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Wir brauchen richtig knackige Lohnerhöhungen

Rede von Michael Schlecht,

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im letzten Vierteljahr ist die wirtschaftliche Entwicklung bereits um 0,25 Prozent zurückgegangen; sie ist quasi eingebrochen. Wir liegen also bereits im Minus. Spätestens angesichts dessen stellt sich doch die hochbrisante Frage, ob eine Rezession droht. In solch einer Situation erleben wir hier einen Wirtschaftsminister, der sich schlicht in Realitätsverweigerung übt. Ich halte es schon für skandalös, wie hier operiert wird.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Rolf Hempelmann (SPD))
Was sagt der Wirtschaftsminister? Er sagt: Wir haben eine leichte Wachstumsdelle. Das wird am Rande zur Kenntnis genommen; dabei ist es, wie gesagt, schon mehr als eine Wachstumsdelle. Dann wird anhand irgendwelcher wunderlicher Gründe, die nicht näher belegt werden, behauptet, dass es ab nächsten Sommer wieder aufwärtsgehen wird. Das sind schlicht haltlose Fantastereien, mit denen wir hier konfrontiert werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir haben im letzten Jahr und auch in den Jahren zuvor erlebt, dass von deutscher Seite den anderen Ländern in der EU ein massives Kürzungs- und Strangulierungsprogramm aufgeherrscht worden ist. In den anderen Ländern wird die deutsche Kanzlerin mittlerweile fast schon als selbsternannte, selbstgekrönte Kaiserin über Europa empfunden. 600 Milliarden Euro beträgt die Summe, die in den nächsten zwei bis drei Jahren in Europa auf deutschen Druck eingespart wird. Hier läuft momentan ein atemberaubendes Strangulierungsprogramm. Das ist das Gegenteil von Konjunkturunterstützung.
Auch das und die damit verbundenen Risiken werden von dieser Regierung und von diesem Wirtschaftsminister überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. Wir wissen doch, dass 60 Prozent der deutschen Exporte in die EU gehen. Es ist vollkommen klar, dass dieses Strangulierungsprogramm auch auf Deutschland zurückschlägt, sodass wir auch hier in Deutschland in höchster Gefahr sind. Das muss man anerkennen, das muss man sehen, und darauf muss man Antworten geben.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Grundantwort darauf heißt: Eine Rezession in Deutschland kann sehr wohl verhindert werden. Sie ist nicht gottgegeben. Die Verhinderung einer Rezession in Deutschland setzt aber voraus, dass wir unverzüglich auf eine deutliche Stärkung der Binnenwirtschaft in Deutschland umsteuern müssen.
(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE))
Dazu gehören zum einen Zukunftsinvestitionsprogramme und Konjunkturprogramme. Wir müssen viel mehr Geld für dringend zu lösende Aufgaben ausgeben, für Infrastruktur, Bildung usw. Der zweite ganz wichtige Punkt ist aber: Wir brauchen richtig knackige Lohnerhöhungen, um es einmal so klar zu formulieren. Lohnerhöhungen sind die Parole der Stunde.
(Beifall bei der LINKEN - Rainer Brüderle (FDP): Gut so, Erich!)
Es muss endlich Schluss sein mit dem, was wir seit zehn Jahren erleben, nämlich ein atemberaubendes Lohndumping. Die Reallöhne sind in den letzten zehn Jahren um 4,5 Prozent gesunken. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass es in den letzten ein, zwei Jahren geringfügige Verbesserungen und Korrekturen gegeben hat. Dieses Lohndumping in Deutschland muss endlich beendet werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Es muss Schluss sein damit, dass auf der einen Seite die Gewinne in den Himmel fliegen und die Einkommen der Beschäftigten mit den niedrigsten Löhnen auf der anderen Seite noch um 20 Prozent gekürzt werden, sodass sie am Ende als Aufstocker Mittel aus der öffentlichen Tasche, Steuermittel beanspruchen müssen, um überhaupt überleben zu können.
Die erste große Tarifrunde in diesem Jahr ist die im öffentlichen Dienst. Aus manchen Bemerkungen hört man schon heraus, dass selbst beim Wirtschaftsminister das ganz rudimentäre Verständnis besteht, dass ein weiteres Ansteigen des privaten Konsums wichtig sei. Dazu brauchen wir deutliche Lohnerhöhungen. Wenn im öffentlichen Dienst die erste Tarifrunde stattfindet, haben Sie sehr wohl Handlungsmöglichkeiten. Sie könnten als Arbeitgeber auch auf Ihrer Seite mit dafür sorgen, dass schon in der ersten Tarifrunde der deutliche Nachholbedarf im öffentlichen Dienst ausgeglichen wird und dass es zu einer massiven Lohnerhöhung kommt.
(Beifall bei der LINKEN)
Über die Lohnentwicklung hinaus brauchen wir deutliche Verbesserungen in den Bereichen, die von den Gewerkschaften im Rahmen der Tarifpolitik schon gar nicht mehr reguliert werden können; schon 50 Prozent der Menschen in Deutschland arbeiten nicht mehr unter einem Tarifvertrag. Dazu gehört zuallererst die Einführung eines wirklichen Mindestlohns, der gesetzlich festgelegt wird. Dieser Mindestlohn muss 10 Euro betragen; denn nur diese Größenordnung bringt wirklich etwas.
(Beifall bei der LINKEN)
Wirtschaftsminister Rösler feiert in seinem Ausblick fröhlich angeblich Hunderttausende neuer Jobs in diesem Jahr. Sollte das eintreten, würde nur das fortgesetzt, was wir die ganzen Jahre ohnehin schon erlebt haben: Weiterhin werden massiv Vollzeitjobs zugunsten der deutlichen Ausweitung von massenhaften miesen und prekären Beschäftigungsverhältnissen abgebaut, in denen Menschen befristet, in Leiharbeit oder in anderen Formen wie zum Beispiel Minijobs arbeiten müssen. Diese Androhung formulieren Sie faktisch gegenüber diesem Lande. Das ist ein Skandal und kein Positivpunkt.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich komme zum Schluss. Man muss ganz klar festhalten: Die Ausweitung prekärer Beschäftigung hilft uns nicht weiter. Was wir vielmehr brauchen und was in der momentanen Situation angezeigt ist, um dieses Land vor einem Hineinschlittern in die Rezession zu bewahren, sind eine deutliche Umsteuerung auf die Binnenwirtschaft und deutliche Lohnerhöhungen in der kommenden Tarifrunde. Alle, die für dieses Land etwas tun wollen, müssen da massive Unterstützung leisten.
Danke schön.
(Beifall bei der LINKEN)