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Bezahlbares Wohnen ist eine öffentliche Aufgabe

erschienen in Klar, Ausgabe 45,

Stuttgart ist eine der teuersten Wohnstädte. In welchem Ausmaß inzwischen?

Thomas Adler: Heribert Prantl schrieb kürzlich in der Süddeutschen Zeitung, dass die Mietenfrage die Sprengkraft des Brotpreises aus dem 18. Jahrhundert hätte. Der Brotpreis war damals Auslöser von Massenprotesten und Rebellion. Davon sind wir in Stuttgart noch ein Stück entfernt, aber die potenzielle Sprengkraft ist da. Seitdem ich im Gemeinderat arbeite, konnte ich verfolgen, wie Wohnungen mit Mietpreisbindung kontinuierlich abnehmen. Hatten wir 1987 noch 35.000 Sozialwohnungen, waren es 2017 nur 14.500. Aber 100.000 von etwas über 600.000 Stuttgartern hätten einen Anspruch auf eine Sozialwohnung. Das heißt, 85 Prozent von ihnen gehen leer aus.

 

Wie könnte die Kommune das ändern?

Wesentliche Stellschrauben liegen nicht auf kommunaler Ebene, sondern auf Bundesebene. Die Umlagefähigkeit von Modernisierung beispielsweise. Ein enormer Faktor, mit dem die Wohnungsbaugesellschaften die Mieten nach oben treiben. Kleine Einkommen werden so aus der Stadt rausgebaut. Trotzdem hat die Kommune Steuerungsmöglichkeiten. Sie muss es nur wollen. Das beginnt bei der politischen Grundorientierung an der Verwaltungsspitze: Wem soll die Verwaltung mit ihrer Mieten-, Wohnungs- und Städtebaupolitik dienen? Ist sie Dienstleister der Investorengruppen oder Dienstleister der kleinen Leute in der Stadt? Schon da hapert es in Stuttgart enorm.

 

Warum? Stuttgart hat immerhin einen grünen Oberbürgermeister.

Der Oberbürgermeister hat in seinem Wahlkampf 2012 zwar Mieten und Wohnen zu einem zentralen Thema gemacht. Tatsächlich hat der Berg zwar gekreißt, aber nur eine Maus geboren. 2013 hat er zum sogenannten »Bündnis für Wohnen« geladen. Da sitzen Verwaltungsspitze inklusive OB im Wesentlichen mit Immobilienunternehmen zusammen. Mit Leuten also, die nicht an sozialer Wohnungsversorgung, sondern primär am Geschäft mit Wohnraum interessiert sind.

 

Mit welchen Folgen?

Die Stadt plant, ihre letzten großen zusammenhängenden Areale verbilligt an Immobilienunternehmen zu verkaufen, gibt eine Renditegarantie von 4 Prozent, und die Immobilienunternehmen verpflichten sich dafür, dort eine bestimmte Anzahl an preisgebundenen Wohnungen zu bauen. Das ist ein Irrweg. Schon weil dieses Fördermodell für soziale Mietwohnungen eins mit Drehtüreffekt ist. Die Stadt privatisiert die eigenen Grundstücke, die soziale Mietpreisbindung ist aber zeitlich begrenzt. Die Stadt kauft also nur eine »soziale Zwischennutzung«.

 

Wird das von den Mieterinnen und Mietern einfach so hingenommen?

Der Protest nimmt langsam Fahrt auf. Bei den Ratsmehrheiten perlen unsere Konzepte zum Schutz der Mieterinnen und Mieter bisher weitgehend ab wie Wasser vom Taucheranzug. Ebenso unser Vorschlag, mit einem Gemeindewohnungsbau nach Wiener Vorbild leistbare Mietwohnungen zu schaffen. Der außerparlamentarische Druck muss stärker werden. Deshalb haben wir das Aktionsbündnis Recht auf Wohnen mit initiiert und zum Beispiel eine Hausbesetzung im Stuttgarter Stadtteil Heslach unterstützt. Sie hatte enorme öffentliche Resonanz, weil damit die ganze Misere und Verdrängung von Leuten mit mittlerem und kleinem Geldbeutel ins Scheinwerferlicht gerückt wurde. Kürzlich sind 150 Vonovia-Mieter und -Mieterinnen zu einer stadtweiten Mieterversammlung gegen die Vonovia-Mietpreistreiberei zusammengekommen. Wir sind optimistisch, dass die Mieterproteste und die Vernetzung weiter Fahrt aufnehmen!

Gespräch: Gisela Zimmer

 

Zur Person:

Thomas Adler (DIE LINKE) ist Fraktionsvorsitzender der Fraktionsgemeinschaft aus SÖS, DIE LINKE, Piraten und Studentischer Liste im Gemeinderat Stuttgart und ihr wohnungspolitischer Sprecher. Bis 2012 war er 28 Jahre lang Mitglied des Betriebsrats im Daimler-Werk Untertürkheim.