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Auf Augenhöhe

Von Matthias Höhn, erschienen in Klar, Ausgabe 46,

Deutschland debattiert kritischer denn je den Stand der Deutschen Einheit. Es geht 30 Jahre nach der friedlichen Revolution längst nicht nur darum, wie groß der Abstand bei Renten, Löhnen oder Wirtschaftskraft ist. Der Abstand an sich ist das Problem. Die Zurücksetzung der Ostdeutschen, die sich verfestigt, muss schwinden.

Bei jedem Besuch, bei jedem Familientreffen in Ostdeutschland ist es Thema. Alle, die alt genug sind, wissen, wer die Leitungs- und Topfunktionen hier besetzt. Politik und Medien haben das Thema lange weggedrückt. Aber was im Jahr 1990 noch erklärbar war, ist es heute nicht mehr. Warum setzt man den Ostdeutschen meist westdeutsche Vorgesetzte vor die Nase? In nicht wenigen ostdeutschen Städten kommen alle gehobenen Amtsinhaberinnen und -inhaber aus dem Westen: der Bürgermeister, der Sparkassendirektor, der Präsident des Landgerichts, die Rektorin oder der Rektor der Universität.

Die Fähigkeiten des Einzelnen spielen keine Rolle. Ostdeutsche haben fast keine Chance, in der eigenen Region in Spitzenfunktionen zu kommen. Und: Ostdeutschland scheint ein Erbhof westdeutscher Netzwerke zu sein. Die Leute haben nicht vergessen, wie viele Glücksritter in den 1990er Jahren kamen und sich die Filetstücke des Ostens schnappten.

Solche Erfahrungen sind auch mit der Treuhand verkettet. Die Ostdeutschen wählten die Demokratie, bekamen aber auch die Treuhand. Da war nichts mehr mit mehr Mitbestimmung, um die es doch eben noch gegangen war. Im Osten blieb kein Stein auf dem anderen. Die Privatisierung der Wirtschaft war einerseits eine bittere Wahrheitsstunde, was die Produktivität und Effizienz der DDR-Wirtschaft betraf, aber die Ostwirtschaft wurde auch bereinigt, um Platz zu schaffen für bestehende Konzerne in den alten Bundesländern.

Jede Region hatte ihren Skandal, ihren Betrieb, der trotz schwarzer Zahlen und entgegen aller Vernunft zerschlagen wurde: die Werft in Rostock, das Kombinat Schiffsbau, das Kalibergwerk in Bischofferode, der Industriestandort im ehemaligen Bezirk Halle, den die Greiner-Spekulationsgruppe zerschlug. Diese und andere Fälle gehören aufgeklärt und in die Öffentlichkeit. Die Linksfraktion wird dafür einen Untersuchungsausschuss im Deutschen Bundestag beantragen (siehe Seite 9).

Die Bundesregierung sollte abrücken von der Heldengeschichte Aufbau Ost, die allzu oft eine von Aufbau West war. Was damals zerschlagen wurde, konnte bis heute nicht neu entstehen. Die Betriebe der DDR wurden deklassiert und die dazugehörigen Menschen gleich mit ihnen.

Diese Deklassierung muss beendet werden. Ostdeutsche brauchen mehr Chancen auf allen Ebenen. Von einer gesetzlichen Quote ist die Rede, gleichzeitig wird jedoch die Umsetzbarkeit angezweifelt. Ich habe beim Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags angefragt. Dessen Aussagen nach hat eine Ostquote im Sinne einer Länderquote bereits verfassungsrechtlichen Rang. »Bei den obersten Bundesbehörden sind Beamte aus allen Ländern in angemessenem Verhältnis zu verwenden«, heißt es in Artikel 36 des Grundgesetzes. Damit ist die nun schon 70-jährige Verfassung der aktuellen Politik weit voraus.

 

Matthias Höhn, Sprecher für Ostdeutschland der Fraktion DIE LINKE