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Wofür steht diese Regierung?

Rede von Oskar Lafontaine,

Die Bundeskanzlerin hatte noch vor einigen Monaten ein Steuerkonzept unterzeichnet. Heute hat sie ein paar Bemerkungen zu ihrer Politik gemacht. Wenn jemand einige Monate später etwas ganz anderes vertritt, dann stellt sich die Frage, welche Konzeption der Betreffende überhaupt hat. Das gilt nicht nur für die Steuerpolitik, das gilt auch für die Gesundheitspolitik und eine ganze Reihe anderer Politikbereiche. Die Frage, wofür diese Regierung steht, kann nicht beantwortet werden, wenn die Chefin dieser Regierung nicht in der Lage ist, deutlich zu machen, für welche längerfristige Konzeption sie eigentlich steht. Oskar Lafontaine in seiner Erwiderung zur Rede der Bundeskanzlerin in der Generaldebatte zum Etat des Bundeskanzleramts.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Reihenfolge der Redner geht etwas durcheinander. (Dr. Guido Westerwelle (FDP): Wo ist Frau Jochimsen? Uns ist Frau Jochimsen versprochen worden!) Wir dachten, es sei jetzt schon der Kulturetat an der Reihe. Leider ist das nicht der Fall. Das gibt mir die Gelegenheit, auf einige der Argumente, die hier vorgetragen worden sind, kurz einzugehen. Zunächst zu der Feststellung des Fraktionsvorsitzenden der SPD, dass er es bedauert, dass eine Reihe gut verdienender Unternehmen nach wie vor Arbeitsplätze abbauen. Ich begrüße es, Herr Fraktionsvorsitzender Struck, dass Sie dies hier angesprochen haben, möchte aber darauf hinweisen, dass der Appell an Unternehmen, sie müssten sich patriotisch verhalten, in unserer wirtschaftlichen Ordnung schlicht und einfach ins Leere geht. Unternehmen verhalten sich nicht patriotisch, Unternehmen wollen schlicht und einfach ihre Gewinne optimieren. Ich will die Unterhaltung mit der Kanzlerin nicht stören, möchte aber trotzdem einen wichtigen Punkt ansprechen. (Steffen Kampeter (CDU/CSU): Wir hüpfen nicht alle, wenn Sie rufen!) Die Situation, dass die Unternehmen zurzeit auf der einen Seite exorbitante Gewinne machen, auf der anderen Seite aber Massenentlassungen ankündigen, ist ein unhaltbarer Zustand in unserer Gesellschaft. (Beifall bei der LINKEN) Unsere Fraktion belässt es nicht bei dem Appell an die Unternehmen, sich patriotisch zu verhalten - das haben wir nun schon jahrzehntelang getan -, sondern wir machen zwei Vorschläge: Einmal wollen wir die so genannte Heuschreckendebatte aufgreifen, die der Arbeitsminister vor einigen Monaten angestoßen hat, und die Zulassung solcher Fonds in Deutschland reregulieren. Wir können dann hier testen, ob Sie es mit der Kritik ernst gemeint haben, dass Unternehmen aufgekauft, ausgeschlachtet und dann wieder verkauft werden, oder ob das schlicht und einfach wieder Wahlkampfgetöse war, das keine reale Grundlage hatte. Wir werden einen solchen Vorschlag auf jeden Fall einbringen und namentliche Abstimmung beantragen. (Beifall bei der LINKEN) Das Zweite betrifft - da könnte dem sehr beschäftigten Kollegen Struck weitergeholfen werden - die Bindung der Managergehälter an Aktienoptionen. Das ist nämlich die Erklärung dafür, warum sich Vorstände nicht mehr patriotisch verhalten. Auch Vorstände neigen in unserer Wirtschaftsordnung dazu, ihre Einkommen maximieren zu wollen. Solange Aktienoptionen in der Vorstandsentlohnung in großem Umfang angeboten werden, werden die Vorstände auch bei exorbitanten Gewinnen weiterhin Personalabbaupläne ausarbeiten, weil sie damit ihr eigenes Einkommen maximieren. Das muss unterbunden werden. Einen entsprechenden Vorschlag werden wir machen. Sie können dann zu diesem Vorschlag Ja oder Nein sagen. (Beifall bei der LINKEN) Ich wollte noch einige Bemerkungen zu den Ausführungen der Bundeskanzlerin machen, die jetzt auch verschwunden ist. Ich frage für das Parlament, ob es überhaupt noch Sinn hat, zuzuhören, wenn diejenigen, die sich geäußert haben, gleich verschwinden oder in tiefe Unterhaltungen verstrickt sind. (Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Unverschämt!) Das ist auf jeden Fall keine Verfahrensweise, die dem Parlament zum Ansehen gereicht. (Beifall bei der LINKEN) Die Bundeskanzlerin hat ein paar Bemerkungen zu ihrer Politik gemacht. Entscheidend aber war der Vorhalt, den der Kollege Westerwelle gemacht hat, als er darauf verwiesen hat, dass sie vor einigen Monaten ein Konzept zur Steuerpolitik unterschrieben hat, das zwar nicht unser Konzept, aber immerhin ein Konzept war. Wenn jemand einige Monate später etwas ganz anderes vertritt, dann stellt sich die Frage, welche Konzeption der Betreffende überhaupt hat. Das gilt nicht