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Wir wollen gleiche Rechte für alle Menschen!

Rede von Halina Wawzyniak,

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Demokratie für alle ist, wenn alle hier lebenden Menschen die gleichen Rechte haben. Wir als Linke haben neben den heute bereits debattierten Initiativen für mehr direkte Demokratie und ein umfassendes Informations- und Transparenzgesetz auch zwei Initiativen vorgelegt, die diesen Ansatz von Demokratie für alle zum Inhalt haben. Wir wollen, dass alle hier seit fünf Jahren lebenden Menschen auch das Wahlrecht erhalten. Ich habe es heute Morgen schon einmal gesagt: Wir lassen uns von dem einfachen, aber bestechenden Gedanken leiten, dass diejenigen über die Entwicklung der Gesellschaft mitentscheiden sollen, die in ihr leben. Wer denn sonst?

(Beifall bei der LINKEN)

Wir wissen, dass es eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1990 gibt, die „Volk“ im Sinne des Artikels 20 Absatz 2 Grundgesetz als „deutsches Volk“ definiert. Aber zum einen sind wir jetzt im Jahr 2016 - die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung hat sich glücklicherweise massiv verändert -, zum anderen ist das Urteil selbst nicht unwidersprochen geblieben, und schließlich hat sich nicht bewahrheitet, was das Bundesverfassungsgericht angenommen hat, nämlich dass sich die Durchsetzung des Freiheitsgedankens im Hinblick auf die Wahl durch Einbürgerungen realisieren lässt. Die Einbürgerungsquote ist deutlich geringer, als damals vom Bundesverfassungsgericht angenommen.

(Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber daran sollten wir was ändern!)

Schließlich lässt sich auch noch ein juristisches Argument anführen: Weder in Artikel 28 Absatz 1 noch in Artikel 38 oder gar in Artikel 20 Absatz 2 Grundgesetz ist vom „deutschen Volk“ die Rede.

Kurz und gut: Wir finden, es gibt ausreichend Gründe, endlich allen hier seit fünf Jahren lebenden Menschen das Wahlrecht zu geben.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir wollen aber, dass neben dem Wahlrecht auch die Grundrechte für alle hier lebenden Menschen gelten. Unseres Erachtens ist der Gesetzentwurf, mit dem die bislang Deutschen vorbehaltenen Grundrechte allen hier lebenden Menschen zugesprochen werden sollen, der erste Gesetzentwurf überhaupt, der hier zu diesem Thema behandelt wird. Es gibt aus unserer Sicht keinen Grund, die Grundrechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit, auf Freizügigkeit und auf Berufsfreiheit nur auf Deutsche zu beschränken. Demokratie für alle heißt eben auch Grundrechte für alle.

(Beifall bei der LINKEN)

Die benannten Grundrechte und Freiheiten sind Menschenrechte. Sie sind in der UN-Menschenrechtscharta und auch in der Europäischen Menschenrechtskonvention als Menschenrechte ausgestaltet.

(Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Aber kein Wahlrecht!)

Wir finden, dass das Grundgesetz nicht dahinter zurückbleiben sollte.

(Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Bleibt es ja nicht!)

Wir finden: Um dem Gleichheitsgebot und dem Diskriminierungsverbot des Grundgesetzes gerecht zu werden, sollten die benannten Grundrechte für alle hier lebenden Menschen gelten.

Wir haben in unserem Gesetzentwurf einen kleinen historischen Diskurs aufgemacht, um zu zeigen, dass es für die Einschränkung der benannten Grundrechte auf Deutsche durch den Parlamentarischen Rat - im Gegensatz zum ursprünglichen Herrenchiemseer Entwurf - keine sachlichen Argumente gibt.

Nachdem das Bundesverfassungsgericht mit der Entscheidung vom Juli 2011 klargestellt hat, dass der im Grundgesetz durch die Grundrechte gewährleistete Schutz wegen des Diskriminierungsverbotes aus Artikel 18 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union auch für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten der EU gilt, und zwar auch im Hinblick auf die sogenannten deutschen Grundrechte, sollte uns dies Anlass sein, diese künstliche Unterscheidung aufzuheben.

(Beifall bei der LINKEN)

Die auch in der juristischen Literatur - ich empfehle diesbezüglich ausdrücklich die Lektüre unseres Gesetzentwurfes - vorgebrachten Argumente für die Einschränkung der benannten Grundrechte und Freiheiten sind an vielen Stellen erschreckend fremdenfeindlich. Da wird von einer ethnisch-kulturell homogenen Gesellschaft ausgegangen. Wir finden, dass ein solcher Gesetzentwurf auch im Hinblick auf die Jedermanns-Grundrechte ein deutliches Signal gegen Ausgrenzung und Diskriminierung ist. Deswegen fordere ich Sie alle auf: Reden Sie mit uns gerne über die Details, aber lassen Sie uns ein Signal setzen für Demokratie für alle, gegen Rassismus und Ausgrenzung.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)