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»Die Mächtigen sitzen woanders«

erschienen in Clara, Ausgabe 35,

 

Bodo Ramelow ist seit gut 100 Tagen der erste linke Ministerpräsident in Deutschland. Der einstige Bundestagsabgeordnete führt eine rot-rot-grüne Koalition in Thüringen. Ein Interview in der Staatskanzlei von Erfurt

 

Wir sitzen hier im Büro des Ministerpräsidenten Bodo Ramelow. Das war noch vor einigen Monaten für viele unvorstellbar. Wann war Ihnen klar, dass es wirklich klappen und sich Ihr Arbeitsalltag so rasant verändern könnte?

Bodo Ramelow: Das war ein Entwicklungsprozess. Ich habe hier nicht vor der Tür gestanden und an der Tür gerüttelt. Ich habe es auch abgelehnt, solche Fotos zu produzieren. Weil es nicht darum geht, ob ich einen neuen Arbeitsplatz bekomme. Ich stehe für eine andere Form von Politik. Die kann man nur mit Partnern verwirklichen. Das bedeutet auch, eine entsprechende Herangehensweise zu wählen. Diese hat viel, viel früher begonnen. 

Wann?

Mit der Erfurter Erklärung von 1997 für soziale Verantwortung in unserer Gesellschaft. Die Erfurter Erklärung hatte damals die Überschrift "Eigentum verpflichtet", ein Zitat aus dem Grundgesetz. Dieses Eigentum verpflichtet nämlich dazu, die Grundlagen für eine soziale und gerechte Gesellschaft zu schaffen. Jeder Bürger hat das gleiche Recht, keiner ist besonders oder besonders privilegiert, sondern jeder muss die gleiche Chance haben. 

Inwieweit hat dieser neue Job den Menschen Bodo Ramelow verändert?

Im Bundestag hatte ich eine besondere Aufgabe als stellvertretender Fraktionsvorsitzender ohne Geschäftsbereich. Meine Aufgabe war es, im Deutschen Bundestag mit der Kirchen- und Religionspolitik neue Akzente zu setzen und ehrenamtlich die Parteibildung und Wahlkämpfe zu organisieren. Da war ich Einzelkämpfer, ein Treiber. Das hat mir nicht immer nur Freunde gebracht, das hat auch zu Konflikten geführt. Dabei habe ich viel gelernt.

Wie ist das heute?

Heute muss ich als Teamplayer agieren und unterschiedliche Sichtweisen in ein Gesamtkonzept integrieren. Dies ist ein Prozess, bei dem ich mich auch selber umstellen musste. Außerhalb von Thüringen bin ich also der Ministerpräsident der Drei-Parteien-Koalition. Wir wollen mit dieser Koalition fünf Jahre erfolgreich Thüringen gestalten, also kann ich außerhalb Thüringens nicht als der Einzelkämpfer der Partei DIE LINKE auftreten. 

Wie verliefen die ersten Tage nach der Wahl? 

Der erste Termin war außerhalb dieses Büros, auf der anderen Straßenseite bei der Jüdischen Landesgemeinde. Dort berichtete Romani Rose, der Zentralratsvorsitzende der Sinti und Roma, über die Abschiebepraxis in Deutschland nach Serbien und erklärte, warum er das verheerend findet. Das war ein Zeichen der Wertschätzung gegenüber Romani Rose und der Jüdischen Landesgemeinde. Am Tag danach war ich im Flüchtlingsheim in Weimar. Dann war ich zu Besuch in Suhl auf dem Friedberg, das ist die zentrale Aufnahmestelle, in der sich zurzeit 1.200 Menschen aufhalten. Sie mussten aus unterschiedlichen Gründen ihr Leben retten und kamen unter schlimmsten Bedingungen nach Deutschland, um für sich eine Zukunft zu finden. All das war verbunden mit einer ersten Entscheidung des neuen Kabinetts, nämlich dem Winter-Abschiebestopp der ärmsten Menschen, die die höchste Bedrohungssituation erleben. So haben wir die ersten Zeichen unserer künftigen Politik gesetzt.

Gab es auch schon Gespräche mit Vertretern aus der Wirtschaft?

