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Tatort Bundestag

Periodika,

Peter Sodann: Volksvertreter ohne Mandat

An Missetaten anderer Menschen teilzuhaben, scheint jedem von uns großes Vergnügen zu bereiten. Anders lässt sich der Erfolg der Krimiserie »Tatort« seit mehr als 35 Jahren nicht erklären. Tatort ist Kult, und seine Kommissare sind Garanten für hohe Einschaltquoten. Wenn einer der beliebtesten Jäger von TV-Verbrechern das Revier wechseln will - zum Beispiel in den Bundestag und auch noch ausgerechnet zu den Linken -, dann ist das eine Mega-Schlagzeile wert. Wenn er es sich dann anders überlegt, ebenso. So geschehen 2005 zur Bundestagswahl. Dabei wäre Peter Sodann eine gute Besetzung gewesen - wenn es denn tatsächlich eine Tatortfolge aus dem Bundestag gegeben hätte. Hat es aber (noch) nicht, obwohl das Hohe Haus genügend Stoff für einen Krimi böte. Und so ist Sodanns Entscheidung, doch lieber ein politischer Schauspieler denn ein schauspielernder Politiker zu werden, nur zu begrüßen. Seele und Verstand hat er mit dem Rückzug von seiner Blitzkandidatur dennoch nicht verkauft. Der Querdenker Sodann mischt sich weiter ein in die Politik und in die Kunst.

»Tatort und Bundestag haben gewisse Ähnlichkeiten.«

Der TV-Tatort und der Bundestag hätten durchaus Ähnlichkeiten, meint er. Der Tatort sei von vornherein so angelegt, dass keine großen Probleme gelöst werden sollen - zum Beispiel Wirtschaftsverbrechen, und Lobbyismus. Das alles käme in den Drehbüchern nicht vor. Außerdem täten Tatortkommissare nur unwissend, denn sie kennen schließlich das Drehbuch. Und, ist das so anders als in der Politik, fragt Peter Sodann mit dem Blick von Bruno Ehrlicher - leicht schelmisch von unten nach oben. Politik lebe vom »Eventdenken« genauso wie der Tatort. Die Linken haben neuen Wind in den Bundestag gebracht - das sei gut. Aber Wind müsse auch etwas vorantreiben - und das sehe er noch nicht. Deshalb muss linke Politik zu allererst aufklären und bilden. Aufklären ist eine Leidenschaft von Peter Sodann. Geschickt jongliert er mit eigenen Gedanken und Bonmots der Klassiker.

»Eigentum verpflichtet - ein Nachsatz für Blöde.«

Zu seinen meist gebrauchten Kernsätzen gehört einer aus dem Grundgesetz: »Eigentum verpflichtet«. Das sei allerdings ein Nachsatz für die Blöden, oder sieht man - fragt er mit bestechend einfacher Logik - dass es verpflichtet? Das Gegenteil sei der Fall. Die Väter des Grundgesetzes hätten die Bildung und Vermehrung von gesellschaftlichem Eigentum zum Wohle des Volkes im Sinn gehabt. Heute wird es verscherbelt. »In dem Moment, wo gewählte Politiker Eigentum verkaufen, das eigentlich dem Volk gehört, verletzten sie unsere Demokratie.« Wieder so ein einfacher Satz aus Sodanns Spruchbeutel, den man sich ins Stammbuch schreiben soll. Er liebt es zu philosophieren, seinen Gedanken um Gesellschaft und Gerechtigkeit freien Raum zu gewähren. Das bringe ihn in Fahrt: Tatort Globalisierung - auch in der Wirtschaft gelte Darwins Naturgesetz, nur der Stärkste überlebt. Wenn erst Siemens an BenQ verkauft, BenQ dann 50.000 Leute entlässt und damit Milliarden Profite macht, gehöre der Gewinn den entlassenen Mitarbeitern. Alles andere sei Betrug. Es gäbe mafiose Gedanken und Strukturen in Deutschland, die nicht ausgesprochen werden, die in sich vorhanden sind und die ungestraft wirken können.

»Wenn die Dummheit fortschreitet, geht nichts mehr voran.«

Politik brauche neue Gedanken, die in die Zukunft weisen. »Wenn die Dummheit fortschreitet, geht nichts mehr voran.« Das Land hätte jetzt eine riesige Chance, die neue Linke zu organisieren, wenn die Basis, die einfachen Leute, erreicht werden. Sich nur als Opposition im Parlament mit aktuellen Fragen der Politik zu profilieren, reiche nicht. »Das Volk - so scheint es - ist heute müde, wenn es sich nicht mehr an der Demokratie beteiligen kann. Dann wird es sich zurückziehen und erst wieder aufwachen, wenn es ihm so schlecht ginge, dass es rebelliert.« Peter Sodann hält es für »unzweckmäßig«, Güter zu verschwenden, die mit Mühe hergestellt worden sind.

Bildung, Gesundheit und Kultur sollten immer thematisch Konjunktur haben. Das sei die besondere Aufgabe der Linken. Viele Künstler sind inzwischen entpolitisiert. Sie hätten Angst, nichts mehr verkaufen zu können, weder ihre Stimme, noch ihren Geist, noch ihre Figur. Deshalb zögen sie sich zurück. »Da muss die Linke ran, da hilft nichts«, schlussfolgert Sodann, der die Republik mitunter im Fadenkreuz eines Chefaufklärers sieht. Manchmal ist es nicht ganz klar, ob Sodann oder Ehrlicher am Zuge ist. Die Übergänge vom einen zum anderen sind fließend. Sodann kämpft wie Hauptkommissar Ehrlicher vor allem für die Gerechtigkeit, die er als Mensch empfindet. Er ist ein gutmütiger, aber - wenn es sein muss - auch streitbarer Mann, der bei seinen Ermittlungen auf Köpfchen und Herz statt auf Action setzt. Das ist nicht nur die Charakteristik seiner Rolle, das ist für Peter Sodann Lebensinhalt. Der 70-Jährige bekommt heute täglich mindestens zehn E-Mails. Rollenangebote seien darunter, aber auch Vorschläge, wie die Welt verbessert werden könne. Da seien skurrile, aber auch ernstzunehmende Ideen dabei. Alle werden gelesen und fast alle beantwortet, wenn er Zeit dazu hat. Davon hat er allerdings wie immer wenig. Gerade prangt sein Konterfei auf einem riesigen Plakat an einem Hallenser Kaufhaus. Keine Tatort-Werbung in eigener Sache, sondern für ein besonderes Projekt. Peter Sodann packt Schuhkartons für Weihnachten. Sein soziales Engagement ist ehrlich und unverkrampft. Das wissen nicht nur die Linken zu nutzen, das wissen auch andere Vereine und Initiativen.

»Wo Macht ist, ist auch Widerstand.«

Sodann ist kein verhinderter Volksvertreter - wie Medien nach dem Rückzug seiner Kandidatur für den Bundestag frohlockten. Er ist einer ohne Mandat und er ist es immer gewesen. Sollte irgendwann einmal tatsächlich ein »Tatort Bundestag« gedreht werden, stünde die Besetzung des Hauptkommissars fest. Er hieße Bruno Ehrlicher, Ermittler nach dem Prinzip: »Wo Macht ist, ist auch Widerstand.«