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Das süße Gift des Reformismus

erschienen in Querblick, Ausgabe 1,

Seit einigen Jahren hat ein neues Konzept den Weg aus der Theorie in die Praxis gefunden und bei vielen Frauen Hoffnungen geweckt, neue Fortschritte in der Gleichstellungspolitik zu erzielen. Die Rede ist von Gender Mainstreaming (GM). Wer sich aus feministischer Perspektive näher damit befasst, erkennt die Gefahren, die von GM für die Frauenbewegung ausgehen.

Die SPD/Grüne-Bundesregierung hat im Juli 2000 in der Geschäftsordnung der Ministerien festgeschrieben, dass die Gleichstellung von Männern und Frauen ein durchgängiges Leitprinzip ist und bei allen politischen, normgebenden und verwaltenden Maßnahmen der Bundesministerien gefördert werden soll. Ähnliche Absichtserklärungen gibt es in der EU-Kommission. All dies ist die Folge der  Aktionsplattform, die von der Vierten Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 verabschiedet worden ist. Wenn auch hierfür mit dem »Women in Development«-Ansatz (Einbeziehung von Frauen in Entwicklungsprojekte) in der Entwicklungspolitik Vorarbeit geleistet worden war, darf man keinesfalls übersehen, dass es sich bei GM um eine »Variante neoliberaler Philosophie und Politik« handelt. Denn GM geht hauptsächlich auf ein US-amerikanisches Management-Prinzip zurück (»Managing Diversity« oder »Verschiedenheit nutzen«).

Dieses Prinzip verfolgt das Ziel, durch Proklamierung von Chancengleichheit betriebliche Bedingungen herzustellen, unter denen die Beschäftigten unabhängig vom Geschlecht ihre Leistungsbereitschaft uneingeschränkt entwickeln. Interessengegensätze zwischen Kapital und Arbeit oder verfestigte Verteilungsungerechtigkeiten zwischen den Geschlechtern werden in diesem Konzept verschwiegen. Frauen werden dank ihrer emotionalen und sozialen Kompetenzen als vorteilhaft für den Betrieb bewertet. Weibliche Potenziale sollen im Rahmen einer Win-win-Strategie (bei der es nur Gewinner geben soll) voll im unternehmerischen Interesse zur Geltung gebracht werden: Die Organisation als Ganzes gewinnt, die Frauen gewinnen, die Männer gewinnen. Kein Wunder, dass bei diesem marktliberalen, harmonistischen Hintergrund von Gender Mainstreaming heute sogar CDU-Frauen zu glühenden Verfechterinnen für GM geworden sind. Deutlich hervorzuheben ist auch, dass GM eine sogenannte Top-down-Strategie (»von oben nach unten«) bildet. Demnach ist Vorsicht geboten, auch wenn Gewerkschaften, öffentlicher Dienst, Teile der Frauenbewegung heute GM auf ihre Fahnen geschrieben haben. Denn GM ist eine Methode, die vorgibt, dass alle Akteure an der Gleichberechtigung aller interessiert wären.  Ein solches Konzept ist in einer kapitalistischen Gesellschaft zum Scheitern verurteilt, denn genau diese Bedingung liegt in einer auf Über- und Unterordnung und Ausbeutung beruhenden Herrschaftsform nicht vor.

Zu beobachten ist folgerichtig eine Instrumentalisierung von GM für die Zwecke des Kapitalismus und des Patriarchats. Was geschieht denn in der Praxis? Das Selbstverständliche steht im Grundgesetz: »Männer und Frauen sind gleichberechtigt«, heißt es lapidar in Artikel 3 Absatz 2. Die traditionelle Rollenverteilung wirkt jedoch munter fort. Männer sind die Hauptverdiener, Frauen verrichten den Großteil der Hausarbeit. Leichtlohngruppen gehören zwar der Vergangenheit an, aber Frauen werden überproportional in ungeschützte Arbeitsverhältnisse mit Niedriglöhnen und ohne soziale Absicherung abgedrängt. Und nach sieben Jahren SPD/Grüner-Bundesregierung bleibt auch nur die erschreckende Bilanz, dass gerade diese bei der Abtreibung von gesellschaftlichen Errungenschaften für Frauen in Ost und West die Speerspitze war.

