Die Wirtschafts- und Steuerpolitik der großen Koalition bewirkt keine Stärkung der Binnennachfrage durch Investitionen. Sie fördert Arbeitslosigkeit, Umverteilung sowie die Macht großer transnationaler Konzerne, die längst zu einer gewaltigen Gefahr für die Demokratie geworden sind.Maßnahmen gegen diese Konzentration sind nötig, nicht ihre Förderung durch Steuerpolitik. Ulla Lötzer in der Schlussdebatte zum Haushalt 2006:
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Herr Glos, Herr Stiegler, dieser Haushalt ist kein Haushalt für Wachstum und Beschäftigung. Er ist ein Haushalt zur Förderung der Arbeitslosigkeit. Ja, ein Exportrekord jagt den anderen. Aktuell ist ein Überschuss von 92,2 Milliarden Euro zu verzeichnen; 1998 waren es 28,8 Milliarden Euro. Aber das gibt keinen Anlass zu Freudenfeiern. Noch weniger kann man darauf die wirtschaftliche Zukunft aufbauen, wie Sie es mit diesem Haushalt weiterhin tun. (Beifall bei der LINKEN) Es sind die großen Exportunternehmen mit einer Außenhandelsabhängigkeit von mehr als 40 Prozent, die den größten Beschäftigungsabbau betrieben haben. Herr Stiegler, auch wir können kein Verständnis aufbringen, wenn diese Unternehmen, wie Telekom, SNE und AEG, trotz sprudelnder Gewinne Massenentlassungen vornehmen oder Standorte schließen. Erst recht haben wir kein Verständnis dafür, wenn die schwarz-rote Koalition in einer solchen Situation die Lockerung des Kündigungsschutzes, egal in welcher Variante, betreibt, statt Mitbestimmungsrechte zur Beschäftigungssicherung zu stärken. (Beifall bei der LINKEN) Es sind diese Unternehmen, die im Namen der Wettbewerbsfähigkeit Druck in Richtung Lohnzurückhaltung ausüben. In keinem anderen europäischen Land gibt es eine so schlechte Lohnentwicklung wie hier. Die Kehrseite dieser Entwicklung ist eine Konsumflaute historischen Ausmaßes. Vier von fünf Arbeitsstellen hängen am heimischen Markt. Unbezahlte Mehrarbeit, Lohnzurückhaltung und auch eine Senkung der Lohnnebenkosten würden den Leidensweg der deutschen Wirtschaft nur weiter verlängern, statt endlich die Wende herbeizuführen. (Beifall bei der LINKEN) Der Bruch der Gewerkschaften mit dieser Verzichtslogik ist nicht nur sozial gerecht, sondern auch wirtschaftlich notwendig. Deshalb unterstützen wir ihre Streiks. (Beifall bei der LINKEN) Wir fordern aber auch von Ihnen endlich einen Bruch mit der Verzichtslogik. Geben Sie Ihre Ablehnung gegen einen gesetzlichen Mindestlohn auf, Herr Glos! Treffen Sie Maßnahmen zur Stärkung der Tarifautonomie! Fordern Sie mit uns die Landesminister endlich zu fairen Tarifverhandlungen mit Verdi auf! (Beifall bei der LINKEN) Das zarte Flämmchen der Erholung der Binnennachfrage werden Sie mit der beschlossenen Mehrwertsteuererhöhung und den sozialen Kürzungen wieder ersticken. Wie stellen Sie sich denn da eine Verbesserung der Binnennachfrage vor? Sie sagen, die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Investitionen solle die Wende bringen, unterstützt durch eine Verbesserung der Abschreibungsbedingungen, durch die gestiegenen Unternehmensgewinne, durch die rückläufigen Lohnstückkosten und - nicht zu vergessen - durch die geplante Erbschaftsteuer- und Unternehmensteuerreform zur Verbesserung des Standorts. Wie kann man nur so verbohrt an nachweislich seit Jahrzehnten untauglichen Mitteln festhalten? Ob unter Schwarz-Gelb oder Rot-Grün, damit wurde die Reduzierung der Besteuerung von Gewinnen und Vermögen begründet. Parallel mit diesen Steuererleichterungen ist die Investitionsquote auf einen historischen Tiefstand gefallen. Die Steuererleichterung ist in die Gewinne geflossen, die an die Aktionäre ausgeschüttet worden sind. Auch die Manager