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Deutsches Lohndumping reißt Europa in den Abgrund

erschienen in Clara, Ausgabe 22,

Deutsche Produkte sind im Ausland gefragt wie noch nie. Deutschland gehört seit Jahren zu den Exportweltmeistern. Doch was viele nicht wissen: Vor allem Billiglöhne haben zu einem Anstieg der Exporte geführt und die wiederum haben die europäische Wirtschaftskrise befeuert.

Die europäische Wirtschafts- und Finanzkrise scheint das deutsche Exportwunder nicht zu gefährden. Wenn alles läuft wie von Wirt-schaftsexperten prognostiziert, werden deutsche Unternehmen in diesem Jahr Waren im Werte von mehr als einer Billion Euro exportieren. Das wäre ein historischer Höchststand. Doch dieses sogenannte Wirt-schaftswunder ist eines mit gefährlichen Nebenwirkungen und fatalen Folgen: Viele der Exporte werden hierzulande zu Billiglöhnen erschuftet. Hinzu kommt: Das deutsche Lohndumping und die dadurch entstandenen Außenhandelsungleichgewichte könnten die Eurozone zerreißen.

Wer wissen will, wo ein Teil des deutschen Exportwunders entsteht, der sollte sich beispielsweise auf den Weg in einen der großen Schlachthöfe in Niedersachsen machen. An einem Fließband stehen dort Arbeiter mit blutbefleckten Schürzen. Die Messer in ihren Händen sind kaum zu erkennen. So schnell gleiten sie durch das Fleisch der Rinderhälften. Knorpel, Blut und Fettstückchen fallen auf den eiskalten Boden. Arbeit im Akkord. Manchmal zehn, elf oder mehr Stunden am Tag.
Exportwunder mit Nebenwirkungen in Deutschland
An solchen Orten gedeiht das viel gelobte deutsche Exportwunder. Der Grund: Die Arbeiter im Schlachthof bekommen nur fünf bis acht Euro die Stunde. Ihre osteuropäischen Kollegen schuften hier unter katastrophalen Bedingungen sogar zu Billigstlöhnen von vier bis fünf Euro. Möglich machen das in beiden Fällen Werkverträge und fehlende Mindestlöhne. Die Produktion ist so billig, dass immer mehr ausländische Unternehmen ihre Werke nach Deutschland verlagern. In einigen europäischen Nachbarländern wie Frankreich, Dänemark und Schweden hat diese Entwicklung der deutschen Niedriglöhne zum Verlust von Zehntausenden Arbeitsplätzen geführt. Aber auch in Deutschland selbst. Nach Gewerk-schaftsangaben wurden so allein in der Fleischindustrie seit 2001 mehr als 26000 reguläre Arbeitsplätze vernichtet.

Wie deutsche Billigprodukte zu einem Exportschlager werden, enthüllt ein Blick in die deutsche Außenhandelsstatistik mit anderen Ländern. Beispiel Griechenland: Das Land kauft von Deutschland mehr Waren, als es selbst nach Deutschland exportiert. Dieses Handelsbilanzdefizit ist im Jahr 2008 auf jährlich 2,1 Milliarden Euro angewachsen. Die Griechen kaufen also vermehrt deutsche anstatt griechischer Waren. Der Absatz griechischer Unternehmen sinkt rapide. Allein der deutsche Export von Nahrungsmitteln und lebenden Tieren nach Griechenland stieg im Zeitraum von 2000 bis 2008 um sagenhafte 87 Prozent. Der von Möbeln, Kleidung und Schuhen sogar um 91 Prozent. Das sind jene Sektoren also, die hierzulande für extremes Lohndumping bekannt sind.
Exportwunder mit Folgen im Ausland
Mit »deutscher Wertarbeit«, die für gewöhnlich als das Kernstück des deutschen Exportwunders angesehen wird, hat das alles wenig zu tun. Nicht mehr nur Maschinenbau und Automobilindustrie sorgen für den deutschen Exportboom, sondern immer mehr auch Branchen wie die Fleischindustrie.
Doch Lohndumping betrifft in Deutschland nicht nur Einzelsektoren, sondern die Wirtschaft insgesamt: Die deutschen Regierungen haben durch die Agenda 2010 mit Leiharbeit, Minijobs und Hartz IV die Löhne gedrückt. Die inflationsbereinigten Löhne (Reallöhne) sind von 2000 bis 2009 in Deutschland um 4,5 Prozent gesunken. In allen anderen Eurostaaten sind sie dagegen gestiegen. Durch das deutsche Lohndumping wurden immer mehr Waren ins Ausland verkauft als von dort gekauft. Die Importe blieben deutlich zurück. So konnte der deutsche Außenhandelsüberschuss in den letzten zehn Jahren auf insgesamt 1,2 Billionen Euro steigen. Die anderen Staaten hingegen mussten die Importe aus Deutschland immer stärker auf Pump finanzieren. Und weil im Ausland statt im Inland produziert wurde, hatte das negative Auswirkungen auf die eigene Wirtschaftsleistung und die damit ver-bundenen Steuereinnahmen. Kein Wunder also, dass Spanien, Portugal, Griechenland und Irland zusammengenommen im selben Zeitraum ein Leistungsbilanzdefizit von einer Billion Euro anhäuften.