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Zerbrochene Pfeile

Rede von Wolfgang Neskovic,

Der Deutsche Bundestag berät derzeit drei verschiedene Gesetzentwürfe zum Verbot bzw. zu einer eingeschränkten Zulassung des medizinischen Verfahrens "PID." Die PID kann Paaren den Wunsch nach gesundem Nachwuchs erfüllen. Bei dem Verfahren werden mehrere Eizellen der Mutter künstlich mit den Spermien des Vaters befruchtet und dann nach drei Tagen untersucht. Nur die gesunden „Wunscheizellen“ werden dann der Mutter zur Austragung verpflanzt. Alles andere landet im Abfall. Befürworter des Verfahrens finden dafür Argumente.Wolfgang Nešković setzt sich für ein völliges Verbot der PID ein und begründete dies in seiner Rede zur 105. Sitzung des Deutschen Bundestages am 14. April 2011.


Sehr geehrter Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren,

der Mann ist schwerstkrank. Die Krankheit ALS zerfrisst sein Nervensystem. Die Gliedmaßen sind wie nutzlose Gewichte. Ein Luftröhrenschnitt nahm ihm die Stimme. Mimik und Gestik sind erlahmt. Professor Stephen Hawking ist der bekannteste Astrophysiker der Welt. Sein gefesselter Leib ist ein schwerer Pflegefall. Aber sein Geist kann mühelos fliegen. Viele Millionen Menschen verehren ihn weltweit.

Mediziner vermuten hinter ALS eine Erbkrankheit. Sie nehmen an, dass mehrere defekte Genabschnitte für das Leiden verantwortlich zeichnen. Hawking wurde im Jahre 1942 geboren. Zu jener Zeit war die Weitergabe von Erbinformationen noch nicht ausreichend begriffen. Niemand konnte wissen, dass Hawking einmal ALS bekommen würde. Keiner wollte das verhindern. Zum Glück. Was wüssten wir heute über das Weltall, wenn man Hawkings Erbanlagen aus einer Petrischale in den Müll geworfen hätte?

Genau das geschieht bei der Präimplantationsdiagnostik (PID), über deren Zulässigkeit derzeit der Deutsche Bundestag berät. Fraktionsübergreifend hat dies derzeit zu zwei Gruppenanträgen geführt. Der eine wirbt für eine beschränkte Zulassung. Der zweite, den auch der Verfasser unterstützt, strebt ein Verbot der PID an.

Viele Paare sehnen die Legalisierung des PID-Verfahrens herbei. Manche von ihnen haben bereits ein krankes oder behindertes Kind. Die PID kann ihnen den Wunsch nach gesundem Nachwuchs erfüllen. Bei dem Verfahren werden mehrere Eizellen der Mutter künstlich mit den Spermien des Vaters befruchtet und dann nach drei Tagen untersucht. Nur die gesunden „Wunscheizellen“ werden dann der Mutter zur Austragung verpflanzt. Alles andere landet im Abfall. Befürworter des Verfahrens finden dafür Argumente.

Der Embryo sei in seiner Urform nicht mehr als ein Zellhäuflein. Doch das war Professor Hawking im Jahre 1941 auch. Jeder Mensch ist schon am Anfang ein unersetzbares Unikat. Könnte er sich schon wehren, würde er sich Urteile über seinen Wert und Unwert gefälligst verbitten.

Ein weiteres Argument lautet: Die PID sei gegenüber einer späteren Abtreibung der wesentlich schonerende Weg. Die Mutter erhalte eine ziemliche Gewissheit auf ein gesundes Kind und müsse später nicht ein krankes abtreiben. Das Argument ist kraftvoll aber unlogisch. Dass Abtreibungen rechtlich möglich sein müssen, liegt an der notwendigen Abwägung zwischen dem seelischen Leid der schwangeren Mutter und der staatlichen Schutzpflicht gegenüber dem Embryo. Doch bei einer Vorfelduntersuchung liegt noch gar keine Schwangerschaft vor, die eine Frau belasten könnte. In der Petrischale herrscht damit allein das ethische Gebot, das werdende Leben zu schützen. Wer die PID mit den Abtreibungsregeln des Strafgesetzbuches rechtfertigen will, begründet ein vermeidbares ethisches Desaster mit einer ganz anderen, unvermeidbaren ethischen Konfliktlage. Ethik funktioniert anders. Sie strebt nach einer Stärkung des ethischen Verhaltens, nicht nach der Rechtfertigung von mehr „Unethik“.

Befürworter der PID argumentieren schließlich, die rechtlichen Grenzen des Verfahrens seien in ihrem Entwurf klar abgesteckt. Die PID sei nur zulässig bei einer „hohen Wahrscheinlichkeit“ einer „schweren Erbkrankheit“ oder im Falle der Verhinderung einer Tot- oder Fehlgeburt. Doch offene Rechtsbegriffe sind die natürlichen Feinde klarer ethischer Grenzen. Was ist eine „schwere“ Erbkrankheit? Wann ist eine Wahrscheinlichkeit „hoch“? Rechtsbegriffe, die man nur begreift, wenn man über ihren Inhalt streitet – führen nicht selten zu Dammbrüchen. Ist die PID einmal legal, wird sich „Geringe Wahrscheinlichkeit“ zu „ausreichender Wahrscheinlichkeit“ aufschwingen. Was heute keine „schwere“ Erbkrankheit ist, wird morgen noch eine werden. Aus dem „Wunschkind“ wird schrittweise das „erwünschte Kind“. Mit der Pipette gestaltet der Mensch die Evolution.

Alle Eltern wünschen sich starke, kluge, gutaussehende und intelligente Kinder. Wir alle meinen zu wissen, was wir damit meinen. Dabei sind unsere Vorstellungen von „unseren“ Kindern kulturell geprägt. Kultur ist dem Wandel unterworfen. Viele Jahrhunderte domminierte die manuelle Arbeit. Folglich wünschten sich Eltern starken und männlichen Nachwuchs. Heute schätzen wir weibliche und männlichen Nachwuchs gleichermaßen mit hoher Intelligenz und Einfühlungsvermögen. Ein Jahrhundert zuvor wäre Hawking vermutlich verhungert. Heute nutzt er modernste Technik, um der Welt von seinen Ideen zu berichten.

Dazu kommt: Unser Wissen von den Erbanlagen ist bestenfalls lückenhaft. Gene tragen in ihren Kombinationen immer viele verschiedene Informationen. Jeder Mangel kann eine Stärke zur Kehrseite haben. Mitunter mendeln sich diese Stärken erst in vielen Folgegenerationen heraus. Es sei denn, wir bewirken, dass schon ihre ersten Träger nie das Licht der Welt erblicken.

Der Maler und Dichter Kahlil Bibran schrieb: „Deine Kinder sind nicht Deine Kinder. Sie sind die Söhne und Töchter der Sehnsucht des Lebens nach sich selbst. Sie kommen durch Dich, aber nicht von Dir, und obwohl sie bei Dir sind, gehören sie dir nicht. (…) Du bist [nur]der Bogen, von dem Deine Kinder als lebende Pfeile ausgeschickt werden.“

Jeder Embryo, der eine PID-Untersuchung nicht übersteht, ist wie ein zerbrochener Pfeil.

Ich danke Ihnen