Zu beobachten ist darüber hinaus mit GM eine weitere »Institutionalisierung« der Frauenbewegung. Die alte Frauenbewegung in den 70er und 80er Jahren in der BRD, insbesondere der Teil, der durch außerparlamentarische Autonomie die Frauenfrage radikal auf die Tagesordnung setzte, übte Druck aus und konnte in Teilbereichen Erfolge organisieren. Die Debatte um die soziale Situation von Frauen (das Private ist politisch), die Auseinandersetzung um Paragraf 218 (Mein Bauch gehört mir) oder die Kampagne gegen Gewalt gegen Frauen (ist kein Kavaliersdelikt) haben zweifellos gesellschaftliches Bewusstsein und Reförmchen befördert. Das Kratzen an den patriarchalischen Strukturen führte schnell  zu Angeboten aus der Politik und ein aktiver Teil der Frauenbewegung begann den Marsch durch die Institutionen – Frauen strampelten sich in männerdominierten Strukturen ab und hatten weniger Kräfte verfügbar für eigene kreative Aktionen und Widerstand. Heute hat skrupelloser Chauvinismus in Politik und Gesellschaft wieder Konjunktur gegen Frauen. Der Abwehrkampf des Patriarchats wird mit offener Machtausübung geführt, dies auch unter dem Deckmantel von GM.
Konkrete Maßnahmen der Frauenförderung werden gestrichen, weil ja angeblich Frauenförderung ohnehin integraler Bestandteil der Politik sei. GM liefert eine Scheinrechtfertigung, denn eine Gleichstellungsstelle sei ja nach der Anerkennung des GM-Prinzips nicht mehr notwendig.

Das Gegenteil, nämlich eine Erneuerung der Frauenbewegung, wäre geboten. Die Krise des Kapitalismus trifft vor allem Frauen mit voller Wucht. Sie zählen zu den Hauptverlierern der Globalisierung. Es existiert ganz eindeutig weiterhin eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, bei der die Frauen nahezu den gesamten Anteil der Hausarbeit zu leisten haben. Mindestens zwei Drittel der unbezahlten »ehrenamtlichen« Arbeiten im Sozial- und Gesundheitsbereich werden von Frauen geleistet.  Ausgerechnet in dieser krisenhaften Situation liefert ein auf neoliberalen Top-down-Management-Theorien beruhendes Konzept auch noch die Vorwände, mühsam in kleinen Schritten von der Frauenbewegung errungene Fortschritte rückgängig zu machen. Dies ist einerseits absurd, andererseits aber konsequent: Männer haben noch nie freiwillig ihre Privilegien aufgegeben.

Gender Mainstreaming benennt die Unterschiedlichkeit zwischen den Geschlechtern nicht mehr, sondern ?geht von einer Schein-Geschlechterdemokratie aus. Die entscheidende Frage lautet am Ende: Wem nützt Gender Mainstreaming? Der breiten Masse der entrechteten und allein-gelassene sozial benachteiligten Frauen oder einigen Alibifrauen, die es im Kapitalismus als Karrierefrauen ohnehin zu etwas gebracht haben. Nein, es muss dabei bleiben, den Kampf gegen die Unterdrückung und  die Unterprivilegierung der Frauen klar zu benennen und in gesellschaftspolitische Forderungen zu fassen. Dazu gehören echte Reformen, aber zurzeit vor allem die Verteidigung der bereits erkämpften Errungenschaften für Frauen, insbesondere in der Sozialpolitik.

Ulla Jelpke, MdB Sprecherin für Innenpolitik Fraktion DIE LINKE.