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Der große Fehlstart der Koalition

erschienen in Clara, Ausgabe 31,

Kaum in Amt und Würden, streiten sich deren Mitglieder um Rente, Kinder und Vorratsdatenspeicherung

Dreizehn lange Wochen benötigten Union und SPD, um sich als Koalition zu finden. Gerade mal vier Wochen mehr brauchte es nach der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags, bis Volker Kauder, Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, seine Koalitionspartner von der SPD tadelte, die Zusammenarbeit müsse besser werden. Sein Pendant aufseiten der SPD, Thomas Oppermann, fasste es bündig zusammen: Es dürfe aufseiten der SPD nicht der Eindruck entstehen, »dass wir zugleich Regierungs- und Oppositionspartei sind«. Er forderte von seiner Fraktion Geschlossenheit. Zudem empfahl er zum großen Ärger einiger CDU-Abgeordneter der neuen Regierung, sie müsse Lehren aus der schwarz-gelben Koalition ziehen. Denn diese sei abgewählt worden, »weil die Menschen die permanente Zankerei nicht mehr wollten«.Kein Wunder, dass nach einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap 46 Prozent der Wahlberechtigten den Regierungsbeginn als einen Fehlstart bewerteten.

Den Auftakt machte Andrea Nahles, die ehemalige Generalsekretärin der SPD. Nur wenige Tage als Arbeitsministerin im Amt, sorgte sie mit Plänen zur Rente ab 63, die für Menschen mit 45 Rentenbeitragsjahren gelten soll, für Verwunderung. Obwohl das Gesetz laut Koalitionsvertrag erst im Jahr 2018 in Kraft treten soll, fordert sie dessen umgehende Umsetzung, finanziert mit Steuergeldern. Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, Steffen Kampeter (CDU), sagte: Rentenpolitik sei kein Wunschkonzert. »Wir werden nur das finanzieren, wozu Geld da ist.«

Ein weiterer neuer Minister auf dem Bundesparkett, Heiko Maas (SPD), seines Zeichens Justizminister, sorgte für den nächsten Streit. Er überraschte mit der Idee, vor Einführung der Vorratsdatenspeicherung das Urteil des Europäischen Gerichtshofs abzuwarten. Ebenfalls zum Unbehagen seiner Koalitionspartner, denn der Koalitionsvertrag sieht eine schnelle Umsetzung vor. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) kanzelte Maas’ Vorstoß lapidar ab, indem er dem Justizminister über die »Tagesschau« mitteilen ließ: Im Übrigen gelte der Koalitionsvertrag für alle und »nicht nur für die, die bestimmte Passagen persönlich ausgehandelt haben.« Da Heiko Maas an den Verhandlungen des Koalitionsvertrags zur Inneren Sicherheit nicht teilgenommen hatte, war das mehr als eine Zurechtweisung.

Familienministerin Schwesig (SPD) schlug jüngst vor, die Arbeitszeit für Eltern junger Kinder auf 32 Wochenstunden zu reduzieren. Ebenso ein Vorschlag, der nicht im Koalitionsvertrag steht. Die Vision, wie sie es im Nachhinein nannte, wurde vom Regierungssprecher Steffen Seibert abgewatscht: Es handele sich dabei lediglich um einen »persönlichen Debattenbeitrag«.

Drei neue Minister, die sich erst noch an ihre Ämter gewöhnen müssen. Offensichtlich konnte die SPD diese Forderungen nicht in den Koalitionsverhandlungen durchsetzen, aber die SPD hätte bei entsprechendem politischen Willen alle drei Punkte – die Rentenreform, sogar das komplette Verbot von Vorratsdatenspeicherung wie auch die Arbeitszeitverkürzung von Eltern junger Kinder – schon längst im Bundestag beschließen können, wenn sie sich mit der Fraktion DIE LINKE an einen Tisch gesetzt hätten. Aber stattdessen streiten sich die Regierungsparteien über alle medial möglichen Formen, wie man Deutschlands Zukunft gestalten kann. So auch Ralf Stegner, SPD-Landesfürst in Schleswig-Holstein, der nach einem Fernsehbeitrag über die von der CSU losgetretene rechtspopulistische Scheindebatte über Rumänen und Bulgaren via Twitter seinen Koalitionskollegen Andreas Scheuer von der CSU fragte: »Gibt es eigentlich keine intellektuellen Mindeststandards?«