nur für die Steuerpolitik, das gilt auch für die Gesundheitspolitik und eine ganze Reihe anderer Politikbereiche. Die Frage, wofür diese Regierung steht, kann nicht beantwortet werden, wenn die Chefin dieser Regierung nicht in der Lage ist, deutlich zu machen, für welche längerfristige Konzeption sie eigentlich steht. Das ist das Bedauerliche an dem Vorhalt, den Herr Westerwelle hier gemacht hat. (Beifall bei der LINKEN) Ich habe einige Fragen zur Außenpolitik gestellt, die alle nicht beantwortet worden sind. Es wäre erstens von Interesse, zu erfahren, was die Kanzlerin unter Terrorismus versteht. Das könnte die Deutschen ja interessieren. Offensichtlich ist sie nicht in der Lage, darauf eine Antwort zu geben. Es wäre zweitens von Interesse, zu erfahren, ob sie tatsächlich die Auseinandersetzungen im Vorderen Orient als Auseinandersetzungen über Freiheit und Demokratie versteht, oder ob sie erkennt, dass es hier um die militärische Sicherung der Rohstoffe geht. Es wäre von Interesse für die Deutschen, das zu erfahren. Die Frage, ob eine Regierung in Zukunft das Völkerrecht respektiert, kann doch nicht so abenteuerlich sein, dass man darauf keine Antwort weiß. (Beifall bei der LINKEN) Die Frage ist, welchem Zweck Debatten überhaupt noch dienen. Der Kollege Kuhn, der leider auch nicht mehr anwesend ist, hat eine Frage aufgeworfen, die auch relevant ist, nämlich auf welcher Grundlage man mit dem Iran verhandelt. (Steffen Kampeter (CDU/CSU): Wir warten nicht alle auf Oskar! Wo ist Gysi denn eigentlich? Hat sich Frau Pau hier schon gemeldet?) Wenn man mit dem Iran verhandelt, dann muss man doch eine klare Antwort auf eine Kernfrage der atomaren Rüstung haben: Meint man, eine gerechte Weltordnung könne aufgebaut werden, wenn die einen Atomwaffen für sich beanspruchen, während sie den anderen im gleichen Atemzug Atomwaffen verbieten? Diese Frage muss doch beantwortet werden. (Beifall bei der LINKEN) Eine Regierung muss doch irgendeinen gedanklichen Ansatz dazu vortragen können. Es ist erschütternd, zu sehen, wie heute das Prinzip der Beliebigkeit gilt. (Steffen Kampeter (CDU/CSU): Selbstgerechte Arroganz!) Man erzählt irgendetwas Gefälliges und glaubt, es werde irgendwie ankommen. Das ist mittlerweile Grundlage der Politik. Ich will zu zwei Punkten, die die Kanzlerin angesprochen hat, noch kurz etwas sagen: Sie hat die Rentenpolitik der Regierung mit der Aussage rechtfertigt, die demografische Entwicklung erfordere zwingend die Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Diese Aussage stößt zwar auf große Zustimmung, ist aber schlicht und einfach grundfalsch. Das Lebensalter darf nicht über die Rentengesetzgebung entscheiden. Entscheidend ist nun einmal die Produktivitätsentwicklung unserer Volkswirtschaft. Schon seit langem steigt die Lebenserwartung der Menschen. Trotzdem haben wir das Rentensystem aufgrund enormer Produktivitätssteigerungen in diesem Umfang bewahren können. Deshalb ist es schlicht falsch, zu behaupten, die demografische Entwicklung bestimme die Rentengesetzgebung. Entscheidend ist die Entwicklung der Produktivität unserer Volkswirtschaft. (Beifall bei der LINKEN) Leider wird von diesem zentralen Begriff überhaupt nicht geredet, wenn diese Frage hier angesprochen wird. Ich will noch etwas zur Familienpolitik sagen. Es war wieder sehr spannend, festzustellen, dass man darauf verweist, dass die Geburtenrate zurückgegangen ist. Ich sage hier für meine Fraktion: Die Geburtenrate eines Volkes ist das Urteil ebendieses Volkes über die Wirtschafts- und Sozialpolitik seiner Regierung. (Beifall bei der LINKEN) Diesen Zusammenhang muss man sehen. Wenn man ihn nicht sieht, dann kann man keine Familienpolitik machen, die zu anderen Geburtenraten führt. In diesem Zusammenhang sprach die Kanzlerin von der Verlässlichkeit und vom Kündigungsschutz. Sie meinte, beim Kündigungsschutz komme es darauf an, beim Abbau des Kündigungsschutzes verlässlich zu sein. Hier möchte ich noch einmal sagen: Wenn Menschen eine Familie gründen wollen - um diese Menschen geht es -, dann suchen sie eine ganz andere Form von Verlässlichkeit als die Scheinverlässlichkeit, von der die Kanzlerin hier gesprochen hat. Diese Menschen möchten verlässlich wissen, ob sie in ein paar Monaten noch Geld auf dem Konto haben. Solange Arbeitsmarktpolitik darin besteht, alles abzubauen, was den jungen Menschen diese Verlässlichkeit geben könnte, so lange werden keine Familien gegründet und so lange werden in Deutschland immer weniger Kinder zur Welt kommen. (Beifall bei der LINKEN - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Selbstgerechte Arroganz!)