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Das Paradies ist eine Festung

Von Lukrezia Jochimsen, erschienen in Clara, Ausgabe 20,

Schon das fünfte Jahr lädt die kulturpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Luc Jochimsen, zur Veranstaltungsreihe »Kultur neu denken« ein. Prominenter Gast diesmal: der europäische Filmregisseur Costa-Gavras.

Constantin Costa-Gavras, eigentlich Konstantínos Gavrás, ist von Geburt Grieche, er hat eine russische Mutter und einen Pass, der ihn als französischen Staatsbürger ausweist. Multinational sind auch seine Filme und die reichlichen Auszeichnungen dafür. Zwei Preise in Cannes bekam er allein für seinen Politthriller »Z«. Das war 1969. Nur ein Jahr später erhielt er zwei Oscars. Dieser Film, der von einem Mord an einem Politiker erzählt, machte den damals noch jungen Regisseur über Nacht berühmt.
Für die Publikumsdiskussion »Kultur neu denken« im Berliner Kino Babylon brachte der inzwischen 78-jährige Costa-Gavras seinen aktuellen Spielfilm mit. Wieder ein politisches Thema. »Eden Is West« heißt der gut 100-Minuten-Kinostreifen. Es ist ein Flüchtlingsdrama. Abgedreht hat der Regisseur die Odyssee eines Zuwanderers bereits 2008, und im Jahr darauf stellte er ihn auf der Berlinale vor. Der Flüchtlingsstrom war schon damals ein Thema, erzählt Gavras, »aber jetzt ist es viel stärker, viel sichtbarer, viel dramatischer«. Die europäische Politik habe das Problem verdrängt, einfach nicht hingeschaut. »Wir Künstler jedoch müssen hinsehen und Fragen stellen. Ich glaube, das Flüchtlingsproblem ist das Problem dieses Jahrhunderts.«

In diesem Frühjahr sind 25 000 Menschen auf der italienischen Insel Lampedusa gestrandet. Im dortigen Auffanglager, das für 800 Menschen ausgelegt ist, drängen sich an manchen Tagen zwei- oder dreitausend Flüchtlinge auf engstem Raum zusammen. Insgesamt flohen nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration fast 770000 Menschen allein aus Libyen. Sie machen sich auf den Weg nach Algerien, Ägypten, Niger, Tunesien. Tausende aber suchen auch den Weg über das Meer nach Italien und Malta.

Costa-Gavras’ Film »Eden Is West« erzählt von Elias, einem jungen Mann auf einem riesigen Schiff, irgendwo auf irgendeinem Meer, vollgestopft mit Frauen, Männern und Kindern. Alle haben sie die stille Hoffnung, dass sie den waghalsigen Weg schaffen und dort ankommen, wo es sich besser lebt: im Paradies Europa. Gavras beginnt mit Bildern, die wir kennen, weil sie Abend für Abend in unsere Wohnstuben gespült werden: eine Masse von Flüchtlingen, die an die Küsten Italiens oder Griechenlands geschwemmt wird. »Aber die Vielen sind viele Einzelne«, sagt Costa-Gavras. »Es sind Menschen, sie verdienen Respekt, man darf ihnen die Würde nicht nehmen, egal welcher Religion oder Hautfarbe sie sind.«

Der Regisseur weiß, wovon er redet. Er selbst war 19 Jahre alt, als er seine Heimat Griechenland verließ. Seinen Vater hatte man unter dem Verdacht verhaftet, kommunistisch aktiv zu sein. Dieser Vorwurf reichte aus, um dem Sohn ein Studium an einer griechischen Universität zu verweigern. Auch ein Visum für die USA wurde dem jungen Gavras verwehrt. Und so ging er nach Frankreich. Ohne ein einziges Wort Französisch zu können. Ohne etwas über das Land, die Kultur, die Leute zu wissen. »Niemand geht gern von zu Hause weg«, sagt der Regisseur. »Die Freunde, die Familie, alles bleibt zurück. Du weißt nicht, was dich erwartet.«

In seinem Film lässt Costa-Gavras die Betroffenen nicht hinter Zahlen und Statistiken verschwinden. Er gibt den zumeist Unsichtbaren ein Gesicht, ein individuelles Leben. Elias, sein Hauptheld, macht eine lange, entbehrungsreiche Reise. Er ist ein ewig Gejagter, immer in Angst, entdeckt zu werden. Nur manchmal erlebt er kleine Gesten der Solidarität auf dem scheinbar endlosen Weg nach Paris.

Der Film kommt fast ohne Sprache aus. Es sind leise Bilder, stille Momente der Einsamkeit. Elias hat keine eindeutige Nationalität, man weiß nicht, woher er kommt, aus welchem Elend. Das will Regisseur Gavras so. Denn Elias’ Schicksal ist eins, das überall passieren kann. »Ich wollte vor allem eine zutiefst menschliche Geschichte erzählen«, sagt Costa-Gavras. Das ist ihm auf wunderbare Weise gelungen. Und es ist schade, dass bis heute »Eden Is West« nach der Berlinale-Uraufführung 2009 in keinem deutschen Kino gezeigt wurde.

Es ist auch deshalb schade, weil das Problem aktueller denn je ist. Europa schottet sich ab, schließt seine Grenzen, macht dicht. Die Europäische Union lässt ihre Grenzüberwachungsagentur Frontex dicht vor der tunesischen Küste patrouillieren. Sie fängt zehntausende Migrantinnen und Migranten ab und schickt sie zurück in ihre Herkunftsländer. Italien verteilt zwar vorübergehende Aufenthaltsgenehmigungen an Flüchtlinge, aber sie sind nichts wert. Denn Frankreich, Österreich, Deutschland verschärfen die Kontrollen an den Grenzen, weisen die Flüchtlinge ab. Dänemark kündigte – indem es wieder stationäre Grenzkontrollen einführte – gar das Versprechen, das mit dem Abkommen von Schengen verbunden ist: freie Binnengrenzen in Europa.

Gefragt nach Lösungen, sagt Filmregisseur Costa-Gavras: »Ich habe keine.« Aber er sei auch kein Politiker, sondern Künstler. In seinem Film »Eden Is West« bekommt Elias am Ende einen Zauberstab. Illusion oder Hoffnung? »Für mich«, sagt Gavras, »ist es Hoffnung.« Er hat den Glauben an die Politik nicht verloren und ist überzeugt, dass die Völker Europas das Zuwanderungsproblem lösen werden. Allerdings müssen Politiker dann in größeren Dimensionen denken und handeln, nicht von einer Wahl zu anderen. »Es geht um Zeiträume von bis zu 50 Jahren. Das erfordert Weitsicht und Visionen«, sagt er. Und das bedeutet: Kultur neu denken!