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Foto: Rico Prauss

Wir wollen Frieden mit den Mitteln des Friedens

Rede von Dietmar Bartsch,

Rede in der 129. Sitzung des Bundestages nach der Regierungserklärung durch den Bundesminister des Auswärtigen aus Anlass des 70jährigen Bestehens der Vereinten Nationen.

 

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Im Garten des UN-Hauptquartiers steht eine Skulptur. Sie alle kennen sie. Diese Skulptur - Schwerter zu Pflugscharen - verkörpert den Irrsinn, die Hoffnungen, die Gefahren und auch die Chancen eines ganzen Jahrhunderts.

Ich will daran erinnern, dass „Frieden“ vor 70 Jahren das erste Wort war, als die Vereinten Nationen gegründet worden sind, und ich will daran erinnern - der Bundesaußenminister hat das zum Schluss gemacht; ich will das an den Anfang stellen -, dass die Vereinten Nationen auf den Trümmern eines Weltbrandes entstanden, der von deutschem Boden ausging. Das heute zu begehende Jubiläum ist deshalb zuallererst ein Anlass des Gedenkens. Allein der Zweite Weltkrieg forderte vermutlich über 75 Millionen Tote, darunter 28 Millionen Bürgerinnen und Bürger der Völker der Sowjetunion und 6 Millionen Polinnen und Polen. Dem Vernichtungswahn deutscher Nazis fielen 6 Millionen jüdische Menschen, Zehntausende Sinti und Roma, Homosexuelle und viele mehr zum Opfer.

Als Folge dieser Katastrophe wurde die UN gegründet. Aus gutem oder schlechtem Grund zählte Deutschland nicht zu den Gründungsmitgliedern der UN. Und doch - darüber ist hier in den letzten Wochen häufig geredet worden - wurde Deutschland nicht aus der internationalen Gemeinschaft ausgeschlossen. Als die beiden deutschen Staaten 1973 in die Vereinten Nationen aufgenommen wurden, hat Walter Scheel für die Bundesrepublik Deutschland versichert:

"Sie werden uns immer dort finden, wo es um die internationale Zusammenarbeit geht, um die Bewahrung des Friedens und um die Rechte des Menschen."

Dem sollte Deutschland immer verpflichtet sein, war es aber nicht.

Ja, die UN haben vieles für Frieden und Menschenrechte und gegen Hunger und Elend geleistet; aber auch 70 Jahre nach der Gründung der UN sind die Nationen nicht vereint. Millionen Menschen haben auch nach 1945 in Kriegen ihr Leben oder ihre Heimat verloren, und jeden Tag, jede Stunde werden es mehr. 1,2 Milliarden Menschen leben in absoluter Armut, Hunderte Millionen hungern, 60 Millionen sind auf der Flucht. Auf der anderen Seite gibt es in dieser Welt einen asozialen Reichtum. Staaten zerbrechen und verlieren jegliche Handlungsfähigkeit. Dem muss begegnet werden.

Der Bundesaußenminister hat an die Mitglieder appelliert, man könne vieles besser machen. Ja! Ein Mitglied ist im Übrigen die Bundesrepublik Deutschland, und die Bundesrepublik Deutschland wird der Charta der Vereinten Nationen nicht gerecht, wenn sie die Ursachen dieser Entwicklung und dieser Ergebnisse, die ich eben genannt habe, ignoriert oder sogar vertieft, anstatt sie zu bekämpfen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das bedeutet zuallererst, dass wir keine Waffen und keine Soldaten mehr in alle Welt schicken. Dieser Auftrag muss an unser Land gehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir dürfen es auch keinen Tag länger zulassen, dass sich der Norden zulasten des Südens bereichert. Es ist doch unglaublich, einerseits die Rüstungsindustrie zu stärken, Rüstungsexporte vorzunehmen und etwa Nahrungsmittel nach Afrika zu exportieren, wodurch man die einheimische Landwirtschaft totkonkurriert, andererseits aber über das Flüchtlingsproblem zu fabulieren. Das ist unehrlich

(Beifall bei der LINKEN)

und auch ein Ergebnis der Politik der Länder des Westens - auch der der Vereinigten Staaten und der Deutschlands.

Wir als Deutschland sollten uns an dieser Politik, durch die Diktatoren zwar beseitigt werden, aber die keine Option für die Zeit danach kennt, nicht beteiligen. Wir sehen doch, was nach Saddam Hussein im Irak und nach Gaddafi in Libyen passiert ist. Mit Krieg und Gewalt kann man zwar Diktatoren beseitigen, aber weder Chaos noch Terror aus der Welt schaffen.

(Beifall bei der LINKEN)

Mit destabilisierten Staaten werden keine Vereinten Nationen machbar sein.

Sie haben sehr umfangreich über Syrien und auch über den Irak geredet. Dort spielt sich eine Tragödie ab. Da wird ein brutaler Krieg geführt. Das wäre eigentlich die Stunde der Vereinten Nationen, des Sicherheitsrates und insbesondere auch der Vetomächte. Es ist inakzeptabel, dass Russland dort in Syrien bombardiert, aber genauso inakzeptabel ist es, dass die Vereinigten Staaten und Frankreich immer nach Bedarf bombardieren. Das kann doch nicht wahr sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese Bomben werden keinen Frieden schaffen. Es ist ein totales Dilemma, wenn auf Syrien Bomben geworfen werden und nach Saudi-Arabien Bomber geliefert werden. Das ist doch inakzeptabel.

