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Der Preis der Kohle

Von Wolfgang Neskovic, erschienen in Clara, Ausgabe 22,

Verschwundene Dörfer und Landschaften, umgesiedelte Menschen, verlorene Traditionen. Geht es nach Vattenfall, geht das Abbaggern der Lausitz weiter. Aber ohne uns, sagen die Menschen vor Ort, auch wenn es nach einem Kampf David gegen Goliath aussieht.

So viele Menschen träumen von einem Leben auf der Insel. Umspült vom warmen Meer und unter rauschenden Palmen. Die Welzower und die Neupetershainer mitten im Land Brandenburg könnten demnächst zu Insulanern werden. Auch wenn sie sich das nicht ausgesucht haben. Ihre Insel wäre dann allerdings eine mit Abgründen. Links und rechts kilometerweite Löcher, umgepflügte Landschaft etwa 100 Meter tief. Kein Wald, keine Dörfer, kein Vogel-gezwitscher. Dafür das Rattern, Rumpeln und Quietschen der Abraumbagger und Förderbänder des Braunkohletagebaus Welzow-Süd. Der gehört dem schwedischen Staatskonzern Vattenfall. Und Vattenfall will den Tagebau um weitere fast zweitausend Hektar erweitern.

 

Was Leben am Rande des Tagebaus heißt, weiß Ralf Michelfeit nur zu gut. Er wohnt bloß 200 Meter von der jetzigen Tagebaukante entfernt. Seit vier Jahren haben er und seine Familie »das Landschaftsloch vor der Nase«. Das Haus in Neupetershain, einem Ortsteil von Welzow, hatte er gekauft, »um Ruhe und Natur zu haben«. »Jetzt«, so der 50-Jährige, »haben wir Dreck und Lärm. Rund um die Uhr.« Der Ort, so heißt es offiziell, hat Glück. Die riesigen Kohlebagger machen einen kleinen Bogen um das 1300-Seelen-Dorf. Petra Franz, in Neupetershain geboren und aufgewachsen, zeigt ihr »Glück«. Sie hat ihr Elternhaus übernommen, eine kleine Villa aus dem letzten Jahrhundert mit großem Garten und knorrigen Obstbäumen ringsherum. Doch der Boden im Garten ist an vielen Stellen weggesackt. Runde Mulden, mal größer, mal kleiner. Am Haus, an den Außenwänden, zeigen sich deutliche Risse, diagonal bis ins Fundament hinein. Beides – sowohl »die Bodenabsenkungen als auch die Wandrisse sind typisch für Bodensetzungen durch Grundwasserentzug«, sagt die 67-Jährige. Petra Franz weiß, wovon sie redet. Denn bis vor zwei Jahren arbeitete sie als Bauingenieurin, unter anderem beim U-Bahn Projekt in München. Sie kennt sich aus mit Verwerfungen, die durch das Abpumpen des Grundwassers entstehen. Anerkannt werden die Schäden durch Vattenfall trotzdem nicht. Es gibt für die sogenannten Randbetroffenen keinerlei Entschädigung, denn die Hürden dafür sind unüberwindbar. Jeder Einzelne muss über einen Gutachter nachweisen, dass die Schäden wirklich durch den Bergbau verursacht wurden. »Absurd«, meint Petra Franz, »das kann niemand von uns bezahlen.«

Die Spur der Verwüstungen

Später Nachmittag. Frauen und Männer aus Welzow, Proschim und Neupetershain sitzen in der Kumpelklause in Welzow. Sie haben Wolfgang Nešković eingeladen, den Bundesrichter a.D. und hier in der Region direkt gewählten Abgeordneten für die Bundestagsfraktion DIE LINKE. Nešković ist nicht zum ersten Mal bei den Leuten im Revier. Er berät und stärkt sie seit Langem in ihrem Widerstand und in ihren Rechten. Er war im Mai mit einer Parlamentariergruppe in Schweden. Traf dort Abgeordnete aus dem schwedischen Reichstag. Davon erzählt er an diesem Abend, sagt: »In Schweden gibt es kein gewachsenes Bewusstsein dafür, dass durch den Tagebau ganze Landschaften förmlich ausradiert werden.« Ein schwedischer Grüner äußerte dann auch am Ende etwas beschämt, dass »seit König Gustav Adolf im Dreißigjährigen Krieg kein Schwede so viel landschaftliche Verwüstung in Deutschland hinterlassen habe wie die schwedische Firma Vattenfall«.

