Hinter dem Titel „Gesetz zur Erweiterung der jugendgerichtlichen Handlungsmöglichkeiten“ verbirgt sich eine Neuauflage des Versuchs der Fraktionen CDU/CSU und FDP, das Jugendstrafrecht zu verschärfen. Seit Jahren wird das als ungeeignet von allen am Jugendstrafverfahren Beteiligten, Verteidigern, Rechtspflegern, Jugendstaatsanwälten und –richtern usw. abgelehnt.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist mal wieder so weit: Die Debatte über die Verschärfung des Jugendstrafrechts ist nicht neu, zuletzt haben wir hier 2008 darüber debattiert. Geändert hat sich an den Grundlagen allerdings nichts.
Zum sogenannten Warnschussarrest – leider hat mir Herr Lischka schon all die entsprechenden Zitate von Frau Leutheusser-Schnarrenberger geklaut –:
(Heiterkeit des Abg. Burkhard Lischka [SPD] – Jörg van Essen [FDP]: Aber es gibt dafür keinen Warnschussarrest!)
Selbst in der Problemschilderung zum vorliegenden Gesetzentwurf wird beschrieben – ich zitiere einmal –: „… wird seit längerem immer wieder die … Möglichkeit zur Verhängung eines Jugendarrests … gefordert.“ Ja, es wird immer wieder gefordert, aber dort steht nicht, wer das fordert. Die am Jugendstrafverfahren Beteiligten, also Verteidiger, Rechtspfleger, Jugendgerichtshilfe, Bewährungshelfer, Jugendstaatsanwälte und -richter, fordern das jedenfalls nicht.
(Burkhard Lischka [SPD]: Genau!)
Die Lösung des Problems besteht auch nicht in höheren Strafen oder im Warnschussarrest. Darüber besteht doch unter allen Fachleuten Einigkeit.
Zum Warnschussarrest in Verbindung mit der Jugendstrafe – ich habe es schon einmal gesagt –: Es gibt Erziehungsmaßnahmen und Zuchtmittel, zum Beispiel Rasenmähen, Einkaufshilfe, gemeinnützige Arbeit, Geldauflagen, das Verbot des Zutritts zu bestimmten Gaststätten oder des Kontakts zu bestimmten Personen. Das Spektrum ist groß. All diese Maßnahmen sind kombinierbar, auch mit Zuchtmitteln, auch mit dem Arrest. Wenn das alles nicht mehr wirkt, wenn das alles nicht mehr ausreicht, um auf den Jugendlichen einzuwirken, dann kommt die Jugendstrafe. Jetzt soll also die Jugendstrafe mit einer Maßnahme kombiniert werden, die eigentlich nicht mehr ausreicht.
(Burkhard Lischka [SPD]: Ja!)
Das kann kein Mensch nachvollziehen. Jedenfalls ist es nicht logisch, juristisch auch nicht; dies ist ja meist identisch.
Im Übrigen sind Arrest und Jugendstrafen nach wie vor die Maßnahmen, bei denen es die höchsten Rückfallquoten gibt. Diese liegen bei 60 bis 70 Prozent.
(Jörg van Essen [FDP]: Ja, weil es nicht greift!)
– Genau, Herr van Essen. Jetzt sollen aber zwei Maßnahmen, die schlecht sind, kombiniert werden, damit etwas Besseres dabei herauskommt. Großartig!
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich dachte, Sie waren Oberstaatsanwalt.
(Jörg van Essen [FDP]: Ja, das war ich! Deswegen kenne ich mich damit aus!)
– Das wollen wir nicht vertiefen. – Die Idee, zwei schlechte Maßnahmen zu kombinieren, damit etwas Gutes dabei herauskommt, kann – ich versuche, höflich zu bleiben – nur einem schlichten Gemüt entspringen.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Burkhard Lischka [SPD])
Für erfolgreiche Maßnahmen wie Täter-Opfer-Ausgleich, Trainingskurse und Antiaggressionskurse fehlen die Mittel und das Personal. Auch das ist schon angesprochen worden: Es bringt doch nichts, wenn man einen Arrest verhängt, und diese Strafe erst nach einem Jahr angetreten wird. Es muss in Personal investiert werden. Mittel müssen investiert werden, damit Maßnahmen überhaupt umgesetzt werden können. Man muss hier präventiv tätig werden und nicht mit Strafen drohen.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Die Anhebung der Jugendstrafe von 10 auf 15 Jahre ist auch nicht sinnstiftend. Aber na gut, wann kommt hier schon einmal etwas Sinnstiftendes? Die Verhängung der Höchststrafe von 10 Jahren ist bei weniger als 0,1 Prozent der zu Jugendstrafe Verurteilten erfolgt. Dazu hat Frau Leutheusser-Schnarrenberger im Spiegel 2008 gesagt – dies wurde noch nicht zitiert –: Das bedingt überhaupt keinen Änderungsbedarf. – Da hat sie recht; diese Äußerung gilt nach wie vor.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Insoweit freue ich mich – wie auch schon zuvor – auf die Beratungen im Rechtsausschuss. Dort sitzen vernünftige Kollegen. Ich bin gespannt, wann dieser Gesetzentwurf auf den berühmt-berüchtigten guten Weg der Regierung gebracht wird, auf dem er dann im Nirwana verschwindet, wie schon so viele Male zuvor. Und mit was? Mit Recht.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.