Es war abzusehen, dass die Bundesregierung zum Ende der Wahlperiode noch einmal wild durch das Straf- und das Strafprozessrecht pflügt, und ebenso war absehbar, dass es fast ausnahmslos zu Verschärfungen kommt.
Ich will der Fairness zuliebe aber kurz auf die Ausnahmen eingehen: Die Regierung nimmt eine Legaldefinition des Verletztenbegriffs in die Strafprozessordnung auf und erweitert das Gewaltschutzgesetz um das Schutzgut der sexuellen Selbstbestimmung. Das begrüße ich ausdrücklich.
Nun genug des Lobes! Mit immer höherer Schlagzahl hantieren Sie im Strafrecht, und Sie erweitern und entgrenzen es. Was Sie nicht tun, ist, ihre ganzen „Modernisierungen“ und „Fortentwicklungen“ auch einmal in Bezug auf ihre Effekte auf die Strafrechtspflege zu evaluieren. Strafrecht ist Ultima Ratio, das letzte Mittel staatlichen Handelns, und das sollte eigentlich zu einem sorgsamen Umgang damit verpflichten. Sie aber nutzen es, um der Bevölkerung – und ich vermute, auch sich selbst – Handlungsfähigkeit vorzutäuschen. Das ist inakzeptabel.
Besonders schwer wiegt für mich vorliegend die automatische Kennzeichenerfassung im öffentlichen Raum. Die anlasslose Überwachung der Bevölkerung ist mit den Grundsätzen unseres Rechtsstaats nicht vereinbar, unabhängig davon, was auf den Wunschzetteln der Strafverfolgungsbehörden steht. Das ergibt sich allein aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
Was mich weiterhin ärgert, ist das, was Sie nicht regeln, aber dringend hätten regeln sollen. Zuallererst steht hier die Problematik der Tatprovokation durch V-Leute und verdeckte Ermittler. Erst vor kurzem ist die Bundesrepublik hierfür wieder einmal vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt worden, weil es gegen das Fairnessgebot verstößt. Der Handlungsbedarf wäre hier sehr wohl gegeben; geregelt haben Sie, Frau Lambrecht, nichts. Die nächste Verurteilung wird unweigerlich folgen.
Meine Fraktion und ich fordern schon seit langem ein Moratorium für Verschärfungen im Strafrecht und bei den Sicherheitsgesetzen, und das sehen mittlerweile nicht nur wir so. In der nächsten Wahlperiode sollte ein solches Moratorium spätestens kommen, um eine Auswertung der zahlreichen Reformen der vergangenen Jahre durchzuführen und das Strafrecht dahingehend umzugestalten, dass es seiner Aufgabe als letztes Mittel staatlichen Handelns auch wieder gerecht werden kann.
Für Sie ein theoretisches Problem, für die Praxis aber bedeutsam: Sorgen Sie durch Übergangsvorschriften dafür, dass die bisher bei Gericht und Behörden bewährten Dolmetscherinnen und Übersetzerinnen weiter beschäftigt werden können. Diesen Bestandschutz zu garantieren, ist ein Bedürfnis der Praxis; das sage ich Ihnen aufgrund meiner langjährigen Erfahrung als Richter am Sozialgericht.