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»Die Finanzmafia hat eine unglaubliche Erpressungsmacht«

Von Sahra Wagenknecht, erschienen in Clara, Ausgabe 21,

Kann man ohne Doktortitel noch verstehen, um was es bei der Krise geht?

Sahra Wagenknecht: Man kann zumindest verstehen, was dahintersteckt: Eine gewaltige Umverteilung von unten nach oben. Es ist kein Zufall, dass das Vermögen der Millionäre in Europa in etwa genauso hoch ist wie die Verschuldung der Staaten. Diese Summen sind parallel explodiert. Der Reichtum weniger beruht auch auf den Staatsschulden, die durch Steuerdumping, Bankenrettung und Niedriglöhne gewachsen sind – ein einfacher Prozess, der katastrophale Auswirkungen hat.

Welche?

Die, die ihr Geld für den puren Lebensunterhalt brauchen, haben immer weniger. Die Reichen dagegen haben immer mehr und schieben ihr Geld auf die Finanzmärkte. So geht die reale Wirtschaft kaputt.

Nun reden alle Regierungen vom Sparen …

… und setzten die Umverteilung fort, die Ursache der Krise ist. Die Verteilung von Einkommen und Vermögen wird sogar noch ungleicher.

Warum ändert die Politik nichts?

Weil die herrschende Politik schlicht zu feige ist, sich mit den Wirtschaftsmächtigen und den oberen Zehntausend anzulegen. Die schmieren die Parteien mit Spenden. Zudem hat die Finanzmafia eine unglaubliche Erpressungsmacht. Eine Hand voll Banker entscheidet heute über die Zinsen der Staaten.

Das hört sich nach großer Abhängigkeit an …

… ja, und wenn wir da rauswollen, müssen wir die Staatsfinanzen auf eine neue Grundlage stellen. Unabhängig von Bankstern und Rating-Agenturen.

Wie könnte man Unabhängigkeit gestalten?

Indem sich die Staaten über eine öffentliche Bank direkt bei der Europäischen Zentralbank refinanzieren. Griechenland, aber jetzt auch Italien und Spanien haben das Problem, dass die Banker ihnen ihre Anleihen nur noch zu horrenden Zinsen abnehmen. Zudem müssten Spekulationsgeschäfte verboten sein, Banken unter öffentliche Kontrolle gestellt werden.

Was ist der Vorteil von Banken in öffentlicher Hand?

Man könnte sie darauf verpflichten, ihre Aufgabe wieder zu erfüllen, statt irren Renditezielen nachzujagen. Je größer die Banken wurden, desto weniger haben
sie in reale Investitionen gesteckt. Mehr als 50 Prozent der Kredite gehen in Spekulationsgeschäfte, die volkswirtschaftlich komplett nutzlos sind. 

Die meisten Deutschen scheint die Krise kaum zu bewegen, zumindest gibt es keine Protestbewegung.

Hätten wir Proteste wie in Griechenland oder Spanien, dann würde die Politik ganz anders unter Druck stehen.

Warum fehlt dieser Druck?

Es gibt viele Gründe. Einer ist sicherlich, dass das alles so abstrakt klingt: Finanzmärkte, Spekulation. Für viele ist nicht greifbar, wer am Ende von Armut, Rettungspaketen und Sozialkürzungen profitiert. Tatsächlich sind die Nutznießer des Casinos ganz wenige Banken, die jetzt auch Profiteure der Rettungspakete sind. Es fließt ja kein einziger Euro an griechische Rentner, allenfalls an griechische Banken.

Das Abzocken hat also ein Gesicht …

Die Profiteure unseres sinkenden Lebensstandards – egal ob der Griechen oder der Deutschen – sitzen nicht irgendwo am anderen Ende der Welt. Es sind die Superreichen, die Eigentümer der Banken und Konzerne.

Kann es auch sein, dass das Märchen vom erfolgreichen Kapitalismus zu stark in den Köpfen ist?

Ich glaube, der Kapitalismus ist gar nicht mehr allzu beliebt. Umfragen zeigen, dass
88 Prozent der Menschen dem Kapitalismus nicht mehr viel zutrauen. Der Hauptstabilitätsanker des Kapitalismus ist nicht, dass man ihn gut findet, sondern dass man keine Alternative sieht.

Wie könnte die Alternative aussehen?

Darüber öffentlich zu reden, ist unsere Aufgabe als Linke. Noch mehr als bisher müssen wir Alternativen populär machen. Eine Wirtschaft, in der die, die den Reichtum erarbeiten, auch über seine Verwendung entscheiden und niemand von der Arbeit anderer reich wird, ist möglich und keine abstrakte Utopie.

Sahra Wagenknecht ist wirtschaftspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE

 

Das Interview führte Benjamin Wuttke.