 

Die Braunkohle hinterließ eine lange Spur der Verluste. In den letzten einhundert Jahren verschwanden in der Lausitz 136 Orte, ganz oder teilweise. Mehr als 30 000 Menschen wurden umgesiedelt. Sie musste Haus und Hof verlassen. Allein für den Tagebau Welzow-Süd wurden 15 Ortschaften abgerissen. »Das ist das größte Opfer, das für den Tagebau in Deutschland gebracht werden musste«, erzählt Petra Rösch. Sie ist Ortsteilbürgermeisterin in Proschim. Kommt die Erweiterung des Vattenfall-Tagebaus, steht ihr Dorf auf der Kippe. Es wird der Kohle geopfert. Proschim ist klein, zählt nur 327 Einwohner, gehört aber zu den ältesten Dörfern der Region. Die Urkunde mit der Ersterwähnung stammt aus dem 13. Jahrhundert. Dieses kleine Dorf nun sagt nein, lehnt geschlossen die Abbaggerung durch Vattenfall ab. Das ist ein Novum. So viel Widerspenstigkeit macht den anderen Ortsteilen Mut. In der Kumpelklause hängt ein großes Plakat, auf dem in Schönschrift steht: »David gegen Goliath. Die Maßeinheit für Widerstand heißt Proschim.«

Heimat verkauft man nicht

Aber nicht nur Proschim soll von der Landkarte verschwinden. Auch der Stadt Welzow wird erneut das Wasser abgegraben. Gut 400 Menschen müssen der Kohle weichen, Alte und Junge, Frauen und Männer, Familien mit Kindern, ein ganzes Wohnviertel. »Wir haben hier immer mit der Kohle gelebt«, erzählt Ulrich Wallner. »Aber wir haben auch von ihr gelebt.« Die Zeiten sind lange vorbei. Vielleicht sind aktuell noch 160 Welzower bei Vattenfall beschäftigt. Der Konzern kündigte zum Jahresende erneute Entlassungen an. Wer aber seine Arbeit verliert, der geht weg. Ulrich Wallner bekam dieses Weggehen der Einwohner besonders zu spüren. Im Mai dieses Jahres meldeten er und seine Tochter Insolvenz an. Sie hatten einen eigenen Supermarkt mitten im Zentrum gebaut. Der Laden brummte, die Geschäftsbilanz war immer auf der Habenseite. Aber lebten zu Beginn der 90er Jahre noch zehntausend Menschen in Welzow, sind jetzt fast zwei Drittel weg. »Wir haben ja nicht nur Kunden verloren, sondern vor allem die kaufkräftigsten«, sagt der heute 71-Jährige ganz leise. Ulrich Wallner ist ein gebrochener Mann. Ihm ist nichts geblieben, nur ein Haufen Schulden. Seine Tochter und er stehen mit einer halben Million Euro Kredit in der Kreide. Die Kohle vernichtete seine Existenz. Vattenfall fühlt sich nicht zuständig. Das Schreiben des Anwalts blieb bis heute unbeantwortet.

 

Zurück in der Kumpelklause. Der Abend endet spät, doch er endet mit Zuversicht. »Ein Braunkohleplan ist noch lange keine Genehmigung. Wir können was erreichen, wir müssen es versuchen«, sagt Wolfgang Nešković und verabschiedet sich mit Handschlag von jedem Einzelnen.