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Drummer mit politischer Heimat

erschienen in Clara, Ausgabe 7,

Florian Moritz, Referent für Wirtschaftspolitik in der Fraktion DIE LINKE, hat zwei Leidenschaften - Politik und Musik. Die Stelle im Bundestag ist die erste

in seinem Berufsleben. Seine Entscheidung hat er bislang keinen Tag bereut.

Große politische Ereignisse hat Florian Moritz oft im Ausland miterlebt: Bei der Bundestagswahl 2005, als die Linkspartei ins Parlament gewählt wurde, füllte er seinen Wahlschein in der deutschen Botschaft in Costa Rica aus. Das Ende der Kohl-Ära 1998 hat er an den Ausläufern des Himalajas live miterlebt. In Indien leistete er sich mit einem Freund ein »teures« Hotelzimmer für fünf D-Mark, um im Satellitenfernsehen die Hochrechnungen der Bundestagswahl sehen zu können. Den Wechsel zur Rot-Grün-Koalition feierte er mit indischem Schnaps, den er in einem kleinen Laden anschreiben lassen musste. Die Hoffnungen des angehenden Journalistikstudenten auf einen Politikwechsel sollten sich später nicht erfüllen. Doch seine Überzeugung, dass eine andere Welt möglich und eine bessere Politik machbar ist, blieb bestehen.

Florian war gerade 20 Jahre alt, als er zu einer langen Studienreise durch Asien, Südamerika und die USA aufbrach. Abenteuerlust und Neugier auf andere Kulturen, die Frage, wie tägliche Probleme in anderen Ländern gelöst werden - das war der Antrieb, für die elf Monate Auszeit von Deutschland. »Wenn ich erzählt habe, dass ich aus Deutschland komme, wurde ich in den meisten Länden, von Indien und Lateinamerika bis zu den USA, vor allem auf deutsche Autos oder Fußball angesprochen«, erzählt Florian heute. »Nur in China wurde ich damals regelmäßig gefragt: ›Ach, aus Deutschland kommst du - dann kennst du doch bestimmt Karl Marx.‹ Das war vor knapp zehn Jahren, heute wird man in China bestimmt auch eher auf Autos angesprochen.« Der Blick von außen schärfe Sicht und Sinne, sagt er. Und dass er auf Reisen vor allen Dingen eines gelernt habe: Gelassenheit.

Seine Eltern haben den Darmstädter politisch sehr geprägt. Schon früh nahmen sie ihn auf Demos mit: Als Fünfjähriger gegen den Ausbau der Startbahn West am Frankfurter Flughafen, wo er hautnah Einsätze von Wasserwerfern durch die Polizei erlebte. Später ging die Familie zu den Ostermärschen.

Vom Glück, bei Ikonen lernen zu dürfen

Nach einer dreijährigen Ausbildung an der Kölner Journalistenschule für Politik und Wirtschaft kam Florian mit einem Vordiplom in Volkswirtschaftslehre in der Tasche 2002 von der Uni Köln nach Berlin. Er schrieb sich am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität ein, das bekannt für seine linke Vergangenheit war. Er habe noch großes Glück gehabt, Dozenten wie Elmar Altvater, Professor für Politische Ökonomie, Kapitalismuskritiker und ein Marxist, der bis heute als Ikone gilt, erleben zu dürfen, sagt Florian heute. Er fing an, sich beim globalisierungskritischen Netzwerk Attac zu engagieren, fuhr zu Konferenzen, Sozialforen und zu Protesten gegen die G8-Treffen. Ein Praktikum bei der Gewerkschaft ver.di weckte sein Interesse an alternativer Wirtschaftspolitik. Er beschäftigte sich verstärkt mit Konzepten der sogenannten Memorandum-Gruppe, die jedes Jahr ein alternatives Wirtschaftsgutachten veröffentlicht. Darin werden Ansätze vertreten, die von der orthodoxen Lehre, wie sie in Deutschland an den meisten wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten herrscht, abweichen. Beispielsweise wird der Stärkung der Binnennachfrage dort ein größerer Wert beigemessen als in der neoliberalen Theorie, die davon ausgeht, man müsse nur die Löhne und Steuern senken und die Angebotsbedingungen für Unternehmen verbessern, um Arbeitsplätze zu schaffen. »Mir wurde schnell klar, dass die alternativen Vorschläge nicht nur irgendwie sozial gerecht sind«, sagt Florian, »sondern einfach logisch. Sie bilden die Realität viel besser ab als die neoklassische Ökonomie, wie sie auch die Uni Köln lehrte.« Er schätzt unvoreingenommene Analysen. Der Kopf muss klar sein: Wo ist das Problem und wie ist das Ziel. So hielt er es früher als studentischer Mitarbeiter im Forschungsprojekt »Global Governance und Klimawandel« und so hält er es noch heute. Diese Arbeitsweise scheint ihm genutzt zu haben. Für seine Diplomarbeit bekam er ein Sehr gut. Dann zog es ihn wieder ins Ausland an die Basis globaler Wirtschaftspolitik.

