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Brüsseler Sicht

erschienen in Clara, Ausgabe 7,

Bei einem ersten Treffen Ende Januar mit Betriebsräten und Gewerkschaftern aus acht Ländern, darunter aus Finnland, Ungarn und Rumänien, kritisierten die Beteiligten die Schließung des Nokia-Werkes in Bochum sowie die Handlungsweise des Managements. Die Gewerkschafter einigten sich darauf, vor der entscheidenden Aufsichtsratssitzung zu einem Außerordentlichen Treffen des Europäischen Betriebsrates von Nokia einzuladen. Auf gemeinsame Aktionen konnten sie sich allerdings nicht verständigen.
In Finnland selbst gilt Nokia als »heilige Kuh«. Das erschwert es dortigen Linken, über die Strategien des Konzerns aufzuklären. Das verstehen ihre Freundinnen und Freunde in Rumänien gut. Sie wurden schon oft mit Vorwürfen konfrontiert, sich »unpatriotisch« zu verhalten. Ihre Kampagne gegen die EU-Dienst-leistungsrichtlinie wurde als »Gefährdung des Beitritts zur EU« diffamiert. Dennoch übergaben Peter Damo und seine Mitstreiter/-innen von der Metallarbeitergewerkschaft unserer Fraktion im Europaparlament mehr als 3000 Unterschriften!
Sie haben ihre wichtigste Basis in Cluj, wo Nokia nun seit Anfang Februar produziert. Dort leben zahlreiche Menschen von monatlich bis zu 130 Euro, Hochschullehrer/-innen von 155 Euro. Die Aussicht auf ein Monatsgehalt bei Nokia von vielleicht 170 bis 238 Euro macht es keineswegs einfach, Solidarität mit jenen in Bochum zu fordern, die ihren Arbeitsplatz verlieren würden. Die Bochumer Löhne sind für die in Cluj auf Nokia Hoffenden unvorstellbar. Dort verspricht man sich nicht »nur« Beschäftigung in dem neuem Werk, sondern einen Ausbau der Infrastruktur, weitere Industrie-ansiedlungen, neue Anbieter von Dienstleistungen, Lehrstellen - Zukunftsaussichten für die Jugend,
Impulse für die Regionalentwicklung.
Die Gewerkschafter, die sich auch gleichzeitig im Europäischen Sozialforum engagieren, argumentieren nicht: »Eure Träume sind Bochums Unglück.« Schließlich gibt es drei bis vier Millionen Rumäninnen und Rumänen, die Perspektivlosigkeit in die alten EU-Mitgliedsländer trieb. Dort sind sie mehr oder weniger illegal beschäftigt und eher ungezügelter Unternehmerwillkür ausgesetzt.
Nein, sie zeigen auf, wie ein transnationaler Konzern kalkuliert und plant, wobei es eben nicht »nur« um Ersparnisse bei den Löhnen geht. Der Anteil der Lohnkosten von etwa fünf Prozent Anteil an den Herstellungskosten ist nicht alleiniges Kriterium für Standortentscheidungen. Nokia geht es insbesondere um Nähe zu neuen Märkten - Osteuropa, die GUS-Staaten, die Türkei, der Balkan, der Mittlere Osten. Das Unternehmen wird sich nicht in Cluj »eingraben«, sondern »weiterziehen«, wenn es ihm günstig erscheint. Politischer Druck von unten ist deshalb nötig, um die Prioritäten herrschender Politik sowohl in den EU-Mitgliedsländern als auch in der EU zu verändern.
Das war eine Hauptbotschaft der rumänischen Sozialforumsaktivitäten am Global Action Day, dem 26. Januar 2008. Ihre Forderungen lauten: den Kampf gegen Armut und soziale Ausgrenzung intensivieren, für die Bestimmung und Realisierung sozialer und ökologischer Mindeststandards mobilisieren, auf allen Verwaltungsebenen die politischen Handlungsmöglich-keiten gegenüber transnationalen Konzernen ausschöpfen. Das verlangt auch, die Kommunikation und Kooperation zwischen Betriebsräten und Gewerkschaftern »grenzüberschreitend« zu organisieren.
Das Beispiel Nokia zeigt erneut die Dringlichkeit gemeinsamer Aktionen auf: Gegen soziale und territoriale Spaltungen, gegen ein Ausspielen von Belegschaften in der EU vorzugehen, heißt auch für die Abgeordneten der Linksfraktion im Europaparlament gemeinsames Engagement gegen Armut, gegen weitere wirtschaftspolitische Deregulierung, für die Einführung armutsfester sozialer Mindeststandards, einer einheitlichen Steuerbasis und einheitlicher Steuersätze für Unternehmensgewinne, keine Gewährung von Fördermitteln und anderen Subventionen an trans-nationale Konzerne und Rückzahlung ausgereichter Fördermittel bei Produktionsverlagerung.