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Zu Protokoll gegebene Rede

Rede von Michel Brandt,

Die brutale Niederschlagung der Proteste in China vor 30 Jahren war und ist zu verurteilen. Die Tötung Hunderter, wenn nicht sogar Tausender Demonstrantinnen und Demonstranten ist unter keinen Umständen zu rechtfertigen.

Studentinnen und Studenten in Peking riefen im April 1989 zu Protesten auf. Sie forderten mehr Demokratie, Presse- und Versammlungsfreiheit. Die Bewegung wurde schlagartig größer und griff auf andere Bevölkerungsgruppen und Städte über.

Die Protestierenden harrten ganze sechs Wochen auf dem Platz des Himmlischen Friedens aus. Die Regierung forderte immer schärfer, dass die Protestierenden den Platz räumen. Das Kriegsrecht wurde ausgerufen. Doch die Demonstrierenden blieben.

Die Eskalation fand ihren Höhepunkt in der Nacht vom 3. auf den 4. Juni. Bewaffnete Soldatinnen und Soldaten versuchten, sich dem Platz des Himmlischen Friedens zu nähern. Und auch das gehört zur Wahrheit: Einige der Soldatinnen und Soldaten wurden aus Lastwagen gezerrt, misshandelt und gelyncht. Das „Wall Street Journal“ berichtete am 5. Juni 1989: „An einer Kreuzung westlich des Platzes wurde der Körper eines jungen, zu Tode geprügelten Soldaten entkleidet und an der Seite eines Busses aufgehängt. Die Leiche eines anderen Soldaten wurde an einer Kreuzung östlich des Platzes aufgehängt.“

Auf der anderen Seite schossen Soldatinnen und Soldaten mit scharfer Munition in die Menge und töteten Menschen. Das geschah in den Gebieten um den Platz des Himmlischen Friedens. Der Platz selbst wurde in dieser Nacht friedlich geräumt – hier kam niemand zu Schaden.

Doch egal wo die Protestierenden gestorben sind, das gewaltsame Vorgehen der Regierung in Peking war und ist zu verurteilen. „Niemand hätte am 4. Juni sterben müssen, wenn richtig mit dem Vorfall umgegangen wäre.“ Das waren übrigens die Worte des ehemaligen Bürgermeisters von Peking, als er sich für das Massaker entschuldigte.

Eindringliche Bilder und Erzählungen von der Nacht des 4. Junis haben das Massaker zum Symbol werden lassen. Es ist wichtig, eine möglichst geschichtstreue und klare Sicht auf diese Geschehnisse zu erreichen. Das ist nicht der Fall, wenn im Antrag der Grünen immer wieder von ausschließlich friedlichen Protesten von ausschließlich Studierenden gesprochen wird. Das ist auch nicht der Fall, wenn in der Debatte immer wieder das Bild eines Blutbades auf dem Platz des Himmlischen Friedens gezeichnet wird. So bedient man diese Symbolik und kultiviert Feindbilder.

Die Linke kritisiert, dass es für die Zivilgesellschaft in China weiterhin ein Tabu bleibt, diese Tragödie aufzuarbeiten. Öffentliche Trauer um Angehörige und Freunde muss möglich sein. Wir wenden uns gegen die Unterdrückung kritischer Stimmen und die Massenüberwachung der Zivilgesellschaft.

Die Linke erinnert die chinesische Regierung an ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen, die Menschenrechte einzuhalten. Dazu zählen das Recht auf freie Meinungsäußerung, Religionsfreiheit und das Recht auf Privatsphäre.

Es gibt Forderungen im Antrag der Grünen, die wir unterstützen. Wir sind aber der Auffassung, dass wir statt einer Politik des erhobenen Zeigefingers eine Verständigung auf Augenhöhe brauchen. Darum müssen wir aufhören, so zu tun, als wäre in den letzten 30 Jahren in China nichts passiert.

2001 ratifizierte das Land den UN-Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Die absolute Armutsrate in der Bevölkerung ist auf weit unter 10 Prozent gesunken.

Und dennoch: Es ist wichtig, uns an Ereignisse wie das Massaker vom 4. Juni zu erinnern und sie aufzuarbeiten – nicht nur in China, sondern weltweit. Beispielsweise gingen im selben Jahr Tausende Menschen in Venezuela gegen die Politik des neoliberalen Präsidenten Pérez auf die Straße. Sie stellten sich gegen die geplanten Sparmaßnahmen des Internationalen Währungsfonds. Bei den Protesten wurden bis zu 3 000 Menschen vom Militär ermordet. Ein Gedenken an die Opfer gab es in der deutschen Öffentlichkeit allerdings nicht.

Auch in Deutschland haben wir in vielen Bereichen noch einiges zu tun: So muss sich die Bundesregierung beispielsweise endlich vorbehaltslos zur Schuld des deutschen Kaiserreichs am Völkermord in Namibia bekennen. Denn zwischen 1904 und 1908 wurden 80 Prozent der Herero und mehr als die Hälfte der Nama von der deutschen Kolonialmacht ermordet.

Egal in welchem Land und durch welche Regierung: Die Linke setzt sich für eine lebendige und kohärente Erinnerungskultur auf allen Ebenen ein.