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Der Boden der Tatsachen bleibt steinig

erschienen in Clara, Ausgabe 22,

Erkan Kocalar ist Linker und stellvertretender Bürgermeister in Duisburg.  Seit zwei Jahren lernt er in der täglichen Arbeit, das Machbare zu schätzen. Ein Porträt.

Es ist gerade mal ein knappes Jahr her, da stand in den Regional- und Lokalzeitungen, dass Erkan Kocalar geradezu ein Novum verkörpere. Er sei der erste Bürgermeister in der Duisburger Geschichte, der einen »Zuwanderungshintergrund« habe, stand da. »Zuwanderungshintergrund« – solche Worte bieten sich geradezu an, über sie zu stolpern.

Erkan Kocalars Hintergrund ist eine Familie, die vor mehr als 40 Jahren aus Izmir in der Türkei nach Deutschland kam, genauer, nach Duisburg. Zuerst Vater und Mutter, Sohn Erkan dann, als er fünf Jahre alt war. Erkan Kocalar ist im Süden Duisburgs aufgewachsen, in der Nähe des Biegerparks. Dort wohnte die Familie – Vater, Mutter und vier Kinder – in einem kleineren Block, der an einer Straßenkreuzung steht. Der Vater arbeitete bei Thyssen, die Mutter in einem Krankenhaus. Es wäre interessant zu wissen, was die Eltern von Erkan Kocalar damals in den Siebzigern gesagt hätten zu einer Prophezeiung, die lautet, dass ihr Sohn einmal Bürgermeister in Duisburg sein würde. Einer von drei Stellvertretern des Oberbürgermeisters Adolf Sauerland. Eines Mannes, der traurige Berühmtheit erlangte, als es darum ging, die politische Verantwortung für ein Unglück zu übernehmen, das im Jahr 2010 bei der Loveparade Tote und Verletzte gefordert hatte.

Linke Politik in einer klammen Stadt: »positiv bekloppt«

In Duisburg, der westlichsten Großstadt des Ruhrgebiets leben eine halbe Million Menschen. Für die ist einer wie Erkan Kocalar seit dem 2. November 2009 also als Bürgermeister mitverantwortlich – Ratsmitglied war er da schon fünf Jahre lang. 38 Ratsmitglieder hatten dafür gestimmt, dass er diese Verantwortung bekommt und Bürgermeister wird, 35 waren dagegen. Sondierungsgespräche zwischen LINKEN, SPD und Grünen hatte es gegeben, und es war wirklich eine schwierige Geburt. Aber eine erfolgreiche eben auch.

Es ist keine rhetorische Frage, ob es denn tatsächlich erstrebenswert ist, als Linker in einer Stadt wie Duisburg mitbestimmen zu wollen. Mitregieren. Man muss, wie der Fraktionsvorsitzende der LINKEN es beschreibt, »positiv bekloppt« sein. In Nordrhein-Westfalen hat zurzeit jede dritte Kommune einen Nothaushalt, und fast alle haben ein Haushaltssicherungskonzept aufgelegt. Das klingt erst einmal harmlos – schlimmer als ein Sicherungskonzept ist sicher der Nothaushalt. Er ist sozusagen die letzte Stufe einer dramatischen Entwicklung, die einen jahrelangen Vorlauf hat. Mit einem Sicherungskonzept erklärt man noch, wie der Ausgleich erreicht werden kann. Steht das Wort »Nothaushalt« in Leuchtbuchstaben über einer Stadt, heißt das: Ein Ausgleich ist nicht mehr möglich. Im Jahr 2009 kam es zur kompletten Überschuldung der Stadt. 2,5 Milliarden Euro, sagen die Schätzungen. Trotz ständiger Sparbeschlüsse, trotz des Verkaufs von Grundstücken, der Absenkung von Investitionen. Es fehlen in der Stadt – nur als Beispiel – zehn Turnhallen, um den Sportunterricht in ausreichender Stundenzahl zu gewährleisten. In Duisburg wurden städtische Brunnen abgeschaltet, und in den Schwimmbädern wurde die Wassertemperatur um ein Grad Celsius gesenkt. Es wurde Personal abgebaut, und Dinge, die dringend getan werden sollten, mussten auf die lange Bank geschoben werden.

