Die EU befindet sich noch immer in der Krise, in einer sozialen Krise, aber vor allem in einer tiefen Legitimationskrise. Die immer noch hohe Arbeitslosigkeit und soziale Ungleichheit untergraben das Friedens- und Wohlstandsversprechen des europäischen Projektes. Die Probleme liegen jedoch schon in der Architektur und Konzeption der Euro-Zone. Der Euro als Einheitswährung bei gänzlich verschiedenen Wirtschafts- und Sozialsystemen innerhalb Europas wirkt wie ein Gefängnis für die Mitgliedstaaten, die in ihrem geld- und finanzpolitischen Handlungsspielraum begrenzt werden. Aber ein Kontinent lässt sich nicht über Geld einen. Die Spaltung der Euro-Zone in exportorientierte Volkswirtschaften wie Deutschland und binnenwirtschaftsorientierte Länder wie Frankreich und andere südeuropäische Staaten begann mit der Einführung des Euro. Der Wettbewerb der Sozialsysteme und der Löhne wurde durch den Euro erst so richtig angefacht. Es kam zu einer europaweiten Lohnflexibilisierung nach unten, und die Gewerkschaften wurden europaweit enorm unter Druck gesetzt. Und das war kein Unfall oder Konstruktionsfehler, sondern von den Gründern der Währungsunion genau so gewollt. Die Europäische Währungsunion war von Anfang an ein Projekt zur Schwächung der Gewerkschaftsmacht. Und mit der EZB wurde eine mächtige Waffe geschaffen, um demokratische Entscheidungen der Mitgliedsländer zunichtezumachen. Damit wurde die Euro-Zone zum neoliberalen Paradies eines autoritären Liberalismus.
Das ist der Traum aller Hardcore-Liberalen und rechten Marktfetischisten: ein Europa, das stark genug ist, um demokratische Errungenschaften der Arbeiterbewegung zu unterdrücken, aber gleichzeitig schwach genug ist, die Marktergebnisse durch Umverteilung oder Industriepolitik zu beeinflussen. Kein Wunder also, wenn so viele Menschen den Halt und das Vertrauen in die EU verlieren. Depressionen, Stress und soziale Ängste nehmen immer mehr zu. Und das ist auch nachvollziehbar. Denn diese Ängste haben eine reale Grundlage: Vollzeitarbeitsplätze werden zunehmend durch schlecht bezahlte Teilzeit- und Minijobs ersetzt, Lohndumping und Niedriglöhne werden zu gängigen Geschäftsmodellen erklärt, Rentenansprüche können kaum noch aufgebaut werden. Über ein Fünftel der Bevölkerung in der EU ist von Altersarmut bedroht oder bereits betroffen. Und das Risiko, in Armut zu fallen, ist vor allem in Griechenland und Italien besonders groß. Wen wundert’s: Hier leben die größten Opfer des Diktats der Wirtschafts- und Finanzpolitik der Troika und damit einer Politik, die das Lohnniveau in diesen Ländern gesenkt und den Wettbewerb nach unten in der ganzen EU noch weiter verschärft hat.
Macrons Vorschläge für einen Neubeginn in Europa, in denen er vom Schutz der Demokratie, der Einführung einer sozialen Grundsicherung und von einem europaweiten Mindestlohn spricht, sind angesichts seines massiven Angriffs auf soziale Errungenschaften, Arbeitsrechte und Demokratie seit seiner Amtszeit einfach nur heuchlerisch, und sie verändern nichts an der neoliberalen Ausrichtung der Euro-Zone. Im Gegenteil: Eigentlich strebt Macron mit seinen Arbeitsgesetzen und den massiven sozialen Einschnitten bei den französischen Bahnarbeitern eine Arbeitsmarktreform nach Vorbild der Agenda 2010 an. Macron macht den Schröder, und die Gelbwesten sind die Reaktion auf einen hochnäsigen Präsidenten, der nur Verachtung für Arme hat und sein Land auf Wettbewerb trimmen will. Und jetzt wird Macron auch noch sozialpolitisch rechts überholt. Das muss man erst mal schaffen. Die CDU-Chefin AKK hat das jetzt getan. Sie hat einem sozialen Europa und mutigen Klimaschutz eine Absage erteilt. Das ist das Gegenteil von dem, wofür Die Linke steht.
Wir sind für ein Europa der Millionen, nicht der Millionäre. Wir fordern eine echte Finanztransaktionsteuer, nicht diese Luftnummer, die 99 Prozent der Finanzumsätze unbesteuert lässt; die Digitalsteuer muss kommen, das Kuschen der Bundesregierung vor der Autolobby ist unsäglich. Die Mehreinnahmen müssen für eine echte europäische Arbeitslosenversicherung ausgegeben werden – und zwar eine, die nicht an lohndämpfende Liberalisierung und Flexibilisierung des Arbeitsmarktes geknüpft ist. Außerdem braucht Europa dringend Investitionen in Höhe von mindestens 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, um aktiv zu werden gegen Jugendarbeitslosigkeit, im Klimaschutz, zum Schutz der öffentlichen Daseinsvorsorge und für eine sozial-ökologische Industriepolitik.