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Die Gefahr eines neuen Rechtsterrorismus

erschienen in Clara, Ausgabe 38,

Rechte Gewalt gegen Flüchtlinge hat dramatisch zugenommen. clara hat sich Täter und Taten genauer angeschaut und kommt zu äußerst beunruhigenden Erkenntnissen.

Ein kurzer Blick auf das letzte Oktoberwochenende und damit auf den rechten Alltagsterror gegen Flüchtlinge in Deutschland: In Magdeburg überfallen 30 Gewalttäter mit Baseballschlägern drei syrische Flüchtlinge und verletzen sie. In Wismar prügeln Vermummte mit Baseballschlägern auf Flüchtlinge vor einer Asylunterkunft ein. In Freital zünden Neonazis einen Sprengkörper an einem von Flüchtlingen bewohnten Haus. Ein Flüchtling wird durch herumfliegende Glassplitter im Gesicht verletzt. In Niedersachsen legt ein 43-Jähriger vor einer Flüchtlingsunterkunft Feuer. Die Bewohner bleiben zum Glück unverletzt.    All diese Szenen rechter Gewalt und ihre derzeitige Alltäglichkeit in Deutschland werfen Fragen auf: Welche Entwicklungen lassen sich derzeit erkennen? Was ist anders, was eventuell neu an der rechten Gewalt? Wo lauern neue, bisher kaum in den Blick genommene Gefahren?   Ausmaß der rechten Gewalt   Die Anzahl der Straftaten und rassistischen Angriffe gegen Flüchtlinge und ihre Unterkünfte steigt in einer dramatischen Art und Weise. Vom zweiten zum dritten Quartal 2015 hat sich die Zahl der Taten von 149 auf 293 verdoppelt. Zur Erinnerung: Vom zweiten zum dritten Quartal 2014 stiegen sie von 24 auf 37. Bis Ende Oktober 2015 gibt die Bundesregierung nun 549 politisch motivierte Delikte gegen Flüchtlinge und ihre Unterkünfte an, 498 davon seien eindeutig politisch rechts motiviert. Im Jahr 2014 waren es 199 Taten insgesamt, davon 177 eindeutig rechts motivierte. Die Zahlen sind Ausdruck eines rassistischen Klimas in Teilen der Bevölkerung, das sich immer stärker gegen die Flüchtlinge richtet.    Beim größten Teil der Straftaten gegen Flüchtlinge und ihre Unterkünfte handelt es sich um Propagandadelikte, Beleidigungen, Sachbeschädigungen oder Bedrohungen. Aber die Zahl der direkten Angriffe in Form von Brand- und Sprengstoffanschlägen oder Körperverletzungen hat in den letzten Monaten stark zugenommen. Laut Statistik des Bundeskriminalamts (BKA) sind die Brandstiftungen von 6 (jeweils im Jahr 2013 und 2014) auf 28 Anfang Oktober 2015 gestiegen. Anfang November wurde vom Innenministerium schon die Zahl 53 genannt. Diese Zahlen liegen jedoch noch weit unter den Zahlen, die von unabhängigen Einrichtungen genannt werden. Eine von der Fraktion DIE LINKE in Auftrag gegebene Studie des Antifaschistischen Pressearchivs und Bildungszentrums (apabiz) dokumentierte bis Anfang Oktober 2015 63 Brandanschläge – mehr als doppelt so viele, wie zu diesem Zeitpunkt von den Behörden bekannt gegeben wurden. Inzwischen liegt die Zahl laut apabiz bei weit über 80.    Deutlich wird also nicht nur ein steiler Anstieg der Straftaten gegen Flüchtlinge und ihre Unterkünfte allgemein, sondern eine enorme Zunahme direkter Gewalt, die auch vor Angriffen auf Leib und Leben der Schutz suchenden Menschen nicht zurückschreckt. Angesichts der immer weiter zunehmenden Brand- und Sprengstoffanschläge auf Flüchtlinge und auch des Einsatzes von Waffen, ist es reines Glück, dass es bis heute noch keine Todesopfer dieser rassistischen Angriffe gegeben hat.    Wer sind die Täter?   Bei der Frage nach den Tätern der Angriffe geben die Behörden an, dass 65 Prozent der namentlich bekannten Täter keinen nachweisbaren Bezug zur Naziszene haben. Über 70 Prozent kommen aus der unmittelbaren Nähe des Tatorts. Es scheint also so zu sein, dass nicht nur oder vielleicht nicht einmal überwiegend organisierte Nazis zur Tat schreiten. Treffen diese Zahlen der Behörden zu, dann wäre das tatsächlich eine neue „Qualität“, dass nicht überwiegend organisierte Nazis zur Tat schreiten. „Normale Bürger“ von nebenan setzen demnach ihre rassistischen und auf Ausgrenzung gerichteten Vorstellungen angesichts der Flüchtlingssituation in die Tat um und fühlen sich angeheizt durch die schrille Agitation von Pegida und AfD als Vollstrecker eines Mehrheitswillens.    