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Die ungezählten Obdachlosen

erschienen in Clara, Ausgabe 24,

In Deutschland werden Millionäre und Bienenvölker gezählt, aber keiner kann sagen, wie viele Menschen bundesweit von Obdachlosigkeit betroffen sind. DIE LINKE setzt sich für eine bundesweite Wohnungsnotfallstatistik ein.

Die Prognose ist düster und eine Schätzung zugleich: Bis zum Jahr 2015 wird die Zahl der Menschen ohne eigene Unterkunft um bis zu 15 Prozent steigen, auf 270 000 bis 280 000 Menschen. Thomas Specht, Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe, nennt dafür die komplexen Gründe: Die Mietpreise ziehen an, vor allem in Ballungsgebieten. Etliche Kommunen verkaufen die eigenen Wohnungsbaubestände an private Investoren. Angesichts von Langzeitarbeitslosigkeit und des wachsenden Niedriglohnsektors ohne Mindestlohn verarmen die unteren Einkommensgruppen. Auch die sozialpolitischen Fehlentscheidungen in Bezug auf die Hartz-IV-Sanktionierung bei den Kosten der Unterkunft bei jungen Erwachsenen unter 25 Jahren, die unzureichende Anhebung des Hartz-IV-Regelsatzes und die Deckelung der Kosten für Un-terkunft und Heizung führen immer schneller und häufiger zum Rausschmiss aus den eigenen vier Wänden.

Mehr noch: Der Bund kürzte in diesem Jahr erneut die Mittel für die Städtebauförderung. Das bedeutet das faktische Aus für das Programm »Soziale Stadt«, das sozial-integrative Projekte finanzieren sollte. Die Ursachen für steigende Wohnungslosigkeit liegen also in der verfehlten Sozial- und Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung und in einer kommunenfeindlichen Bundespolitik.


Die Größe des Problems Obdach- und Wohnungslosigkeit ist lediglich abschätzbar. Bereits vor zwei Jahren stellte die Fraktion DIE LINKE einen ersten Antrag auf eine bundesweite, auf einheitlichen Kriterien basierende Pflichtstatistik zur Obdach- und Wohnungslosigkeit. Der Antrag scheiterte damals – weder Union und FDP noch SPD und Grüne stimmten zu. Immerhin aber wurde die Öffentlichkeit alarmiert und sensibilisiert. Auch dafür, dass Wohnungslosigkeit nach und nach ein neues Gesicht bekommt: Sie ist weiblicher geworden, Frauen unter 25 Jahren und besonders Alleinerziehende zählen immer häufiger zu den Wohnungslosen oder sind von Obdachlosigkeit bedroht. Ein Phänomen, das sich im Moment nicht einmal die Experten selbst erklären können.

Es ist also Zeit zu handeln, sagt die Fraktion DIE LINKE. Noch vor der Sommerpause plant sie einen neuen Anlauf zur »Einführung einer bundesweiten Wohnungsnotfallstatistik«. Heidrun Bluhm, bau- und wohnungspolitische Sprecherin, und Katrin Kunert, kommunalpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, haben dabei das Modell Nordrhein-Westfalen vor Augen. Dort gibt es Erhebungen zur Wohnungslosigkeit, deren Ergebnisse in den Armuts- und Reichtumsbericht einfließen. Und es gibt dort Aktionsprogramme, um einerseits Obdachlosigkeit abzubauen und sie andererseits rechtzeitig zu verhindern. Im Bund fehlt der politische Wille dazu. »Noch fehlt er«, sagt Katrin Kunert, »aber gemeinsam kann man Druck machen.«

Gisela Zimmer