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Zu Protokoll gegebene Rede

Rede von Ulla Jelpke,

Nachkommen von NS-Opfern, die aufgrund von Nazi-Unrecht die deutsche Staatsbürgerschaft verloren haben, muss eine unkomplizierte Wiedereinbürgerung ermöglicht werden.

Die Linke hatte bereits vor knapp zwei Jahren, ebenso wie Grüne und FDP, einen Gesetzentwurf dazu eingebracht. Union und SPD lehnten diese Initiativen damals ab und begnügten sich mit Erlassregelungen des Innenministeriums. Damit wurde den Nachfahren von NS-Opfern der Rechtsanspruch auf ihre Einbürgerung weiterhin verweigert. Die Erlasse waren zudem viel zu lückenhaft, um eine dauerhafte Lösung sein zu können. Das hat jetzt auch die Bundesregierung eingesehen und ein entsprechendes Gesetz vorgelegt.

Ich will kurz zusammenfassen, worin die Gerechtigkeitslücke lag. Nach damaliger Rechtslage – ich spreche von den 30er- und 40er-Jahren – verloren Frauen, die im Exil einen ausländischen Mann heirateten, automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft, noch bevor die Nazis sie ihnen später sowieso entzogen hätten. Ihre Kinder konnten ebenfalls nicht Deutsche werden. Das Gleiche galt für Kinder, die aus einer unehelichen Beziehung zwischen einem deutschen Vater und einer ausländischen Mutter stammten. Die damaligen Regelungen waren geschlechterdiskriminierend. Sie wurden später in der Bundesrepublik abgeschafft. Aber für etliche Jahrgänge bedeutete das: Sie hatten keinen Rechtsanspruch auf Wiedereinbürgerung, weil die deutsche Staatsbürgerschaft nicht förmlich von den Nazis entzogen worden war. Damit wurde allerdings ignoriert, dass diese Menschen zur Flucht gezwungen worden waren und dass der Verlust der deutschen bzw. die Annahme einer ausländischen Staatsangehörigkeit daher eine direkte Folge der bereits erlittenen oder jedenfalls zu befürchtenden NS-Verfolgung war.

Um die deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen, hatten die Betroffenen nur die Chance, Anträge auf sogenannte Ermessenseinbürgerungen zu stellen. Hunderte, wenn nicht Tausende solcher Anträge auf Wiedereinbürgerung wurden abgelehnt. Mitunter bekamen die Antragsteller zu hören, ihre Einbürgerung liege nicht im deutschen Interesse. Man braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie das auf die Kinder und Enkel der Nazi-Opfer gewirkt haben muss. Es ist wirklich beschämend, dass es Jahrzehnte gedauert hat, um diese offenkundigen Ungerechtigkeiten abzustellen.

Eine andere Gerechtigkeitslücke betrifft Personen, die damals schon lange in Deutschland wohnhaft waren, die aber wegen der rassistischen Diskriminierung keine Chance auf einen deutschen Pass hatten. Das betrifft auch jene Bewohner der besetzten Gebiete, die von den Sammeleinbürgerungen der deutschstämmigen Bevölkerung ausgeschlossen blieben. Juden oder Sinti durften ja nicht deutsche Staatsbürger werden. Das war eindeutig Nazi-Unrecht, und das muss endlich ausgeglichen werden, soweit wie das heute noch möglich ist.

Der Gesetzentwurf erfüllt diese Aufgabe, zum Teil geht er sogar darüber hinaus, etwa wenn er regelt, dass alle, die aufgrund von Geschlechterdiskriminierung vom Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit ausgeschlossen waren, diese nun binnen einer zehnjährigen Frist per Erklärung erhalten können. Das betrifft vor 1993 geborene Kinder deutscher Mütter und ausländischer Väter oder Fälle, in denen die Mutter vor der Geburt durch die Heirat mit einem Ausländer die deutsche Staatsangehörigkeit verlor, und umschließt sämtliche Nachfahren.

Es gibt aber auch einige kritische Punkte, die hoffentlich in den anstehenden Ausschussverhandlungen bereinigt werden können. Ich will hier nur zwei ansprechen. Der neue § 15 sieht in Ziffer 3 vor, jene Personen einzubürgern, deren Vorfahren während der Nazizeit „nach Antragstellung nicht eingebürgert worden sind oder allgemein von einer Einbürgerung, die bei einer Antragstellung sonst möglich gewesen wäre, ausgeschlossen waren ...“. Was bedeutet „sonst möglich“? Gefordert ist hier offenbar, dass die Beamten, die heute über solche Anträge entscheiden, das im Dritten Reich herrschende Gesetz zugrunde legen, zugleich aber die NS-typischen Unrechtsanteile davon abziehen. Nun war aber auch das Reichs- und Staatsangehörigkeitsrecht mit Stand 1932 nicht frei von diskriminierenden Ausschlussgründen. Da wurde zum Beispiel ein „unbescholtener Lebensstil“ gefordert. Ich erinnere daran: Sinti und Roma unterlagen schon damals dem, was wir heute als Racial Profiling bezeichnen, und wurden sehr schnell zu Unrecht kriminalisiert. Anderes Beispiel: Wenn einer Frau ein „lasterhafter Lebenswandel“ vorgeworfen wurde, war ihre Einbürgerung nach damaligen Vorstellungen kaum möglich.

Der zweite Kritikpunkt: Nach Ziffer 4 des neuen § 15 sind Ausländer, die Deutschland verfolgungsbedingt verlassen haben, und ihre Nachfahren, auf Antrag einzubürgern, ganz unabhängig davon, ob sie schon damals ihre Einbürgerung beantragt hatten oder nicht. Das geht sehr weit und findet meine volle Zustimmung. Aber es bedeutet auch, dass Ausländer, die damals im Reichsgebiet ausharrten, staatsbürgerrechtlich schlechter gestellt werden als Ausländer, die geflohen sind – oder deportiert wurden. Das sollte nicht so sein.

Insofern sehe ich durchaus noch Potenzial für Nachbesserungen. Ich will aber betonen: Im Großen und Ganzen findet der Gesetzentwurf unsere Zustimmung. Er umschließt all jene Fälle, die Die Linke schon vor zwei Jahren in ihrem Antrag angesprochen hatte.