(Beifall bei der LINKEN)

Dass die UN dort etwas leisten können, haben wir bei der Vernichtung der syrischen Chemiewaffen mit Beteiligung von Russland und anderen gesehen.

(Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie haben dagegen gestimmt!)

- Nein, ich habe zugestimmt, Herr Koenigs. Das können Sie nachlesen, wirklich. Das ist gesichert.

(Jürgen Hardt (CDU/CSU), an den Abg. Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gewandt: Das gehört zu den 10 Prozent!)

Ich unterstütze sehr, dass Deutschland humanistische Projekte der UN demonstrativ stärken sollte. Ja, Sie haben hier einiges genannt. Aber ich will auf die Dimension aufmerksam machen. Es ist doch nicht hinnehmbar, dass die weltweiten Militärausgaben 1 500 Milliarden Euro pro Jahr erreichen und dem Welternährungsprogramm im Moment das Nötigste fehlt, um die Flüchtlinge zu versorgen. Das ist nicht hinnehmbar.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Es ist im Übrigen eine Sünde gegenüber künftigen Generationen, wenn für die Klimaforschung weltweit lediglich 3 Milliarden Dollar ausgegeben werden und ein einziger großer Energiekonzern im selben Zeitraum den zehnfachen Gewinn eingefahren hat. Das ist doch nicht akzeptabel, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Insofern wäre es gut, wenn Deutschland seine Beiträge noch mehr erhöht. Wir haben dort einiges getan. Aber das ist letztlich zu wenig. Die Mittel für das Welternährungsprogramm, das Flüchtlingshilfswerk und das UN-Entwicklungsprogramm sollten deutlich aufgestockt werden.

Ich will es in diesem Haus wiederholen: Seit Jahren reden wir über die Selbstverpflichtung, 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Entwicklungszusammenarbeit bereitzustellen. Unser Anteil liegt aktuell bei 0,43 Prozent. Da muss jetzt gehandelt, und da müssen jetzt Weichen gestellt werden, damit wir die Ursachen real bekämpfen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Schließlich sollte die deutsche Politik stets der Erfahrung Rechnung tragen, dass hinter geschlossenen Grenzen keine offenen Gesellschaften wachsen können, auch nicht innerhalb einer Festung Europa, meine Damen und Herren. Wer wüsste es nicht besser als wir Deutschen, dass Mauern die Probleme der Welt nicht stoppen und schon gar nicht lösen können!

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist doch wirklich absurd, dass im Jahre 2015 genau dort Mauern hochgezogen werden, wo der Eiserne Vorhang einst zuerst fiel. Und eine deutsche Regierungspartei hofiert den Architekten dieser Mauer. Das ist unglaublich.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich will auch deutlich sagen, dass die Bundeskanzlerin insoweit meinen Respekt hat, als sie sich dem Wettlauf um Abschottung und Unfreundlichkeit verweigert. Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Sie muss sich gegen diejenigen wehren und denjenigen Einhalt gebieten, die auf Drohungen, Erpressung und Boykott setzen. Das ist doch die reale Situation in den Regierungsparteien.

Wir fordern die Bundesregierung auf, eine Initiative für eine demokratische, soziale und friedenspolitische Reform der UN zu starten. Dazu haben wir in unserem Entschließungsantrag einiges dargelegt. Ja, mit einer Reform des UN-Sicherheitsrates, Herr Bundesaußenminister, sind wir einverstanden. Aber wir sollten auch dafür sein, dass Länder des Südens in den Sicherheitsrat aufgenommen werden und sie ein Vetorecht bekommen. Das würde vielleicht einiges verändern.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir sollten den UN-Wirtschafts- und Sozialrat in einen Weltwirtschaftsrat umwandeln und ihn so aufwerten, dass er Not und Elend wirklich wirksam bekämpfen und so die anstehenden Aufgaben angehen kann. Vor allen Dingen müssen wir die Vereinten Nationen real stärken und demokratisieren statt elitäre Zusammenschlüsse wie die G 7 unterstützen. Diese haben sich inzwischen so weit diskreditiert, dass sie nur noch in bayerischen Wäldern unter starker Bewachung tagen können.

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nichts gegen bayrische Wälder!)

Das ist doch die reale Situation.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich habe am Anfang von dem Irrsinn gesprochen, den die Skulptur Schwerter zu Pflugscharen verdeutlicht. Wie anders soll man es nennen angesichts der Tatsache, dass dieses von der Sowjetunion damals gestiftete Denkmal zum Symbol der gesamtdeutschen Friedensbewegung gegen sowjetische und amerikanische Raketen innerhalb der DDR wurde und von der DDR-Führung verteufelt worden ist?

Friedrich Schorlemmer ließ im September 1983 im Lutherhof zu Wittenberg ein Schwert zu Pflugscharen umschmieden. „Wir wollen Frieden mit den Mitteln des Friedens“, war sein Wort. Das, glaube ich, ist ein gutes Motto, auch für 70 Jahre Vereinte Nationen. - Ja, wir wollen Frieden mit den Mitteln des Friedens.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)