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Zur Situation der Roma in Europa

Rede von Michael Leutert,

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich freue mich sehr, dass zu so später Stunde der Vorsitzende des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, auf der Gästetribüne platz genommen hat und dieser Debatte folgt.

(Beifall)

Die Linke begrüßt außerordentlich, dass wir uns innerhalb eines halben Jahres zum zweiten Mal mit der Verbesserung der Lebenssituation der Sinti und Roma in unserem Land befassen. Allerdings finde ich es schade und traurig, dass wir in diesem wichtigen Punkt keinen fraktionsübergreifenden Antrag zustande gebracht haben und dass sich somit die Situation wie im Juni letzten Jahres darstellt. So kann ich meine Argumente einfach wiederholen; das werde ich gern tun.

Erstens. CDU/CSU und SPD sprechen in ihrem Antrag davon, dass es starke Vorurteile und Ressentiments speziell gegenüber dieser Bevölkerungsgruppe gibt. Es wird sogar davor gewarnt: Eine fehlende oder undifferenzierte Berichterstattung der Medien kann dagegen zur Verbreitung negativer Stereotypen führen. Aber Sie selbst tragen dazu bei, wenn Sie in Ihrem Antrag schreiben: Bei den Bemühungen, die soziale Situation von Roma zu verbessern, müssen auch Hürden in der Roma-Gemeinschaft überwunden werden. In vielen Familien bestehen Vorbehalte gegen den Schulbesuch ihrer Kinder. Bildung wird nicht als Chance verstanden, - das ist das Wichtige - obwohl sie eines der wichtigsten Instrumente darstellt …

Weiter heißt es in Ihrem Antrag: Häusliche Gewalt, sexuelle Ausbeutung und Menschenhandel sind Verbrechen, die Roma-Frauen häufig treffen … Das Recht auf Selbstbestimmung von Roma-Frauen wird insbesondere in traditionell geprägten Familienverbänden durch patriarchalische Traditionen verletzt, die eine Gleichstellung der Geschlechter behindern. Das Problem dieser Argumentation ist, dass dies keine Spezifika der Roma- und Sinti-Gesellschaft sind. Vielmehr treffen wir das in allen Gesellschaften an. Wer die Medien in Deutschland aufmerksam verfolgt, weiß, dass häusliche Gewalt und alles andere auch in unserer Gesellschaft vorkommen. Diese angeblichen Spezifika sind zum Teil Folge jahrhunderte langer Diskriminierung und Verfolgung der Sinti und Roma. Mit dieser Argumentation nähert man sich meines Erachtens gefährlich diskriminierenden Denkstrukturen. Auch wenn es anders gemeint ist, geht der Duktus eindeutig in diese Richtung. Das kritisieren wir ganz klar.

(Beifall bei der LINKEN)

Sicherlich müssen Integrationshemmnisse identifiziert und überwunden werden, aber auf gleicher Augenhöhe und gemeinsam und nicht in einem belehrenden Ton: Ihr müsst erst einmal tun; bitte versteht es. Zweitens. In allen Anträgen wird darauf hingewiesen, dass wir als Deutsche aufgrund der brutalen Vernichtung während des deutschen Faschismus eine ganz besondere Verantwortung gegenüber den Sinti und Roma haben. Das heißt aber letztendlich, dass wir nicht nur eine Verpflichtung gegenüber die in Deutschland lebenden schätzungsweise 70 000 Sinti und Roma mit deutschem Pass haben, sondern dass wir auch den über 30 000 Sinti und Roma verpflichtet sind, die überwiegend Bürgerkriegsflüchtlinge vom Balkan sind.

Diese Gruppe der Sinti und Roma ist dreifach diskriminiert: erstens allgemein als Ausländer, zweitens aufgrund ganz spezifischer Vorurteile - darüber haben wir eben gesprochen - und drittens als Flüchtlinge, weil sie unter das Asylbewerberleistungsgesetz fallen. Das bedeutet Residenzpflicht, kein Zugang zum Arbeitsmarkt, kein ordentlicher Zugang zur Bildung und ein schlechter Zugang zu medizinischer Betreuung. DIE LINKE hat schon früher vorgeschlagen: Wenn es darum geht, aus historischer Verantwortung etwas für die Verbesserung der Lebenssituation der Sinti und Roma zu tun, dann sollte man ihnen ein Aufenthaltsrecht, ein dauerhaftes Bleiberecht in Deutschland gewähren.

Es gibt auch ein historisches Beispiel dafür, dass dies möglich ist - auch das habe ich damals angeführt -: Aus dem gleichen Grund hat die letzte DDR-Regierung 1990, 1991 verlängert von der Innenministerkonferenz und der Bundesregierung, eine großzügige Aufnahmeregelung für jüdische Flüchtlinge aus der Sowjetunion geschaffen. Damals ging es um Aufnahme; heute geht es nur um das Bleiberecht für 30 000 Flüchtlinge. So wie sich die CDU mit Frau Steinbach an der Spitze immer massiv gegen Vertreibung einsetzt, müsste sie uns in diesem Punkt entgegenkommen und zustimmen. Solange dies nicht geschieht, können wir diesen Anträgen nicht zustimmen. Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)