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»Die Revolution ist großartig, alles andere ist Quark!«

erschienen in Lotta, Ausgabe 1,

Aber: Was ist eine Revolution? Und haben alle Menschen die gleichen Vorstellungen? Die Umwälzungen in der arabischen Gesellschaft, die Anfang Februar letzten Jahres als friedliche Revolution begonnen hatten und als »Arabischer Frühling« überall auf der Welt Hoffnungen schürten, standen viele Monate im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Viele Frauen: Arbeiterinnen wie Alleinerziehende, waren unter den Protestierenden. Sie hatten noch keine genaue Vorstellung, wie eine Demokratie aussieht, wollten aber aus ihrer Unsichtbarkeit heraustreten und für mehr Teilhabemöglichkeiten, weniger Korruption und bessere Arbeitsbedingungen kämpfen. Frauen marschierten ganz vorn und ihre Lieder wurden zu Hymnen der Revolution. Ein Jahr danach haben sie – ebenso wie viele Frauen in anderen Ländern, in denen Menschen rebellieren – Angst, einmal Erreichtes könnte zurückgedreht werden.

Die Abgewerteten

Auch an vielen anderen Orten der Welt gingen die Proteste der letzten Monate um politische Mitsprache und um eine andere gesellschaftliche und wirtschaftliche Machtverteilung. Protestbewegungen besetzten Hunderte von Plätzen. Ohne Zweifel ist die Krise in Europa nicht nur eine Finanzkrise, sondern auch eine Krise der repräsentativen Demokratie. Die Geschichte hat gezeigt, dass die Befreiung eines Landes nicht auch automatisch zur Befreiung der Frauen führen wird, wenn sie sich nicht zur Wehr setzen. Der Erfolg der revolutionären Prozesse wird von dem Platz abhängen, den die Frauen einnehmen.
Auch in der DDR waren viele Frauen an der »friedlichen Revolution« beteiligt. Ein Blick auf die Papiere aus der Zeit der Runden Tische zeigt den Stellenwert der »Frauenfrage« im Prozess der Vereinigung. Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) hatte in einer Fernsehansprache am 1. Juli 1990 »blühende Landschaften, in denen es sich zu le­ben und zu arbeiten lohnt« versprochen. Für die Ost-Frauen waren Abwicklung, Abwertung ihrer Ausbildungsabschlüsse und ihrer »Erwerbsneigung«, Frühverrentung und Erwerbslogigkeit eher bittere Pillen.
22 Jahre nach der Wende nehmen Unsicherheit, Armut, Einkommensunterschiede, Niedriglohnsektor, Gratisarbeit und prekäre Beschäftigungsverhältnisse in der gesamten Bundesrepublik weiterhin zu. Der prekäre Beschäftigungssektor hat sich in wenigen Jahren von einer Randerscheinung zu einem bedeutenden Bereich ausgeweitet. 70 Prozent der »Prekären« sind Frauen. Sie arbeiten im Privathaushalt, aber auch in fast allen öffentlichen Bereichen, ganz besonders oft als Verkäuferinnen, Büroangestellte und Friseurinnen, viele sind Migrantinnen. Auch Wissenschaftlerinnen und andere gut ausgebildete Frauen müssen mit kurzfristigen Arbeitsverträgen oder als »Soloselbstständige« von der Hand in den Mund leben.

Die Unvollendete

Die derzeitige Wirtschafts- und Finanzkrise hat eindeutig dazu beigetragen, dass Flexibilität als wichtiges Instrument angesehen wird, mit dessen Hilfe Arbeitgeber auf die sich wandelnden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen reagieren können. Vor allem Frauen tragen die Folgen, denn sie werden als »Zuverdienerinnen« angesehen, wenn dieses Modell auch längst verstaubt ist. Prekäre Arbeit hat Auswirkungen auf die gesamten Lebensbedingungen. Nicht selten ist Altersarmut die Folge. Die »Wiederkehr der sozialen Ungleichheit« (Robert Castel) ist auch eine Wiederkehr der geschlechtsspezifischen Ungleichheit.
Es gäbe auch bei uns genügend Anlässe zur Empörung. Attac- und     Occupy-Aktivisten und aufgebrachte BürgerInnen protestieren, weil sie sich mit ihren Anliegen nicht ernstgenommen fühlen. Die Frauenbewegung scheint noch immer mit ihrer »Atempause« (Ute Gerhard) beschäftigt. Eine weltweite soziale Bewegung von Unzufriedenen steht noch aus. Es ist die Frage, ob sie sich angesichts der unterschiedlichen Belange in den verschiedenen Ländern und Bevölkerungsgruppen überhaupt bilden kann. Darauf hinzuweisen, dass jede Demokratie unvoll­- endet ist, solange die Ebenbürtigkeit zwischen den Geschlechtern nicht erreicht ist, sollte die Aufgabe jeder sozialen Bewegung sein.

 

Gisela Notz ist Sozialwissenschaftlerin und Historikerin