konnten jubeln. Die weltweiten Direktinvestitionen sind im letzten Jahr um 29 Prozent gestiegen. Gewonnen hat dabei aber vor allem das Geschäft mit Übernahmen und Fusionen. Es gab weltweit 23 200 Übernahmeaktivitäten mit einem Volumen von eindreiviertel Billionen Euro. Ein Analyst der West-LB fragte kürzlich angesichts der Übernahmeschlachten der Energiekonzerne: Nutzen sie die Kriegskasse für Zukäufe in Europa oder geben sie den Aktionären etwas zurück? Ferner hieß es, der Eon-Konzern sei wegen seiner hohen Barreserven unter Handlungsdruck geraten. Mit einem Übernahmeangebot werden sie die jetzt los, indem sie für 29 Milliarden Euro Endesa kaufen wollen. Auch Bayer kann die Übernahme Scherings fast allein aus der Portokasse finanzieren. Diese Wirtschafts- und Steuerpolitik bewirkt keine Stärkung der Binnennachfrage durch Investitionen. Sie fördert Arbeitslosigkeit, Umverteilung sowie die Macht großer transnationaler Konzerne, die längst zu einer gewaltigen Gefahr für die Demokratie geworden sind. (Beifall bei der LINKEN) Maßnahmen gegen diese Konzentration sind nötig, nicht ihre Förderung durch Steuerpolitik. Diese Steuereinnahmen, die Sie den Unternehmen geschenkt haben und die diese für Aktionäre und für Übernahmen ausgeben, fehlen an anderer Stelle. Sie fehlen für Bildung, Kultur, Forschung und Infrastrukturmaßnahmen. 1970 wurden noch 4,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für öffentliche Investitionen ausgegeben. Rot-Grün hat diese Quote auf 1,3 Prozent gesenkt. In einem der wirtschaftsstärksten Länder der Erde bedeutet das: Einsturzgefahr bei Brücken und Gebäuden, Schlaglöcher in den Straßen, ein Kanalsystem, in dem es bald nicht einmal mehr die Ratten aushalten (Heiterkeit bei der LINKEN) und das das Grundwasser gefährdet, Kinder aus armen Familien, die in Suppenküchen essen (Dr. Rainer Wend [SPD]: Das übertrifft jetzt sogar den Brüderle mit seiner Schwarzmalerei!) und keine Chance auf Bildung haben, sowie vieles andere mehr. Erneut preisen Sie Ihr Zukunftsinvestitionsprogramm mit einem Volumen von 25 Milliarden Euro für die nächsten vier Jahre. Aber das ist zu wenig. Verteilt auf vier Jahre sind es jährlich nur circa 6 Milliarden Euro. Zieht man aber Bilanz in Ihrem Finanzplan, bleibt noch nicht einmal das übrig. Gegenüber 2005 steigen die Investitionen gerade einmal um 0,5 Milliarden Euro. Im Zeitraum bis 2009 bleiben nur genau 2,4 Milliarden Euro an zusätzlichen Investitionen übrig. Der Anteil am Haushalt sinkt sogar auf 8,5 Prozent. Etikettenschwindel, mehr ist Ihr Zukunftsinvestitionsprogramm nicht. (Beifall bei der LINKEN) Die Menschen erwarten aber zu Recht, dass ein handlungsfähiger Staat Infrastruktur finanziert, Daseinsvorsorge betreibt, Chancengleichheit in Bildung herstellt, in Forschung, Kultur und, Herr Glos, in erneuerbare Energien - und nicht in Kernenergie - investiert. Wir brauchen ein Zukunftsinvestitionsprogramm, das diesen Namen verdient, mit dem der sozial-ökologische Umbau vorangebracht wird, Handwerkern Aufträge verschafft werden und Arbeitslosen Arbeitsmöglichkeiten geboten werden. (Beifall bei der LINKEN) Herr Steinbrück forderte, dass die Menschen neue Ideen entwickeln. Wir werden Ihnen noch in diesem Jahr gemeinsam mit Gewerkschaften und Verbänden ein Zukunftsinvestitionsprogramm vorlegen, das diesen Namen auch verdient. Wir werden jetzt Sofortmaßnahmen für kommunale Investitionen, den Ausbau der Infrastruktur, die Gebäudesanierung sowie für die Förderung der Bildung und der Kinderbetreuung in die Haushaltsdebatte einbringen. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN)
Zukunftsinvestitionsprogramm der Koalition ist Etikettenschwindel
Rede
von
Ulla Lötzer,