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Anstehen und betteln

erschienen in Klar, Ausgabe 29,

Wohnungen in Großstädten sind ein Luxus geworden. Für Klar hat ein Wohnungssuchender seine Erlebnisse aufgeschrieben.

Bisher habe ich Massenbesichtigungen für Wohnungen nur im Fernsehen gesehen. Jetzt, an diesem Montagabend, stehe ich inmitten einer Menschenschlange in einem Berliner Treppenhaus. Eine Wohnung für 7,75 Euro kalt pro Quadratmeter wird hier angeboten, für diesen Stadtteil, Prenzlauer Berg, mittlerweile ein richtiges Schnäppchen.

Die Menschenschlange vor mir erstreckt sich über zwei Etagen. Dicht gedrängt stehen hier Studenten, junge Familien. Manch einer kennt sich schon von anderen Wohnungsbesichtigungen. Sie alle wollen diese Wohnung sehen, sie alle wollen diesen Mietpreis zahlen, zudem die Provision: 1666 Euro. Wenigstens darf ich diese Wohnung sehen, ohne mich vorher mit all meinen privaten Daten darum zu bewerben.

Ein junger Mann kommt die Treppe heruntergelaufen und sagt: „Was für eine hässliche Wohnung.“ Mir ist nicht nach Scherzen zumute, ich fühle mich elendig, denn schon seit zwei Monaten suche ich nach einer Wohnung in Berlin. Bisher ohne Massenbesichtigungen, stattdessen mit Einzelterminen – aber ebenso erfolglos. Zu teuer, zu viele Mitbewerber und zu wenige Angebote. Mein bisheriges Highlight: Ich sehe eine Wohnung im Internet, will mich bewerben und lese wenig später den Hinweis: „350 Anfragen in sechs Stunden. Sorry an alle Leute, denen ich nicht zurückschreiben konnte.“

Als ich anfing zu suchen, da träumte ich noch davon, wie die erste gemeinsame Wohnung mit meiner Freundin aussehen sollte. Zwei Monate Wohnungssuche haben diese Fantasie zerstört. Mittlerweile bin ich bereit, alles zu nehmen, egal, wie hoch die Provision ist, wie dreckig die Bude aussieht. Ich schaue nur noch nach dem, was ich kriegen kann, nicht mehr nach dem, was ich will. Trotzdem bisher keine Zusage.

Zugleich weiß ich um meine privilegierte Situation. Ich bin 29 Jahre alt, habe eine Festanstellung und ein Einkommen von 2300 Euro netto. Zumindest theoretisch könnte ich mir leisten, was vor allem in Großstädten ein Luxus geworden ist: eine Mietwohnung in der Innenstadt. Sofern man den Zuschlag unter den Mitbewerbern erhält.

Es dauert 20 Minuten, bis ich die Wohnung im Prenzlauer Berg sehen darf. So lang ist die Schlange vor der Tür, an der der Makler wartet, der eigentlich wie ein Türsteher wirkt und unglaublich fröhlich sagt: „Die nächsten bitte, herein.“ Für eine Sekunde noch denke ich, warum nimmt er eigentlich keinen Eintritt, aber dann weiß ich nicht, wohin ich im Flur gehen soll – so vollgestopft ist er mit Menschen. Mittendrin die derzeitige Mieterin. Sie blickt entnervt den Makler an und sagt: „So viele Menschen.“ Lachend sagt er: „Ach, das ist doch gar nichts, gestern hatte ich 100 bei einer anderen Wohnung.“

Der Makler ist der einzige, der hier lacht, während sich all die Menschen von einem Raum zum nächsten drängeln. Einige bedrängen den Makler, wollen ihm die Bewerbungsunterlagen gleich in die Hand drücken. „Nee, schicken se mir das mal per Mail zu.“

In das Zimmer, in dem ein Kind auf dem Boden sitzt und mit dem Vater spielt, traue ich mich kaum rein. Ich will hier nur weg. Ich dränge mich an der wartenden Menschenschlange das Treppenhaus hinunter zum Ausgang. Luft holen. In meinem Kopf die Enttäuschungen einer zweimonatigen Wohnungssuche: die erfolglosen Bewerbungen, die unbeantworteten Anfragen und dieses Betteln, um einen Termin oder wenigstens eine Absage zu bekommen. Mir beginnt zu dämmern, dass Wohnungsnot nicht nur ein Thema für einkommensschwache Menschen ist, sondern fast jeden betrifft, der in einer Großstadt eine Wohnung sucht.

Der Autor hat sich gegen eine Nennung seines Namens entschieden, weil einer Umfrage zufolge fast jeder zweite Vermieter im Internet nach Informationen über Mietbewerber recherchiert und diese die Entscheidung beeinflussen.