Ich habe vom ersten Tag an Investoren getroffen. Diese Staatskanzlei ist auch offen für Menschen, die nach Thüringen kommen und investieren. Sie sollen im Ministerpräsidenten dafür einen Ansprechpartner haben. So ein Investment soll eine verlässliche Zukunftsgestaltung sein für die Menschen, die dann in Zukunft eine Arbeit haben werden. Ich erlebe jetzt Wirtschaftsverbände, die uns auf einmal ganz aktiv bei der besseren Integration von Flüchtlingen und von Nicht-Deutschen unterstützen. Die Industrie- und Handelskammer Erfurt hat eine eigene Hotline eingerichtet und einen Mitarbeiter abgestellt, der nur hilft, dass Flüchtlingskinder einen Ausbildungsplatz angeboten bekommen. Ich glaube, das ist außerhalb von Thüringen in noch keinem Bundesland so aktiv und so massiv geschehen. 

Wie können Sie als Linker in der rot-rot-grünen Koalition Politik machen für arme und reiche, für privilegierte und ausgegrenzte Menschen? 

Arme und Reiche müssen sich in diesem Land aushalten können. Wer selber genug Geld hat, der kann sich einen schwachen Staat erlauben. Aber wer kein Geld, wer keine materiellen Möglichkeiten hat, der braucht einen starken Staat. Und ein starker Staat ist einer, der sich um Bildung kümmert, der Rechtssicherheit gewährt, der sich um Zukunftsperspektiven bemüht und die Rahmenbedingungen dafür schafft. 

Wie diskutiert DIE LINKE darüber, dass sie jetzt in einem Bundesland an der Macht ist?

Wir sind an der Regierung. Die Mächtigen in diesem Land, wie auch auf dem Rest des Erdballs, sitzen an anderen Stellen. Auch ein Linker muss immer sehr genau darauf achten, dass er seine Funktion als Ministerpräsident nicht mit der Funktion der Mächtigen dieser Welt verwechselt. Ich kann Kabinettsvorlagen beeinflussen, ich kann Richtlinienkompetenz auslösen. Ich kann Gesetze auf den Weg bringen mit dem Kabinett, aber ich kann einen Hedgefonds nicht anhalten. Dazu müssten wir andere Mehrheiten in Deutschland und in Europa schaffen. 

Der Kontakt zu den Abgeordneten in der Bundestagsfraktion ist nach wie vor eng. Gregor Gysi saß bei Ihrer Wahl auf der Tribüne, hat auch frenetisch applaudiert. Wie wichtig ist diese Zusammenarbeit mit der Fraktion in Berlin?

Es ist für uns eine Bereicherung, dass wir eine starke Bundestagsfraktion haben. Wir führen jetzt Kamingespräche alle paar Monate in Berlin, wo sich Vertreter der Bundestagsfraktion und der Regierungen von Brandenburg und Thüringen mit der Bundespartei und den Fraktionen der einzelnen Länder zusammensetzen und Themen erörtern. Zuletzt sprachen wir über die Kämpfe in Kobanê. Da haben wir mit der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke jemanden, die sich exzellent in der Region und mit allen Akteuren auskennt. Wir fragten Ulla Jelpke, wie wir Unterstützung geben können. Denn auch hier in Thüringen leben Jeziden, also Menschen, die von dort vor Mord und Terror geflüchtet sind. Und diese Menschen haben hier einen großen Hilfstransport gestartet, den wir mitunterstützt haben. Wir haben eine Hilfsaktion in Gang gesetzt, die heißt "Thüringen in Aktion". Da geht es um Sprachkurse, aber auch um Flüchtlingshilfe, die Menschen brauchen, um ihr tägliches Leben dort am Rande von Syrien oder in Flüchtlingslagern am Rande der Türkei in erträglicher zu machen. 

Nun darf Bodo Ramelow mal ein bisschen träumen. Was genau wird in fünf Jahren sein? In Thüringen? Mit Bodo Ramelow?

Ich werde mit dieser Koalition fünf Jahre arbeiten, und ich glaube, dass die Wählerinnen und Wähler dann eine Chance haben, eine fünfjährige erfolgreiche Politik zu würdigen. Ich hoffe, dass die drei Parteien dann bei den Wahlen stärker werden und dass deutlich wird: Man kann in Deutschland mit anderen Konstellationen regieren. Es gibt mehr als nur die Kombination, die ewig eingespielt war, nämlich dass eine starke Partei mit einer kleinen zusammen eine Koalition bildet. Für etwas anderes hat in Deutschland die Fantasie nie gereicht. Und wir wollen doch die Fantasie anregen und sagen: Es gibt noch mehr Möglichkeiten! 

 

Das Interview führte Frank Schwarz.