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Drogenpolitik neu denken: Prävention und Hilfe statt Strafverfolgung

Von Frank Tempel,

Liebe Leserin, lieber Leser,

die derzeitige nationale und internationale Drogenpolitik versucht, durch Verbote und Verfolgung die drogenbezogenen Probleme von Kriminalität bis hin zu Todesfällen einzudämmen. Dieses Ziel wurde in den fast einhundert Jahren Repressionspolitik weit verfehlt. Daher müssen wir endlich offen und ohne Vorurteile über neue Wege in der Drogenpolitik nachdenken. Eine moderne Drogenpolitik muss einen vernünftigen gesellschaftlichen Umgang mit Drogen fördern, gesundheitliche und soziale Probleme von Konsumierenden minimieren und die organisierte Kriminalität effektiv bekämpfen. Sie bleibt nicht bei der Frage »Verbot oder Legalisierung?« stehen, sondern sucht eine ausgewogene und ideologiefreie Regulierung und stellt die Menschen, nicht die Drogen, in den Mittelpunkt.

Der Gebrauch von Drogen ist nicht zuletzt ein Spiegel der Gesellschaft. Wachsende Anforderungen – beispielsweise in der Erwerbsarbeit, Ausbildung oder durch Arbeitslosigkeit – verführen zu Realitätsflucht oder zwingen zu Leistungssteigerung. Wirksame Drogenprävention ist daher Teil einer Politik, die für menschliche und gerechte Lebensbedingungen sorgt, die persönlichen Ressourcen stärkt und es den Menschen ermöglicht, selbstbestimmt ihr Leben zu gestalten.

Ich möchte Sie über unsere Ansätze für eine fortschrittliche Drogenpolitik, insbesondere hinsichtlich heute illegaler Substanzen, informieren.

Mit solidarischen Grüßen

Frank Tempel, Drogenpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE.

 

Aus Fehlern lernen

Jährlich werden bis zu 6,2 Milliarden Euro an Steuermitteln für die »Drogenbekämpfung« ausgegeben, der größte Teil davon für Strafverfolgung und -vollzug. Etwa 30 Prozent der Gefängnisinsassinnen und -insassen sind wegen drogenbezogener Delikte inhaftiert. Die Bundesregierung betreibt mit ihrer Politik konsequent Realitätsverleugnung. Diese Milliarden haben nicht zu einem Rückgang des Drogenkonsums geführt.

Nicht nur Konsumentenverbände, sondern auch zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft, Drogenhilfe, Polizei, Justiz und Medizin fordern einen Neuanfang in der Drogenpolitik. In verschiedenen Ländern, die einen liberalen Weg in der Drogenpolitik gegangen sind, hat sich der Konsum entgegen allen Befürchtungen nicht erhöht. Stattdessen sind die drogenbezogenen Probleme wie Todesfälle durch Überdosierung, Infektionen mit HIV und Hepatitisviren und Beschaffungskriminalität teils drastisch gesunken. Cannabis ist die einzige illegale Substanz, die in Deutschland eine gewisse Entkriminalisierung erfahren hat. Bemerkenswert dabei ist, dass in Deutschland gerade der Cannabiskonsum einen deutlichen Abwärtstrend zeigt. Die benachbarten Niederlande, wo Handel und Besitz von Cannabis nicht bestraft werden, verzeichnen eine ähnliche Entwicklung und eine etwa gleichhohe Konsumrate.

 

Der Drogenkrieg hilft vor allem der Mafia

Der »Krieg gegen Drogen« führt in vielen Teilen der Welt zu humanitären Katastrophen. Allein in Mexiko sind seit 2006 etwa 80 000 Menschen Opfer des Drogenkrieges geworden, während mexikanische Drogenbosse laut Forbes-Magazin zu den reichsten Menschen der Welt zählen. Der Drogenkrieg trifft nicht die Drogenmafia und reduziert auch nicht den Verbrauch. Mit der Verweigerung der deutschen Regierung, die Verbotspolitik zu überdenken, trägt sie eine Mitschuld an dieser Entwicklung. Mehr noch: Unter dem von der deutschen Armee gestützten Regime in Afghanistan werden rund 80 Prozent der weltweiten Opiummenge produziert. Die Anbaufläche für Schlafmohn hat in Afghanistan im Jahr 2014 einen neuen Rekordstand erreicht. Ein erheblicher Teil der drogenbezogenen Probleme ist vor allem Folge der Illegalität: Die organisierte Kriminalität in aller Welt finanziert sich über den Drogenhandel. Gestreckte oder verunreinigte Drogen stellen eine erhebliche zusätzliche Gesundheitsgefahr für Konsumierende dar. Abhängige werden zum Spielball der Drogenmafia und Beschaffungskriminalität und -prostitution sind die Folgen.

