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Das Europäische Lobby-Register will nichts verstecken

erschienen in Clara, Ausgabe 9,

von Siim Kallas, Vizepräsident der Europäischen Kommission

Nie werde ich diese Erfahrung als neuer Vizepräsident der Europäischen Kommission vergessen: Kurz nachdem ich mein Brüsseler Büro bezogen hatte, schlug mir kaum verhülltes Misstrauen entgegen. Seitens mancher Nichtregierungsorganisationen wurde behauptet, die Kommission behandle in von ihr organisierten öffentlichen Konsultationen nicht alle Eingaben gleich - kurz: Es sei das große Geld, das unsere Entscheidungen diktiere, und nicht die Suche nach dem europäischen Gemeinwohl. Diese Kritik fand ich ungerecht, weil sie unterstellt, dass die Beamten der Kommission voreingenommen seien, obwohl sie hochprofessionell arbeiten und zudem den Regeln des »Kodexes für gute Verwaltungspraxis« unterworfen sind. Ungerecht auch, weil sie die Unabhängigkeit der Kommission in Frage stellte, die sich schon 2002 freiwillig Mindeststandards für ebensolche öffentlichen Konsultationen gegeben hatte. Diese Kritik zeigte aber: Die Art und Weise, wie in Brüssel Regelungen zustande kommen, und wie Lobbyisten darauf einwirken, wurde als unergründliche Black box wahrgenommen. So konnten Misstrauen und Verdächtigungen wachsen. Eine solche Situation ist gefährlich für eine demokratische Institution wie die Europäische Kommission, die auf die Unterstützung der Bürger angewiesen ist. Als Vizepräsident mit Zuständigkeit für Verwaltung, Anhörungen und Betrugsbekämpfung sah ich es als meine Aufgabe an, das Vertrauen der Bürger in die Arbeit der Europäischen Kommission zurückzugewinnen. Weil die Kommission davon überzeugt ist, dass Offenheit und Ehrlichkeit der beste Weg sind, um Vorurteile zu
bekämpfen, hat sie sich entschieden, die Blackbox zu öffnen, um zu beweisen, dass es in Brüssel nichts zu verstecken gibt. Eines stand von Anfang an fest: Lobbying -oder Interessenvertretung - ist ein völlig natürlicher Bestandteil in einer Demokratie. Dass Bürger oder Organisationen versuchen, Entscheidungen zu beeinflussen, von denen sie potenziell betroffen sind, halte ich für selbstverständlich. Darüber hinaus können so die Entscheidungsträger, mit unterschiedlichen Informationen und Fachwissen ausgerüstet, besser entscheiden. Dazu müssen allerdings zwei Bedingungen erfüllt sein: Möglichst alle interessierten Kreise sollen die Chance haben, sich zu beteiligen - und dieser Prozess der Interessenvertretung muss offen und transparent gestaltet sein.

Um die erste Bedingung zu erfüllen, stellt die Gemeinschaft in manchen Fällen finanzielle Unterstützung bereit, damit bestimmte Interessengruppen auf europäischer Ebene Gehör finden (z. B. Verbraucher, Behinderte, Umweltschutz usw.). Das Register der Interessenvertreter, verfügbar in 22 Sprachen, erfüllt die zweite Bedingung - Lobbying muss transparent sein: Alle Organisationen, deren Tätigkeiten die Politikgestaltung und den Entscheidungsprozess der europäischen Institutionen zu beeinflussen versuchen, sind aufgefordert, sich in das Register einzutragen. Dabei müssen sie angeben, wen sie vertreten, welche Ziele sie verfolgen und welche Politikbereiche für sie von Interesse sind. Zudem können sie ihre wichtigsten Lobbytätigkeiten und ihre Mitgliedschaften in Interessenverbänden beschreiben. Lobbyisten müssen außerdem Finanzinformationen offenlegen, damit die hinter ihrer Tätigkeit stehenden Interessen erkennbar sind. Organisationen, die im Auftrag Dritter Lobbyarbeit betreiben, müssen die Namen ihrer Auftraggeber angeben. Alle Organisationen im Register bekennen sich außerdem zu einem Verhaltenskodex, der ihnen sieben eindeutige Verhaltensregeln für ihre Beziehungen mit der Kommission gibt.

All diese Informationen werden öffentlich im Internet verfügbar sein und ein Suchformular garantiert, dass interessierte Bürger auch gezielt nach bestimmten Organisationen suchen können. Seit dem 23. Juni ist das Register online verfügbar - und die ersten Monate bestätigen meine ursprüngliche Zuversicht: Dieses Register schafft deutlichen Informationszuwachs und bringt mehr Licht als je zuvor in die Brüsseler Lobby-Aktivitäten.