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Anpfiff gegen rechts

erschienen in Clara, Ausgabe 45,

Im Verhandlungssaal 200 des Amtsgerichts in Paderborn muss sich Ezgi Güyildar Mitte September gegen den Vorwurf verteidigen, sie habe einem Polizisten Schmerzen zugefügt. Bei einer Veranstaltung der AfD vor gut einem Jahr auf dem Kirchvorplatz in Paderborn gehörte sie zu etwa 300 Gegendemonstranten, die lautstark ihren Unmut bekundeten. Auf die Frage, warum sie an dem Protest teilgenommen habe, sagt die 30-Jährige: »Wir wollten zeigen, dass es auch das andere, bunte und tolerante Deutschland gibt.« Die Kommunalpolitikerin ist Stadträtin der Partei DIE LINKE in Essen und engagiert sich neben ihrer Arbeit für Kinder und Jugendliche vor allem gegen alte und neue Nazis.

Und so blies Ezgi Güyildar an jenem Protesttag wie viele andere auch in ihre rote Trillerpfeife. Ein 1,88 Meter großer Polizist spricht die Stadträtin an, sie solle mit diesem Pfeifen aufhören. Die gerade mal 1,58 Meter große Frau aus Essen ist zwar irritiert, pfeift aber weiter. Der Polizeibeamte verlangt die Personalien und erstattet Anzeige. »Ich dachte zunächst, es sei ein Scherz. Dass ich deswegen hier vor Gericht lande, hat mich schockiert«, sagt sie am Verhandlungstag. Durch die Pfiffe, so die Anklage, habe der Polizist sich bedrängt gefühlt und schließlich Schmerzen davongetragen. »Das ist Körperverletzung«, argumentierte Staatsanwalt Frank Stegen und forderte per Strafbefehl 300 Euro.

Dem Mann mit weißem Schlips und grauem Haar auf dem Platz der Staatsanwaltschaft dämmerte aber wohl in den Tagen vor der Verhandlung, dass dieses Verfahren nach den ausführlichen Zeitungsberichten, auf Onlineplattformen, im Radio und Fernsehen mehr unangenehme Fragen bringen und viel Zeit und Nerven kosten würde. Denn der Vorsitzende Richter Michael Vondey erklärte: »Der Herr Staatsanwalt möchte einen Vorschlag machen«, das Verfahren könne nach Paragraf 153 StGB eingestellt werden. Voraussetzung sei eine Entschuldigung der Angeklagten.

»Die Versammlungsfreiheit ist ein hohes Gut, die körperliche Unversehrtheit auch«, erläutert der Richter. Es habe zwei be- und einen entlastenden Zeugen gegeben. Dass die beiden Belastungszeugen Kollegen des Beamten waren, blieb am zweiten Verhandlungstag unerwähnt. Rechtsanwalt Ernesto Klengel verteidigt seine Mandantin, sie habe sich nichts vorzuwerfen, es gebe keinen Grund für eine Entschuldigung. »Wir können gern weitere Zeugen aufrufen und auch ein Pressefoto zeigen, das die Situation von damals wiedergibt«, so der Anwalt. Der Fotograf könnte die Darstellung des Polizisten unhaltbar machen.

»Bestehen Sie weiter auf Fortsetzung?«, fragt der Richter den Staatsanwalt. Der nickt, erntet Kopfschütteln im Saal. Vielleicht, so versucht Michael Vondey vom Richterstuhl aus die Lage zu retten, könne die Angeklagte ja einräumen, dass sie bei Demonstrationen keinerlei Körperverletzungsabsicht hegte. »Das ist klar, dass meine Mandantin nie die Absicht hat und hatte, jemanden zu bedrängen oder zu verletzen. Das hat sie auch nicht getan«, entgegnet Anwalt Klengel. Am Ende hebt der Staatsanwalt die Arme und nickt. Beim Richter kommt die Geste an und wird verstanden. Das Verfahren wird eingestellt, der Forderung des Anwalts von Ezgi Güyildar, dass »der Staat alle Kosten übernimmt, einschließlich der Verfahrenskosten«, wird ebenfalls entsprochen. Und der Staatsanwalt vermittelt das Gefühl, er möchte nur noch raus – aus dieser Farce, die er selbst angezettelt hat.

Frank Schwarz