Der Schwarzmarkt wird überschwemmt von neuen, unbekannten Drogen, um die Verbote zu umgehen. Die Kriminalisierung der Konsumierenden verhindert eine effektive Aufklärungsarbeit. Fazit: Das Verbot der Substanzen selbst verhindert den Kampf gegen die organisierte Drogenkriminalität und den Versuch, das gesundheitliche Risiko für Konsumierende zu reduzieren.

 

Eine akzeptierende Drogenpolitik ist längst überfällig

Die Politik muss akzeptieren, dass Menschen legale und illegale Drogen konsumieren und durch Verbote davon nicht abzubringen sind. Sie muss negative Auswirkungen des Repressionsansatzes zur Kenntnis nehmen und sie darf Konsumierende nicht moralisch verurteilen.

In diesem Sinne wollen wir in einem ersten Schritt Konsumierende illegaler Drogen entkriminalisieren. Langfristig benötigen wir in Deutschland einen kontrollierten und nichtkommerziellen Vertriebsund Abgabeweg für heute illegale Drogen. Ein Verbot von Drogen kann nicht mehr begründet werden, wenn damit ein für Menschen und für die Gesellschaft so enormer Schaden ausgeht, während sich kaum Erfolge nachweisen lassen. Die Vermarktung von Cannabis und anderen Drogen, die vor allem eine Umsatzsteigerung zum Ziel hat, lehnen wir dagegen ab. Die Gesetze von Angebot und Nachfrage taugen nicht für die Regulierung von Suchtstoffen, das hat die Entwicklung bei Alkohol und Tabak hinreichend bewiesen.

Cannabis ist nicht schädlicher als zum Beispiel Alkohol. Die momentane Gleichstellung mit Substanzen wie Heroin oder Crystal ist überholt. Wir wollen den Anbau von Cannabis zum eigenen Bedarf erlauben. Dadurch können sich Konsumierende auch vor Verunreinigungen und gefährlichen Streckmitteln schützen. Dieser Eigenanbau soll auch an fachkundige Personen delegiert werden können (sogenannte Cannabis-Clubs). Der Gebrauch von Cannabis als Medizin muss für alle gesicherten Anwendungsgebiete ermöglicht und von den Krankenkassen finanziert werden. Der kontrollierte Anbau von Cannabis zur Herstellung von Arzneimitteln muss auch in Deutschland erlaubt werden.

Menschen, die sich mit oder ohne Verbot entschieden haben, Drogen zu konsumieren, sollten nicht im Stich gelassen werden. Abhängige sind in erster Linie kranke Menschen, die Hilfe benötigen und diese in der Regel auch wollen. Therapieangebote müssen intensiviert und Möglichkeiten zur Substitution (Therapie mit Ersatzstoffen) verbessert und ausgeweitet werden. Auch Abhängige, denen es nicht gelingt, sich von ihrer Sucht zu lösen, haben ein Recht auf Teilhabe und ein menschenwürdiges Leben. Für die behandelnden Ärztinnen und Ärzte wollen wir endlich Rechtssicherheit herstellen.

Wir befürworten alle Projekte, die das Risiko des Drogenkonsums verringern. Das Testen von Drogen auf ihre Qualität (Drug-Checking) verringert unbeabsichtigte gesundheitliche Gefahren und erreicht neue Gruppen für die Präventionsarbeit. Zahlreiche internationale Projekte beweisen, dass sich der Konsum durch das Testen nicht erhöht. Es hat sich aber gezeigt, dass sich Menschen, die dieses Angebot in Anspruch nehmen, risikobewusster verhalten. Wir wollen weniger Ideologie, mehr Realismus und auch mehr Menschlichkeit in der Drogenpolitik. Nicht zuletzt brauchen wir mehr Toleranz für Menschen, die einen maßvollen Genuss von Drogen als Bereicherung betrachten.