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Anders leben, anders wirtschaften, anders denken

Von Katja Kipping, Caren Lay, Sabine Leidig, Martina Renner, Sahra Wagenknecht, Halina Wawzyniak, Sabine Zimmermann, Pia Zimmermann, erschienen in Lotta, Ausgabe 10,

Partei und Fraktion DIE LINKE und die Rosa-Luxemburg-Stiftung luden in diesem Frühjahr zu einer ersten Linken Woche der Zukunft ein. Über eintausend Frauen und Männer, dazu Kinder, in jedem Alter und aus allen Regionen der Bundesrepublik besuchten an den vier Tagen die Diskussionen, Werkstätten, Vorträge, Filmveranstaltungen, Lesungen und andere Kulturangebote  Immer ging es um die Frage: Wie wollen wir arbeiten, wie wollen wir leben in Zukunft? Expertinnen und Experten aus vielen Wissenschaftsbereichen, aus Gewerkschaften  und aus der Politik, aber auch Praktiker aus unzähligen Projekten standen Rede und Antwort. Die Neugier und die Beteiligung der Besucher machte Mut. Doch was bleibt jetzt für die Tage danach? Acht Frauen aus der Fraktion erzählen, was sie von der Woche der linken Zukunft in ihren Alltag mitgenommen haben und umsetzen wollen.

Zukunft geht nur mit Frauen

Wenn ich an die Zukunft, denke, dann stelle ich mir eine Gesellschaft vor, an der alle Menschen gleichberechtigt teilhaben: an Arbeit, Fürsorge und Selbstsorge, an der gemeinsamen und demokratischen Gestaltung der Gesellschaft. Wenn wir uns in eine solche Zukunft aufmachen wollen, weiß ich nicht, wie der Weg anders als vom Standpunkt der Frauen  aus zu beschreiten wäre. Dass es holprig wird, wir vielleicht auch mal falsch abbiegen, wird sich schwer vermeiden lassen. Was wir jedoch gerade in Deutschland und Europa sehen, ist mehr als nur einmal falsch abzubiegen. Wird die neoliberale Austeritätspolitik, die zu Armut und Prekarität führt, die den Boden für rechte, konservative und antifeministische Ideen bereitet, fortgesetzt, landen wir alle früher oder später in einer Sackgasse. Dass Frauen diejenigen sei  werden, die zuerst und besonders betroffen sein werden, können wir bereits jetzt an vielen Beispielen sehen oder erahnen. Deswegen brauchen wir einen Kompass, der uns im Widerstand gegen diese Entwicklung auf dem richtigen Kurs hält. Für mich ist das die Vier-in-einem-Perspektive. Nicht mehr und nicht weniger.

Katja Kipping ist sozialpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE und Parteivorsitzende

 

 

„Die Vergangenheit frisst die Zukunft“…

… sagte der Ökonom Thomas Piketty mit Blick auf die wachsende Ungleichheit. Um die Ansprüche der Reichen auf das künftige Sozialprodukt zu erfüllen, wird längst Raubbau an Mensch und Natur betrieben. Der Leistungsdruck macht viele Beschäftigte krank. Natürliche Ressourcen werden schneller vernutzt, als sie sich regenerieren können. Verschuldete Staaten werden zu gnadenlosen Sozialkürzungen genötigt. Proteste gegen diese Politik werden kriminalisiert, Wahlergebnisse – wie in Griechenland – einfach ignoriert. Doch die größte Bedrohung für unsere Zukunft ist die Erwartung, sie Anders.

Machen. Unter diesem Motto wurde am 20. Juni in Berlin gegen die deutsche Flüchtlings- und Griechenlandpolitik demonstriert. Der Kampf für ein demokratisches und solidarisches Europa ist nicht verloren. Er fängt gerade erst an!

Sahra Wagenknecht ist 1. stellvertretende Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE

Offene Fragen statt einfache Antworten

Wie wollen wir in Zukunft pflegen und gepflegt werden? Diese Frage ist untrennbar verbunden mit der Frage, wie wollen wir zukünftig leben und arbeiten. Denn Lebens- und Arbeitsverhältnisse stehen in einem direkten Wechselverhältnis zu den Pflege- und Sorgeverhältnissen. Im Englischen steht dafür der mehrdimensionale Begriff Care. Care, die Sorge um uns und andere, in die Gesellschaftsanalyse miteinzubeziehen, war und ist ein feministisches Anliegen. Nicht nur, weil in diesem Bereich mehrheitlich Frauen – entlohnt oder unentgeltlich zu Hause – tätig sind, sondern auch, weil der Blick auf Leben und Arbeit insgesamt geweitet wird. Die Diskussion dazu ist offen und gerade mal am Anfang Die Linke Woche der Zukunft stellte erfreulicherweise viele richtige Fragen, anstatt einfache Antworten auf eine komplizierte und komplexe Materie zu liefern. Bei den Debatten kamen verschiedene Akteure miteinander ins Gespräch. Gleichzeitig habe ich während der Veranstaltungen ein großes „Wir-Gefühl“ erlebt – eine gute Grundlage für eine solidarische Diskussion und für ein solidarisches Miteinander.

