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Freiheit von Not und Furcht

Periodika,

Die heutige Offensive der Rechten gründet auf dem Neoliberalismus und Neokolonialismus. Um dagegenzuhalten, müsse sich die Linke auf eine traditionsreiche Losung besinnen, schreibt Domenico Losurdo.

Am 6. Januar 1941, während der vom Dritten Reich entfesselte Weltkrieg wütete, hob der damalige US-amerikanische Präsident in einer Rede hervor, dass selbstverständlich der Respekt vor den traditionellen liberalen Freiheiten, aber auch die Grundsätze „Freedom from Want“ (deutsch: Freiheit von Not) und „Freedom from Fear“ (deutsch: Freiheit von Furcht) Bedingungen für eine Friedensordnung sein müssten.    In einer Welt, in der erhebliche Massen von Menschen dem Hunger ausgeliefert waren, konnte es keine Stabilität geben. Aber was machte es für einen Sinn, von Frieden zu sprechen, wenn die kleineren Staaten mit der Bedrohung leben mussten, von den mächtigeren Staaten bombardiert, angegriffen und überfallen zu werden?   Nach der Niederschlagung des Nazifaschismus wurde die Forderung nach Freiheit von Not und Furcht zum Bestandteil des Erbes der europäischen Linken. In der Nachkriegszeit mobilisierte die europäische Linke einerseits, um den Sozialstaat aufzubauen. Andererseits kämpfte sie – wenn auch mit inneren Widersprüchen – gegen die Kolonialkriege Frankreichs in Indochina und Algerien, gegen Portugals Kriege in Angola und Mosambik und den Krieg der USA in Vietnam (und potenziell gegen Kuba).    Die Reaktion gegen die Mobilisierung der Linken entstand ausgerechnet in Roosevelts Land, in den USA. In den 1970er Jahren proklamierte der Ökonom Friedrich August von Hayek, dass die „Freedom from Want“ und die von den Vereinten Nationen besiegelten „sozialen und wirtschaftlichen Rechte“ Ausdruck des verheerenden Einflusses der „marxistischen Revolution in Russland“ wären. Auslöser des Angriffes auf den Sozialstaat war nicht, wie man sieht, die 2008 entbrannte Wirtschaftskrise. Für von Hayek, den Patriarchen des Neoliberalismus, sollten die „Freedom from Want“ und die „sozialen und wirtschaftlichen Rechte“ aus Prinzip und unabhängig von den wirtschaftlichen Folgen aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte gestrichen werden.   Zwei große Ungleichheiten   Etwas Ähnliches ist mit der „Freedom from Fear“, der Freiheit von Furcht, passiert. Nach dem triumphalen Sieg des Westens im Kalten Krieg haben sich vor allem in den USA immer wieder Stimmen Gehör verschafft, die den Kolonialismus ausdrücklich rehabilitierten. Neulich argumentierte Zbigniew Brzezin´ski, ein ehemaliger Berater des US-Präsidenten Jimmy Carter, mit einer Berechnung, die zusammengefasst wie folgt lautet: Bei den traditionellen Kolonialkriegen belief sich das Verlustverhältnis 100 zu 1 zuungunsten der kolonisierten Völker. Dann mischte sich das sozialistische Lager ein und die Lage änderte sich. Heutzutage kann der Westen, auch dank der technologisch-militärischen Revolution, wieder Kriege in der Dritten Welt entfesseln, ohne selbst große Verluste befürchten zu müssen (massenhaft sterben in diesen Kriegen nur Iraker, Libyer, Syrer).   Samt der „Freedom from Want“ ist die „Freedom from Fear“ gelöscht worden! Was tun? Die Welt ist durch zweierlei große Ungleichheiten gekennzeichnet. Innerhalb der kapitalistischen Länder wächst das Gefälle zwischen Arm und Reich. Auf der globalen Ebene reduziert sich die Ungleichheit zwischen der Ersten und der Dritten Welt, auch dank der Entwicklung von Ländern wie China (wodurch auch die Entwicklung Afrikas angestoßen wird).    Die Reaktionäre fördern den ersten Prozess, und sie bekämpfen den zweiten mit neuen Kolonialkriegen und vielfältigen Kriegsdrohungen. Eine Linke, deren Anliegen die Gleichheit ist, muss die gesellschaftliche Polarisierung, die im Westen gerade stattfindet, bekämpfen. Und sie muss den widersprüchlichen und umstrittenen Aufstieg der Schwellenländer und der Dritten Welt begrüßen. Auf diese Weise wird sie auch für die Rehabilitierung des universellen Rechts auf Freiheit von Not und Furcht und deren Umsetzung in reale politische Veränderungen kämpfen.    Aus dem Italienischen von Paola Giaculli   Domenico Losurdo, Jahrgang 1941, ist Professor emeritus für Philosophie an der Universität Urbino. Er ist Mitglied des Partito Comunista d’Italia und Präsident der Internationalen Gesellschaft Hegel-Marx für dialektisches Denken.