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Die Zukunft hat begonnen - aber wie wird sie aussehen?

erschienen in Clara, Ausgabe 13,

Gespräch mit dem Vorsitzenden der Fraktion DIE LINKE Gregor Gysi

Krise herrscht, und erneut stellt sich
die Frage, welche Gesellschaftsordnung in der Lage ist, die grundlegenden Probleme der Menschheit zu lösen?

Gregor Gysi: Der Kapitalismus erzeugt Interessen, die existenzgefährdend für die Menschheit sind. Er verfügt andererseits auch über äußerst effiziente Strukturen. Will man einen demokratischen Sozialismus, braucht es eine Antwort, wie man die effizienten Strukturen retten und die destruktiven überwinden kann.

Nenn ein Beispiel.

Der Markt sorgt in einer Wohlstandsgesellschaft dafür, dass die Menschen mehr ökologische Produkte kaufen. Aber er kann nicht dafür sorgen, dass die ökologischen Produkte auch ökoklogisch produziert werden. Das kann man nur mit juristischen Gesetzen versuchen. Die aber verlieren regelmäßig, wenn sie ökonomischen Interessen entgegenstehen.

Regelmäßig?

Ja. Auch in der DDR war das so. Man bräuchte einen gewaltigen Kontrollapparat, um die Einhaltung derartiger Gesetze zu garantieren. Dieser Aufwand wäre unverhältnismäßig groß.

Das klingt fatalistisch.

Von Marx kann man lernen, dass Interessen nicht beschlossen werden können. Sie sind da. Und die Aufgabe des Gesetzgebers besteht darin, bestimmte Interessen durchzusetzen und andere zu verletzen. Bestimmte Aufgaben kann der Kapitalismus nicht lösen, und daran wird er scheitern.

Bis jetzt ist er noch nicht
daran gescheitert.

Zum Kapitalismus gehört ein ungeheurer Grad an Ungerechtigkeit. Diejenigen, die alle Werte schaffen, sind am Ergebnis am wenigsten beteiligt. Den Eigentümern der Produktionsmittel fließen die Gewinne zu. Zugleich verarmen viele Länder der sogenannten Dritten Welt immer mehr.

Das erschüttert den Kapitalismus bislang aber nicht in seinen Grundfesten.

Tja, es gibt ja auf der anderen Seite diese beachtliche Effizienz des Systems, Strukturen, die zu großen Leistungen führen.Die muss man selbstverständlich übernehmen. Und deshalb ist es klug, von einem Transformationsprozess auszugehen.

Nenn ein Beispiel.

Es geht um Interessenausgleich. Wenn staatliches Geld in ein größeres Unternehmen fließt, kann und sollte die Belegschaft an dem Unternehmen beteiligt werden.

Was stünde denn am Ende eines
solchen Transformationsprozesses ein reformierter Kapitalismus?

Es ist doch ein Irrtum zu glauben, der Markt ist kapitalistisch. Den Markt gab es schon vor dem Kapitalismus. Er hat seinen Platz in bestimmten Bereichen und seine Notwendigkeit. Ich möchte auch gerne mehrere Bäckermeister haben, die in Konkurrenz stehen. Das senkt die Preise und erhöht die Qualität.

Dies aus dem Munde eines demokratischen Sozialisten…

Es gibt aber auch Bereiche, da hat der Markt nichts zu suchen. In der öffentlichen Daseinsvorsorge zum Beispiel. Ein Krankenhaus soll sich nicht rechnen müssen, sondern die beste medizinische Betreuung und Versorgung gewährleisten.

Ist eine Gesellschaft denkbar, in der so klug differenziert wird?

Ja, und ich hoffe, wir sind die Partei, die jetzt schon am besten differenziert: Öffentliche Daseinsfürsorge gehört in Öffentliche Hand, Privatwirtschaft
kann und muss es auch geben.

Und die Banken?

Die Banken und Monopole müssten verstaatlicht werden. Und - solange es sie noch gibt - die Rüstung ebenso. Man darf nicht mehr am Krieg verdienen.

Dies alles setzt ein Primat der Politik gegenüber der Wirtschaft voraus. Du, deine Partei fordern dies. Klingt illusorisch.

Es braucht das Primat der Politik über die Wirtschaft und das Primat der Realwirtschaft über die Finanzwirtschaft. Mir hat letztens ein Konzernchef gesagt, früher sei bei ihm der Wert der Aktie der Tagesordnungspunkt zehn gewesen. Heute stünde das immer an erster Stelle. Demokratie gibt es nicht in der Wirtschaft, sondern in der Politik. Und wenn die Politik an Bedeutung verliert, wird auch Demokratie abgebaut. Es gibt eine Gemeinsamkeit zwischen Frau Merkel und mir, die darin besteht, dass wir beide bei den Energiepreisen nichts zu entscheiden haben.Sie will das, ich aber nicht.