Aber die Analysen der Behörden lassen leider viele Fragen offen, die für eine richtige Einschätzung der Gefahr von rechts und für gezielte Gegenmaßnahmen wichtig wären. So gibt es seitens der Behörden keine Aufschlüsselung der Tatverdächtigen nach Gewalttaten und sonstigen Taten. Öffentlich ist nicht nachvollziehbar, ob die bekannten Täter der Brand- und Sprengstoffanschläge nur zu einem geringeren Teil Bezüge zur Naziszene haben oder ob die schweren Straftaten vermehrt von organisierten Nazis verübt werden. Nicht einmal eine Unterscheidung nach Brandanschlägen auf bewohnte und unbewohnte Einrichtungen ist den Zahlen der Bundesregierung zu entnehmen, obwohl sich daraus doch Wichtiges für die Gewalt- und Tötungsbereitschaft der Täter ablesen ließe. Denn die Frage, ob wir es mit einer allgemeinen rassistischen Gewaltwelle oder zum Teil mit gezielten Taten von Neonazis zu tun haben, ist von enormer Bedeutung.   Neuer Rechtsterrorismus?   Die Gefahr eines neuen Rechtsterrorismus ist allgegenwärtig, und auch die Behörden warnen mit Blick auf die Erfahrungen mit dem Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) vor weiteren Gewalttaten.    Viele Expertinnen und Experten erinnert die gegenwärtige Entwicklung an die Situation zu Beginn der 1990er Jahre. Die rassistischen Pogrome von Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda, die tödlichen Anschläge auf Flüchtlinge in Solingen und Mölln waren für viele junge Neonazis der Ausgangspunkt einer militanten Radikalisierung. Auch das NSU-Kerntrio Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe ist in dieser Zeit politisch sozialisiert worden und hat den radikalsten Weg dieser Entwicklung eingeschlagen. Auch heute ist es nicht auszuschließen, dass einzelne Neonazis oder kleinere Gruppen den Weg zur gezielten Gewalt in Form eines neuen Rechtsterrorismus gehen. Gerade deshalb ist ein genauer Blick auf die aktuelle Entwicklung so wichtig.   Der von einem Nazi aus rassistischer Überzeugung verübte Messerangriff auf die Kölner Oberbürgermeisterkandidatin Henriette Reker war die bisherige Spitze des Eisbergs und hat gezeigt, dass neben den Flüchtlingen auch Politiker, Flüchtlingshelfer und andere im Fokus der Nazis stehen. Vonseiten der Behörden heißt es, es gebe keine Hinweise auf eine Steuerung der Angriffe. Damit ignorieren sie die Erkenntnisse aus dem NSU-Komplex. Das Stichwort „führerloser Widerstand“ aus der Naziszene zeigt, dass es längst nicht mehr um steuernde Organisationen oder Ähnliches geht, sondern dass Kleinstgruppen oder auch Einzelne zur Tat schreiten können – auch wenn sie dabei in ein Netzwerk von „Kameraden“ eingebunden sind.   Natürlich sind es auch die organisierten Nazis, die neben Pegida und AfD die Stimmung anheizen und die verbale Begleitmusik zu den Taten liefern. Im dritten Quartal 2015 organisierten NPD, Die Rechte und andere Nazigruppen 34 Aufmärsche im Zusammenhang mit Flüchtlingsunterkünften, zu denen 5.800 Personen kamen. In den beiden ersten Quartalen waren es 19 und 18 Aufmärsche mit jeweils circa 850 Teilnehmern. Im Frühjahr stellte die Nazikleinpartei Der III. Weg eine Internetseite mit geplanten und vorhandenen Flüchtlingseinrichtungen ins Netz – eine klare Aufforderung zum Handeln.   DIE LINKE versucht über regelmäßige Kleine Anfragen und Analysen die aktuelle Entwicklung im Blick zu behalten und öffentlich zu machen. Denn nur die öffentliche Diskussion der Gefahr von rechts ist eine Gewähr dafür, wachsam zu bleiben und Druck auf die Behörden auszuüben.