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Die neue Wohnungsnot

erschienen in Klar, Ausgabe 25,

Weil Bund, Länder und Kommunen ihre Wohnungsbestände an Fonds verschleudern, steigen die Mieten vielerorts dramatisch. Experten sprechen von einer neuen Wohnungsnot.

Seit acht Wochen sucht Alice Schürmann in Köln eine Wohnung. Bisher hat die 30-Jährige in der Kleinstadt Siegen gelebt. Nun hat sie eine neue Arbeit bei einer Behörde in der rund 100 Kilometer entfernten Rheinmetropole gefunden. »Ich dachte, meine Beschäftigung im öffentlichen Dienst würde mir bei der Wohnungssuche helfen. Das war ein Irrtum«, berichtet sie nach zahlreichen fehlgeschlagenen Versuchen, eine Wohnung zu mieten.

»Für unter zehn Euro pro Quadratmeter findet man in der Kölner Innenstadt nichts«, sagt Alice Schürmann. Bei ihrer jüngsten Wohnungsbesichtigung musste Alice Schürmann mit mehr als 230 anderen Menschen konkurrieren. »Es ist die Hölle«, klagt sie. Ihre letzte Hoffnung: mit einer Freundin in eine WG ziehen, um irgendwie die hohe Miete zahlen zu können.

So wie Alice Schürmann geht es derzeit vielen Menschen in Deutschland. Vor allem in Großstädten und Ballungszentren herrscht Wohnungsnot. Laut Deutschem Mieterbund fehlen allein in den zehn größten Städten 100 000 Mietwohnungen. Hinzu kommen erhebliche Mietsteigerungen wie beispielsweise in Berlin. Dort stiegen im vergangenen Jahr die Mieten bei Neuvermietung um durchschnittlich 9,3 Prozent, in den attraktivsten Stadtteilen explodierten die Preise noch mehr.

Die dramatische Entwicklung am Wohnungsmarkt ist eng verknüpft mit der Deregulierung der Finanzmärkte im Jahr 2004. Die damalige Regierung aus SPD und Grünen öffnete den deutschen Immobilienmarkt für Hedgefonds. Kurz darauf begannen Fonds, mit geliehenem Geld massenhaft Wohnungsbestände von Ländern und Kommunen aufzukaufen (siehe Infokasten links oben).

Für die Fonds ist das bis heute ein rentables Geschäft, für das die Mieterinnen und Mieter bezahlen und das oft ein und derselben Logik folgt: Die Fonds wirtschaften einst preisgünstige Mietwohnungen herunter. Erst sparen sie bei der Instandhaltung, dann werden die Wohnungen luxussaniert und als teure Eigentumswohnungen weiterverkauft oder extrem teuer weitervermietet.

Vor allem für Menschen mit durchschnittlichem und geringem Einkommen hat das fatale Folgen. Sie müssen aus attraktiven Stadtteilen wegziehen. So ging es auch Claudia Ohiogboan aus Berlin. Mehr als zehn Jahre lang hat sie im Graefekiez in Berlin-Kreuzberg gewohnt. Zuletzt zahlte sie 273 Euro pro Monat für eine kleine Wohnung mit Kohleofen. Im Frühjahr des vergangenen Jahres meldete sich die neue Eigentümerin des Mehrfamilienhauses: Das Haus solle modernisiert, die Miete anschließend auf 698 Euro erhöht werden.

Für Claudia Ohiogboan begann eine lange juristische Auseinandersetzung. Monatelang lebte sie auf einer Baustelle. Es regnete in die Küche. Mehr als ein halbes Jahr wehrte sie sich. Doch irgendwann hatte sie der Kampf um ihre Wohnung ausgelaugt. Im Februar einigte sie sich schließlich mit den Eigentümern und zog aus. Für ihre neue Wohnung in einem anderen Stadtviertel zahlt sie nun 520 Euro warm im Monat.

Die Lage am Wohnungsmarkt könnte sich jetzt noch mehr verschlimmern: Die aktuelle Finanzkrise befeuert den Boom am Immobilienmarkt. Dank historisch niedriger Zinsen der Europäischen Zentralbank schwimmen zahlreiche private Investoren im Geld.

Ruben Lehnert