Die Politik ist doch nicht Retterin aus der Krise, sondern Mitverursacherin.

Ja, aber eine Politik kann abgewählt werden. Das ist der Unterschied. Die Chefs der Banken stehen nicht zur Wahl. Wenn die Politik mehr zu entscheiden hat, wissen die Menschen auch, dass ihre Wahlentscheidung größeren Einfluss darauf haben wird, wie sie leben.

Manche behaupten, es ginge den Menschen hier noch zu gut. Deshalb sind die Massen nicht mobilisert. Ihr fordert dazu noch einen Schutzschirm für Menschen, nicht für Banken. Unter solchem Schutzschirm merkt dann niemand, dass draußen die Welt untergeht.

Ich bin nicht in die Politik gegangen, um zu hoffen oder zu sagen, den Menschen muss es noch schlechter gehen, damit sie sich bewegen. Ich will, dass es ihnen gut geht. Ich fühle mich wohler, wenn ich nicht von Armut umgeben bin. Punkt. Und ich finde auch, dass man über Alternativen zur bestehenden Gesellschaft nachdenken kann und muss und trotzdem den Leuten hier das Leben so anständig
wie möglich organisieren sollte.

Schwere Zeiten auch für Außenpolitiker, wenn die Probleme zu Hause so groß sind. DIE LINKE schreibt »Raus aus Afghanistan« in ihre Programme. Interessiert das jemanden?

Ja. Und wir werden auch nicht aufhören, solche Forderungen zu stellen. Wir wollen, dass weltweit und in Europa auf Abrüstung gesetzt wird. Wir wollen, dass jede Intervention beendet und künftig unterlassen wird. Es muss das Recht auf Selbstverteidigung geben. Ein Recht auf Krieg gibt es nicht. Und auch die Krise kann man doch nicht nur national betrachten. Wir fordern Kontrolle der internationalen Finanzmärkte. Das ist nicht lebensfern, sondern ganz nah an allen Problemen, die uns hier in Deutschland betreffen.

Wo ist eigentlich bei all dem der Kommunismus geblieben? Als Begriff, als Idee?

Man kann die Bedeutung von Begriffen nicht selbst bestimmen. In meiner Kindheit, Jugend und später war der Begriff Kommunismus ein edler. Aber ich kann mich nicht über andere geltende Deutungen hinwegsetzen. Das muss man auch lernen in der Politik, wenn man Menschen erreichen will. Der Begriff Sozialismus ist in der BRD bei weitem weniger verpönt.

Sind denn Parteien als Konstrukt überhaupt noch modern genug und in der Lage, Probleme so zu lösen und Herausforderungen so zu bewältigen, dass es am Ende nicht schlimmer, sondern besser ist?

Parteien haben definitiv ihre Schwächen. Aber mir ist noch nichts Besseres eingefallen. Unser System hat den Nachteil, dass im Kern die Parteien entscheiden, wer in den Bundestag kommt. Sie tun dies über ihre Listen. Da dies so ist, muss man sich der Partei gegenüber auch diszipliniert verhalten. Ich fände ein Dreistimmensystem gut. Ich wähle mit der Erststimme die Direktkandidatin oder den Direktkandidaten, mit der Zweitstimme kreuze ich die Liste einer Partei an, und dann mache ich auf der Liste der Partei drei Kreuze und bestimme mit, wer von der Partei einzieht.

Drei Kreuze, klingt gut.

Ja, da kann es passieren, dass eine Partei jemanden auf einen aussichtslosen Listenplatz gesetzt hat, und der kriegt so viele Kreuze von den Wählerinnen und Wählern, dass er doch in den
Bundestag einzieht.

Das wird der Partei nicht gefallen.

Es verlangt mehr Nähe zu den Bürgerinnen und Bürgern. Das muss den Parteien gefallen, weil es dringend notwendig ist, diese Nähe herzustellen.

Welches Interesse hast du, hat deine Partei. Was ist ihr größtes Begehr?

Eine Partei links von der Sozialdemokratie zu sein, die sich dauerhaft und stark in Deutschland etabliert. Das wird uns gelingen. Und wenn es uns gelungen ist, können wir sagen: Dies hätte es ohne den Osten nicht gegeben. Wenn das nichts ist! Tja, und dann kommt noch mehr.

Das Interview führte Hannah Hoffmann.