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Wir müssen zu einer neuen Ordnung am Arbeitsmarkt kommen.

Rede von Michael Schlecht,

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Gabriel,

es ist natürlich erfreulich gerade für jemanden, der nicht nur jahrelang Tarifpolitik betrieben hat, sondern in Gewerkschaftsschulen Tarifpolitik auch unterrichtet, dass sie hier jetzt geoutet haben, dass wichtige Dinge, die man Ihnen beigebracht hat, auch hängengeblieben sind.
Es ist erfreulich, dass Sie herausstellen, dass sich faire Tariferhöhungen mindestens an der Preissteigerungsrate, an dem Ausgleich der Inflation und natürlich auch an der Produktivitätssteigerung orientieren müssen. Es ist richtig und ich finde es gut, dass Sie auch das herausgestellt haben, dass es für Gewerkschafter immer angezeigt ist, bei den Tarifverhandlungen eine deutliche Umverteilungskomponente herauszuholen, also mehr als nur den Ausgleich der Preissteigerung und eine Anpassung an die Produktivitätssteigerung.

Gerade in diesen Zeiten ist das von außerordentlicher Bedeutung; denn durch die Politik der letzten zehn, zwölf Jahre, durch die Rahmenbedingungen, mit denen Gewerkschaften konfrontiert waren, ist den Gewerkschaften ein dramatisches Lohndumping aufgezwungen worden. Die Gewerkschaften konnten jahrelang das haben Sie selbst in Ihrer Rede eben angesprochen nicht einmal Lohnerhöhungen herausholen, die die Preissteigerungen und Produktivitätssteigerungen berücksichtigten. Vielmehr wurden sie gezwungen, sich auf niedrigere Lohnabschlüsse einzulassen. Das muss jetzt ausgeglichen werden. Dafür ist in der Tat Jahr für Jahr eine massive Umverteilungskomponente notwendig.

Grundsätzlich kann ich die Grundsätze, die Sie formulieren, loben. Aber machen Sie etwas, damit diese Grundsätze in der Realität auch umgesetzt werden können? Fehlanzeige! Als Gewerkschafter kann ich keine Tariferhöhungen durchsetzen, indem ich den Unternehmern am Verhandlungstisch erzähle: Hört mal zu, es gibt da jetzt einen Wirtschaftsminister, der dieses und jenes sagt. Das interessiert die im Regelfall nicht, sondern Unternehmer interessiert immer nur, was in Tarifauseinandersetzungen und auch in Streikauseinandersetzungen durchgesetzt werden kann.
Die in der Vergangenheit im Rahmen der Agenda von Ihnen durchgesetzte massive Deregulierung am Arbeitsmarkt führte zu Befristungen, Leiharbeit, Minijobs, Verunsicherung durch Hartz IV und Verängstigung der Beschäftigten. Das ist der Grund dafür, dass wir jetzt seit über zehn Jahren ein dramatisches Lohndumping in unserem Land zu verzeichnen haben. Das muss geändert werden.

Ändern Sie denn nun tatsächlich etwas an dieser verhängnisvollen Politik? Wieder Fehlanzeige! Es gibt keine Veränderungen bei Befristungen; denn mit befristet Beschäftigten, das sage ich aus Erfahrung, streikt es sich nicht besonders gut, weil sie natürlich Angst haben, dass ihr Vertrag nicht verlängert wird. Es streikt sich nicht besonders gut mit Leiharbeitskräften. Es streikt sich auch nicht besonders gut mit Minijobbern mittlerweile sind es 7 Millionen , die in atomisierten Arbeitsverhältnissen eingesetzt werden Diese kennen im Regelfall nicht einmal die Kollegen aus der Mittel- oder Spätschicht. Unter solchen Umständen ist es sehr schwierig, Widerstand in Form einer Streikbewegung zu organisieren.
Ein Wille zur Veränderung ist in Ihrer Politik nicht festzustellen. Es ist allerdings festzustellen, dass Sie im zurückliegenden Wahlkampf zu all diesen Punkten wunderbare Forderungen formuliert haben. Aber mit politischen Kräften wie uns, die mit Ihnen in diesem Bereich vorankommen wollten, wollten Sie in Form von Koalitionsverhandlungen nichts zu tun haben.

Die Lohnerhöhung, die Sie jetzt vorsehen, ist außerordentlich bescheiden. Sie gehen von einem Plus von 2,7 Prozent aus, schreiben aber selbst in Ihren Bericht hinein, dass die Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen um das Doppelte ansteigen sollen. Das heißt, dass davon auszugehen ist, dass die Umverteilung von unten nach oben sogar noch weiter zunimmt. Anscheinend finden Sie das gut. Das passt aber mit Ihren sonstigen Reden nicht zusammen. Insofern entpuppen sich Ihre sonstigen Reden als Sonntagsreden.

Sie haben von Lohnverfall gesprochen. Den gibt es in der Tat. Daher ist es dringend notwendig, dass von politischer Seite gegengewirkt wird, dass Befristungs- und Leiharbeitsregelungen zurückgenommen werden. Wir müssen zu einer neuen Ordnung am Arbeitsmarkt kommen. Nur dann haben Gewerkschaften bei Streiks und Auseinandersetzungen eine Chance, Lohnsteigerungen entsprechend der Preis- und Produktivitätssteigerungen sowie unter Umständen auch eine Umverteilungskomponente durchzusetzen. Die Politik muss aber die Rahmenbedingungen dafür schaffen.