Pia Zimmermann ist pflegepolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE

 

Nulltarif im Nahverkehr

Ich habe als Schlüsselsatz aus einer Podiumsrunde aufgeschrieben: „Umverteilung reicht nicht – wir brauchen Umbau – sozial-ökologisch-demokratisch.“ Die allermeisten – und vor allem Frauen – wissen, dass unsere Lebensweise die natürlichen Lebensgrundlagen zerstört. Klimawandel, Artensterben und Raubbau an Bodenschätzensind die Folgen der kapitalistischen Produktions- und Konsummaschinerie. Wir sind eingespannt als Arbeitskräfte und Konsumentinnen. Die Frage ist: Was muss verändert werden? Politisch, gesetzlich, kulturell, damit „gutes Leben“ hier bei uns nicht zulasten der Menschen im globalen Süden geht und auf Kosten unserer Kinder? Darauf theoretische und praktische Antworten zu finden, sehe ich als die zentrale Herausforderung für DIE LINKE. Es gibt viele individuelle und gemeinschaftliche Vorhaben, dem zerstörerischen Wachstumszwang zu entkommen: Tauschringe, Stadtgärten, solidarische Wohnprojekte,

 Autoverzicht. Das ist gut, reicht aber nicht. Mein konkretes „Umbauprojekt“ ist der Nulltarif im öffentlichen Nahverkehr. Wir wollen mehr und bessere Bus- und Bahnangebote, die alle jederzeit nutzen können, mit einer solidarischen Umlage und Nahverkehrsabgabe finanzieren. Weniger Autos, mehr Ruhe und Raum für Kinder, Fußgänger und Radlerinnen – damit verbinden wir sattes Rot mit kräftigem Grün.

Sabine Leidig ist verkehrspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE

 

Nehmt die digitale Welt in eure eigenen Hände

Digitale Revolution ist ein Schlagwort, hinter dem sich verbirgt, dass unser aller Leben sich grundlegend ändert. Sie ermöglicht mehr Transparenz und Offenheit, zugleich aber auch mehr Ausbeutung, mehr Überwachungund die Vernichtung von Arbeit. Frauen sind mittendrin im Geschehen, aber sie bestimmen den Diskurs nicht. Die Wikipedia wird zu 90 Prozent von Männern gestaltet, mehr als 60 Prozent der Blogs werden von Frauen geschrieben, in der öffentlichen Wahrnehmung aber werden die männlichen Blogger gefeiert. Neue Arbeitszeitmodelle und mehr Teilhabe sind möglich, aber alles muss erkämpft werden, denn alles kann sich auch ins Gegenteil verkehren Aus meiner Sicht hat der Zukunftskongress sich diesem großen Thema zu wenig gewidmet. Wer heute über Arbeit redet, muss über digitale Arbeitswelten sprechen, darüber, wie grundlegend sie unser Leben und uns verändern. Wer über Geschlechtergerechtigkeit nachdenkt wird sich Gedanken darüber machen müssen, wie sie in einer von Algorithmen bestimmten Welt herzustellen ist.

Halina Wawzyniak ist netzpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE

Soziale Dienstleistungen – ein Baustein für mehr Gleichstellung

Es gibt zu wenig gute, öffentlich organisierte soziale Dienste in Deutschland. Dabei ist der Bedarf bei Kindererziehung, Bildung und Pflege nach wie vor nicht gedeckt. Diese Schere erschwert die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erheblich und überfordert Angehörige. Das sind meistens Frauen. Erziehungs- und Pflegearbeit wird auf den privaten Bereich abgeschoben. Dabei könnten mehr und bessere soziale Dienstleistungen eine höhere Erwerbstätigkeit und Entgeltgleichheit für Frauen befördern. Der ganze Bereich ist jedoch unterfinanziert. Gleichzeitig ist diese überwiegend weibliche Erwerbsarbeit oft prekär, niedrig entlohnt und mit hoher Arbeitsbelastung verbunden. Mehr und bessere soziale Dienstleistungen würden ein wichtiger Baustein zum Abbau der Benachteiligung und für mehr Gleichstellung von Frauen sein. Ich plädiere dafür, das zu einem zentralen Projekt der Fraktion DIE LINKE zu machen.

Sabine Zimmermann ist arbeitspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE

 

Solidarisch und ökonomisch

Es gibt eine Vielzahl selbstverwalteter Betriebe und alternativer Projekte, die bedarfsgerecht statt profitorientiert arbeiten, die demokratische, hierarchiefreie Entscheidungsstrukturen im Betrieb haben und die nachhaltig produzieren. In Lateinamerika haben selbstverwaltete Betriebe inzwischen eine große Bedeutung und sind zu einem wichtigen Anker sozialer Bewegungen geworden. Das alles ist nicht automatisch mit einem feministischen Anspruch verbunden. Aber solidarische Ökonomie bietet das Potenzial, die patriarchale Abwertung der sozialen Reproduktion infrage zu stellen und Hierarchien zwischen den Geschlechtern abzubauen: ein wichtiger Baustein auf dem Weg zu einer feministischen, ökologischen und

 solidarischen Ökonomie!

 Caren Lay leitet den Arbeitskreis Regional- und Strukturpolitik der Fraktion DIE LINKE

 

 

Eine Flüchtlingspolitik des Willkommens

Wir stecken mitten in einer neuen Phase rassistischer Mobilisierung und enthemmter rechter Gewalt gegen Flüchtlinge, gegen ihre Unterkünfte und gegen Menschen, die sich in der Flüchtlingshilfe engagieren. DIE LINKE ist die Partei der Flüchtlingshelfer und -helferinnen – mit der Betonung auf Helferinnen. Denn es sind insbesondere Frauen, die sich in den Kommunen, in den Unterkünften, in den Bündnissen konfrontiert mit Unverständnis, sogar Anfeindungen in Gemeinderäten, in der Nachbarschaft, in der Öffentlichkeit. Es geht um die Verteidigung einer solidarischen Gesellschaft, aber auch um elementaren Schutz der Schwächsten. Eine Flüchtlingspolitik des Willkommens, die den Schutz der Menschenrechte auch für Flüchtlinge in den Mittelpunkt stellt, ist die soziale Frage im Jahr 2015.

Martina Renner ist für die Fraktion DIE LINKE Obfrau im NSA-Untersuchungsausschuss