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„Die Leute haben die Polizei weggetanzt“

erschienen in Klar, Ausgabe 19,

Die Band Irie Révoltés füllt große Konzerthallen und begeistert ihr Publikum mit tanzbarer und politischer Musik. Klar sprach mit den Sängern Carlito (30) und Mal Élevé (27) über Musik und Politik, über Alltag und Revolution.

War von Anfang an klar, dass ihr politische Songs machen wollt?

Mal Élevé: Musik spiegelt für mich den Alltag. Und politisch aktiv zu sein, das gehört für viele Bandmitglieder zum Alltag. Politik war deshalb von Anfang an Bestandteil unserer Band.

Carlito: Unsere Musik ist auch ein Mittel, um Menschen mitzureißen und sie für wichtige politische Themen zu gewinnen. Musik ist für viele Menschen anziehender als eine Demo des schwarzen Blocks.

Mal Élevé: Wir wollten schon immer mit unserer Musik junge Leute ermutigen und motivieren, sich selbst einzumischen. Und wir wollten immer Proteste unterstützen, indem wir auf Demos und Kundgebungen auftreten, etwa gegen die Schließung von Jugendklubs, gegen Rassismus oder die unmenschlichen Asylgesetze.

Ihr selbst unterstützt zahlreiche gemeinnützige Projekte und erzählt davon auf euren Konzerten.

Mal Élevé: Ja, und oft kommen nach den Konzerten Leute zu uns und sagen: „Hey, ich will da mitmachen!“

Carlito: So wie die 17-jährigen Kids aus Berlin, die unser Projekt, Rollstühle für Afrika zu organisieren, so geil fanden, dass sie in dem Verein ein Praktikum gemacht haben. Die arbeiten heute noch mit.

Was gefällt euch besser: eine Menge, die beim Konzert ausflippt, oder ein paar Leute, die ihr für Politik begeistert?

Carlito: Wenn die Zuschauer ihren Spaß hatten, dann ist das super. Und wenn sie sich dann auch noch durch unsere Musik ermutigt fühlen, etwas Politisches anzupacken, dann ist das noch besser.

Muss für euch Politik auch Spaß machen?

Carlito: Auf jeden Fall! Ich kenne zu viele Menschen, die nach langer Aktivität verbittert sind…

Mal Élevé: …Es ist doch klar, dass man leicht verbittern kann, wenn man sich mit all diesen krassen Themen auseinandersetzt.

Carlito (lacht): Die Revolution muss nicht unbedingt tanzbar sein, aber es wäre auf jeden Fall die schönere Revolution.


Gibt es Konzerte, an die ihr besonders gerne zurückdenkt?

Mal Élevé: Heiligendamm 2007. Wir wussten, alle Leute sind da, um gegen die G8, die größten Industrienationen der Welt, zu protestieren. Das war anders als bei gewöhnlichen Konzerten: Die Politik war der Grund, weshalb Zehntausende vor der Bühne warteten.

Carlito: Als wir auftreten sollten, fing die Polizei an, mit Wasserwerfern in die Menge zu gehen. Man hat die Wut der Leute gespürt. Wir wollten nicht spielen, während die Polizei sie zusammenschlägt. Dann haben wir doch angefangen…

Mal Élevé (lacht): …und das Coole war, dass alle angefangen haben zu tanzen und zu hüpfen. Die Leute haben die Polizei weggetanzt.

Ihr seid beide halb deutsch, halb französisch. In Frankreich wird viel demonstriert. Ist Deutschland zu ruhig?

Mal Élevé: In Frankreich trauen sich die Menschen eher, sich ihre Rechte zu erkämpfen. Ein rebellischer Geist ist dort in allen Bevölkerungsschichten verankert: Das passt mir nicht, also gehe ich auf die Straße oder streike, sagen sie…

Carlito: …aber in Frankreich ist auch nicht alles rosig, immerhin haben die Franzosen Nicolas Sarkozy zum Präsidenten gewählt und die neonazistische Front National erhält viel Zustimmung.

Mal Élevé: Ich habe die Hoffnung, dass die Proteste von Stuttgart gegen den Bahnhofsneubau eine Initialzündung sind. Ein bisschen mehr französische Aufständigkeit würde Deutschland gut tun.