Blick von außen schärft den Geist

Für 10 Wochen arbeitete Florian in Costa Rica für die Gewerkschaft von Bananenplantagen-Arbeitern SITRAP: »Das war eine kleine, aber sehr kämpferische Gewerkschaft«, erzählt er. »Jeden Tag ist einer der wenigen Hauptamtlichen mit dem Moped auf die Plantagen gefahren, um Mitglieder für die Gewerkschaften zu werben.« In Costa Rica ist das gefährlich. Gewerkschafter werden bedroht, Mitglieder von Unternehmen unter Druck gesetzt, mit Geld bestochen oder auch gefeuert. Die Arbeitsbedingungen auf den Bananenplantagen sind katastrophal. Das Engagement, der kleinen, völlig unterfinanzierten Truppe, für die Arbeiter- und Menschenrechte in Costa Rica hat den jungen Mann aus Deutschland sehr beeindruckt. Und die Tatsache, dass sie trotz des täglichen Frustes mit Spaß und Motivation ihre Arbeit machten, ebenfalls.
Als er aus Südamerika zurückkam, spürte er auch hier in Deutschland neue Aufbruchstimmung für gesellschaftliche Veränderungen. DIE LINKE war als neue Kraft in den Bundestag eingezogen. Er bewarb sich als wirtschaftspolitischer Referent und wurde prompt angenommen: »Wer kann schon von sich sagen, mein allererster Job als Festangestellter ist im Bundestag, bei den LINKEN!« Wenn er von seiner Arbeit erzählt, klingt es, als sei das die normalste Sache der Welt. Mit Anfang dreißig muss das wohl auch so sein. »Ich kann hier hundertprozentig hinter meiner Arbeit stehen. Ich weiß genau, dass unsere Konzepte richtig und machbar sind«, sagt er bestimmt. Punktum, Zweifel ausgeschlossen.
Kritik an politischer Kultur im Bundestag
Es ärgert ihn, wenn
alternative Vorschläge und parlamentarische Gesetzes-anträge der LINKEN ohne Argument als unfinanzierbar und populistisch abgetan werden. Florian erlebt
hautnah Debatten im Ausschuss für Wirtschaft und Technologie des Bundestags und ist oft frustriert, in welchem Ausmaß, Wirtschaftlobbyisten die Politik und damit demokratische Spielregeln in die Zange nehmen. Er regt sich darüber auf, dass im Parlament oft nicht die Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen oberste Priorität hat, sondern eine reibungslose Verwaltung. »Man hat das Gefühl, die meisten in anderen Parteien wollen gar nichts verändern, sondern einfach weitermachen wie bisher. Das muss und das wird sich ändern«, sagt er.
Irgendwann würde er gerne noch promovieren, zu Finanzmärkten oder alternativer Innovationspolitik vielleicht. Vor zwei Jahren zog er mit seiner Freundin zusammen und fühlt sich langsam auch reif für eine Familie. Und dann ist da noch seine Musik: Seit vier Jahren spielt er Schlagzeug in der Countryband »Sweetheart of the Rodeo«, was ihm sehr viel Spaß macht. »Allerdings sollten wir mal mehr proben, sonst wird das wohl nichts mehr mit einer goldenen Schallplatte.«
Im Moment hat Politik Vorrang in seinem Leben. »Rot-Grün, Rot-Schwarz - je schlechter die herrschende Politik wird, desto mehr motiviert mich das«, sagt er. Und immer wenn eine neue Ungerechtigkeit aufgedeckt wird, bestätigt ihn das: »Ich weiß dann immer genau, dass ich für die richtigen Leute arbeite.«