme einer zusammenwachsenden Welt besonders sichtbar werden. Aber auch in jedem Landkreis ist der Syrienkonflikt plötzlich zum Greifen nah, wenn die Bürgerkriegsflüchtlinge untergebracht werden müssen. In den Kommunen wird unsere unmittelbare Lebenswelt demokratisch gestaltet. Für viele Menschen ist Politik hier besonders fassbar, weil die Probleme vor der eigenen Haustür liegen und der Draht zu den politisch Verantwortlichen oft kürzer ist. Kitas, Schulen, Energie- und Wasserversorgung oder auch der öffentliche Nahverkehr – all diese lebenswichtigen Bereiche werden zwar in der »großen Politik« geregelt, aber in den Kommunen »gemacht«. Für viele Abgeordnete unserer Fraktion ist kommunalpolitische Arbeit eine Möglichkeit, ihr Engagement im Bundestag zu »erden« und vor Ort zu erfahren, wo der Schuh drückt. In clara berichten einige von ihnen über ihr Engagement für Kommunen, darunter Kerstin Kassner, Katrin Kunert, Richard Pitterle und Sigrid Hupach.

Ich wünsche Ihnen eine kurzweilige und erkenntnisreiche Lektüre der clara

Petra Sitte, 1. Parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion DIE LINKE