Als zu Beginn des Jahres 2010 die Streichliste öffentlich wurde, die der Haushaltsentwurf enthielt, um 150 Millionen Euro zu sparen, war das für eine Fraktion wie DIE LINKE eine Prüfung. Da steht man in der Verantwortung zu verantworten. Aber was? Der Haushaltsentwurf sah vor, dass rund 100 Millionen Euro bei Bildung, Kultur und Jugend eingespart werden sollen.

Die Mühen der Ebene: Kompromisse finden und Politik übersetzen

Erkan Kocalar steht im Jugendklub seiner Kindheit in einem fast leeren Raum vor einem großen Spiegel. Hier tanzen an manchem Nachmittag die Mädels und träumen von großen Karrieren oder kleinem Glück. »Mit solcher Art zu sparen, kommen wir auf keinen grünen Zweig«, sagt er. »Und solche wie wir – Linke, Gewerkschafter – müssen dagegen kämpfen, dass bei den Ärmsten gespart wird.«

Kompromisse. Das große Wort heißt Kompromisse. Man kann über die halbe Million Euro nachdenken, die für die Bewirtschaftung der beiden botanischen Gärten ausgegeben wird, und über die 12 Millionen Euro für die Oper am Rhein. So oder so aber muss man mit der SPD und den Grünen reden, weil sich nur gemeinsam etwas bewegen ließe. Mehrheiten schaffen, das schwierigste aller Geschäfte. Und weh tut es auch oft, wenn man Abstriche machen muss. Der Boden der Tatsachen bleibt steinig.

Die Mühen der Ebenen – so gern werden sie zitiert, wenn nichts weiterzugehen scheint und Erfolge in homöopathischen Dosen bemessen werden müssen – heißen zum Beispiel Einzelhandels- und Centerkonzept. Was ist eine gesunde und maßvolle Entwicklung? Darüber kann man sich in einer Fraktionssitzung lange die Köpfe heißreden. »Wir können jetzt Fundamentalopposition machen und sagen, wir lehnen das Einzelhandelskonzept ab. Ist damit geholfen? Besser wäre, wir machen konstruktive Verbesserungsvorschläge für jeden einzelnen Stadtteil.« Erkan Kocalar plädiert für das Machbare und zugleich für den größeren Aufwand. Ein ganzes Konzept ablehnen ist einfacher, als es Satz für Satz durchzugehen und auf Schwachstellen zu untersuchen. Also bespricht Kocalar mit seiner Fraktion das Einzelhandelskonzept für jeden einzelnen Stadtbezirk, und wenn es sein muss, dann noch mal für jeden einzelnen Stadtteil. Wieso hat der Bezirk, in dem der Anteil alter und sehr alter Menschen sehr hoch ist, so wenige Lebensmittelgeschäfte? Was hat Zukunft, wo die Leute doch lieber nach Krefeld zum Einkaufen fahren? Ein Fraktionsmitglied sagt: »Wir müssen das hier alles für die Leute übersetzen. Die wollen nichts wissen von Hauptzentren und Nebenzentren. Die wollen wissen, warum hier eine Post schließt und warum es zum nächsten Optiker über eine Stunde Fahrzeit braucht.«

Schadensbegrenzung und punktuelle Situationsverbesserung

Die Duisburger Mitglieder der Linksfraktion im Stadtrat wissen, dass sie sich in ihrer Arbeit seit Jahren in einer Phase der Schadensbegrenzung und punktuellen Situationsverbesserung befinden. Erkan Kocalar sagt später, er habe die kleinen Erfolge sehr schätzen gelernt in diesen letzten Jahren. Eine drohende Abschiebung zu verhindern, 40 Radfahrerinnen und Radfahrer aus Russland, die eine Übernachtungsmöglichkeit brauchen, in einer Duisburger Turnhalle unterzubringen, 18 Millionen Euro aus einer Streichliste von 150 Millionen Euro zu streichen.

Erkan Kocalar ist froh, dass man sich zumindest auch auf halbe Sachen einigen kann, wenn die ganze einfach nicht zu kriegen ist, weil die Machtverhältnisse sind, wie sie sind. Man kann ja nicht nichts tun und darauf warten, dass die Zeiten besser werden.

 

Bei dem hier veröffentlichten Text handelt es sich um einen Auszug aus:
Die Kommunalen. LINKE im Land: 16 Geschichten aus Rathäusern und Gemeinden
im VSA-Verlag
Hamburg,

208 Seiten,
14,80 Euro