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Wir wollen mehr direkte Demokratie!

Rede von Halina Wawzyniak,

Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Demokratie für alle heißt, dass jede und jeder, die oder der es will, ohne Existenzangst und mit der dafür notwendigen Zeit direkt mitentscheiden kann, wie sich die Gesellschaft entwickelt.

(Beifall bei der LINKEN)

Demokratie für alle heißt eben auch, Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide zu ermöglichen. Ihnen liegt seit März 2014 der Gesetzentwurf der Linken vor. Wir wollen die parlamentarische Demokratie ergänzen, nicht ersetzen. Es ist im Übrigen nicht der erste Gesetzentwurf von uns dazu.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Gesetzentwurf ist trotz einiger Neuerungen im Prinzip ein alter Hut, so wie auch die Argumente dafür und dagegen - das haben wir gerade wieder gemerkt. Wir könnten uns das alles sparen, wenn wir endlich direkte Demokratie einführen würden. Solange das nicht passiert, werden wir dieses Thema immer wieder auf die Tagesordnung setzen, bis auch der Letzte - in dem Fall die Union - begriffen hat, dass der Souverän, und zwar die hier lebenden Menschen, entscheiden können soll.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Mit dem Gesetzentwurf wollen wir denjenigen Menschen, die seit fünf Jahren hier leben und das 16. Lebensjahr vollendet haben, das Wahlrecht und damit auch die Möglichkeit geben, bei Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheiden mitzumachen. Wir lassen uns dabei von dem einfachen, aber durchaus bestechenden Gedanken leiten, dass diejenigen über die Entwicklung der Gesellschaft entscheiden sollen, die in ihr leben. Wer denn sonst, bitte schön?

Wir wollen - das hat der Kollege Mutlu schon ausgeführt -, dass eine Volksinitiative erfolgreich ist, wenn 100 000 Wahlberechtigte sie unterstützen. Wir wollen regeln, dass eine Volksinitiative unter anderem dann unzulässig ist, wenn sie die in den Artikeln 1 und 20 Grundgesetz niedergelegten Grundsätze berührt oder unmittelbar das Haushaltsgesetz betrifft. Ein Volksbegehren soll zustande kommen, wenn ihm innerhalb von neun Monaten mindestens 1 Million Wahlberechtigte zugestimmt haben; bei Verfassungsänderungen sollen es 2 Millionen Wahlberechtigte sein. Ein Volksentscheid ist demnach erfolgreich, wenn die Mehrheit der Abstimmenden zugestimmt hat, für eine Verfassungsänderung sind hier zwei Drittel der abgegebenen Stimmen erforderlich. Wir haben mit dem Gesetzentwurf erstmals auch ein Abstimmungsgesetz vorgelegt, das sowohl die Information der Stimmberechtigten als auch die Kostenerstattung und die Transparenz regelt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, wir haben es gehört: An der einen oder anderen Stelle finden Sie unseren Gesetzentwurf nicht ganz so überzeugend. Das ist heute nicht mehr zu ändern. Aber vielleicht schauen wir mal, ob wir bei nächstbester Gelegenheit die Möglichkeit haben, mehr direkte Demokratie einzuführen;

(Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Damit habe ich meine Rede abgeschlossen!)

denn im Grundsatz sind wir doch dafür.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wenn nach einer Umfrage 51 Prozent der über 50-Jährigen sagen, dass es eigentlich egal ist, wen man wählt, dann muss uns das erschrecken. Und die Haltung „Die da oben machen eh, was sie wollen!“ ist uns allen doch schon einmal begegnet.

(Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Nicht nur einmal!)

- Nicht nur einmal. Das ist richtig. - Deshalb sagen wir: Demokratie für alle ist das Angebot an alle hier lebenden Menschen, selbst Verantwortung für politische Entscheidungen zu übernehmen. Wir sagen ihnen: Ihr werdet ernst genommen, eure Entscheidungen haben Konsequenzen. Es sind eben nicht die Politiker oder „die da oben“, die für euch entscheiden, sondern ihr. Das ist der Sinn, das Wesen von Demokratie. Dafür sollten wir uns alle starkmachen.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Nehmen Sie Ihre Wähler nicht ernst?)

Mir geht es ähnlich wie dem Kollegen Castellucci: Die Gegenargumente, die hier vorgebracht worden sind, kann ich alle im Schlaf aufzählen, es sind nämlich immer dieselben.

(Dr. Tim Ostermann (CDU/CSU): Sie sind immer noch richtig!)

Sie haben diesmal im Übrigen die Weimarer Republik vergessen, aber das kommt bestimmt auch noch. Sie ist übrigens nicht an Volksentscheiden gescheitert.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Im Übrigen tun wir hier im Parlament am Ende auch nichts anderes, als mit Ja oder Nein zu stimmen. Ich wüsste nicht, was wir anders machen.

(Dr. Tim Ostermann (CDU/CSU): Das Gesetzgebungsverfahren, das dahintersteht?)

Ich will noch etwas zu dem Populismusargument sagen. Ich habe in den vergangenen sieben Jahren hier so viel Anfälligkeit für Populismus erlebt, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass die Bevölkerung anfälliger für Populismus ist als ein Teil der hier Sitzenden.

(Beifall bei der LINKEN - Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): In Ihrer Fraktion, oder wo?)

Mehr direkte Demokratie, das Prinzip von Volksentscheiden und Volksbegehren, kann eine große Bildungsveranstaltung sein. Die Erfahrungen zeigen: Anfang 2014 gab es 600 Bürgerbegehren bundesweit, von denen sich nur 20 sich gegen Flüchtlinge richteten - das sind 20 zu viel -; parlamentarische Initiativen gegen Geflüchtete gab es hingegen viel, viel mehr. Es gab bisher zum Glück überhaupt keinen Bürgerentscheid gegen Geflüchtete. Vor diesem Hintergrund: Hören Sie von der Union auf, zu erklären, die Bevölkerung sei anfällig für Populismus. Die Bevölkerung ist nicht anfälliger als wir hier.

Ich sage Ihnen: Lassen Sie uns die Initiative ergreifen! Lassen Sie uns mehr Demokratie für alle ermöglichen! Lassen Sie uns Volksbegehren, Volksentscheide und Volksinitiativen zulassen!

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)