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Besetzt. Gestreikt. Gehungert.

erschienen in Klar, Ausgabe 46,

Bischofferode in Thüringen war das Zentrum des Kalibergbaus in der DDR. Im April 1993 besetzten 500 Bergleute das Kaliwerk »Thomas Müntzer«. Mit einem Hungerstreik protestierten sie gegen die Abwicklung durch die Treuhand. Gerhard Jüttemann arbeitete als Dreher im Kaliwerk und war stellvertretender Betriebsratsvorsitzender.

Sie haben damals die Protestbewegung gegen die Treuhand mitinitiiert. Was haben Sie erreicht?

Wir haben den Arbeitskampf verloren. Der zielte darauf ab, die Arbeitsplätze in Bischofferode zu erhalten. Trotzdem haben wir den Verantwortlichen sehr viel abgerungen. Mit Hilfe von Bodo Ramelow. Er war damals Gewerkschaftsvorsitzender und kannte sich mit Verhandlungen aus. Wir erreichten einen Sozialplan, ein Schmerzensgeld, und zwei Jahre wurde niemand entlassen. Außerdem haben wir vielen Menschen im Osten ein bisschen Mut gemacht, sich zu wehren.

Warum hat die Treuhand den Kalibergbau in Bischofferode abgewickelt?

Die Treuhand hat auf Drängen von BASF und Kali und Salz den Fusionsgedanken aufgegriffen. Bischofferode hat der BASF einfach nicht ins Konzept gepasst. Wir haben unsere Produkte vor allem nach Nord- und Westeuropa geliefert, waren also die größten Konkurrenten für BASF. Indem sie unsere Produktion abschnitten, zwangen sie die Abnehmer, das Kali aus Hessen zu kaufen.

Das Ziel der Treuhand war es eigentlich, Arbeitsplätze zu erhalten!

(lacht) Das haben sie auch geschafft, aber fast ausschließlich in Westbetrieben. Die Ostbetriebe hat man abgewickelt. Von den 30000 Arbeitsplätzen in der Kaliindustrie sind gerade mal 10 Prozent übrig geblieben. Im Weltmaßstab stand Kali-Ost damals vor dem Westunternehmen Kali und Salz. Letztlich hat die Treuhand Gelder zweckentfremdet, um einen großen Konzern im Westen zu sanieren und zu retten.

Das Interview führte Malte Daniljuk

 

Treuhand-Trauma

Der Runde Tisch erteilte im März 1990 der Treuhand den Auftrag: »Das Volkseigentum wahren und im Interesse der Allgemeinheit verwalten.«

Infokasten

Die Treuhand kontrollierte

• etwa 14000 Betriebe mit mehr als 4 Millionen Beschäftigten.
• 2,4 Millionen Hektar Wald und 25 Milliarden Quadratmeter Immobilien.
• Viele Betriebe wurden abgewickelt oder aufgespalten.

Die Folgen

• Bis 1993 verschwanden gut 4,361 Millionen Arbeitsplätze.
• Bis 1994 wurden 3 Millionen Ostdeutsche arbeitslos oder in »arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen« geparkt.
• Noch 1998 waren fast 2,5 Millionen Menschen in Ostdeutschland auf Arbeitssuche.

Die Kosten

• Treuhandchef Detlev Karsten Rohwedder schätzte den Wert des DDR-Volksvermögens auf etwa 300 Milliarden Euro.
• Nach der Auflösung hinterließ die Treuhand einen Schuldenberg von mehr als 125 Milliarden Euro.

Aufarbeitung

• Klagen und Verfahren wegen Insiderhandels, Preisabsprachen und Subventionsbetrugs.
• Prominente Fälle: Kombinat Schiffbau in Rostock, VEB dkk Scharfenstein, Aufbau Verlag, VEB Wärmeanlagenbau in Berlin.
Untersuchungsausschüsse von 1993 bis 1998 ohne Einsicht in die vollständigen Akten.