Nele Hirsch in der von der Fraktion DIE LINKE. initiierten Debatte zu Bildungspolitik und Föderalismus. DIE LINKE. ist durchaus der Ansicht, dass wir eine Föderalismusreform brauchen, jedoch nicht eine, die zulasten von Vätern und Müttern, Schülerinnen und Schülern, Studentinnen und Studenten und Lehrerinnen und Lehrern geht.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern während der Fragestunde haben wir schon einmal kurz über die geplante Föderalismusreform gesprochen. Wir haben dort die Frage gestellt, inwieweit bei der Beratung im Kabinett auf die geäußerten bildungspolitischen Bedenken eingegangen wurde. Dazu bekamen wir vom Staatsminister bei der Bundeskanzlerin Bernd Neumann die folgende Antwort: Wir haben nicht im Einzelnen Bedenken und Anregungen, die hier und dort aus den unterschiedlichsten Richtungen vorgetragen worden sind, erörtert, sondern wir haben einmütig vereinbart, ... alles dazu beizutragen, dass die inzwischen vorliegenden Texte ... eingebracht und verabschiedet werden. Vor ein paar Stunden haben wir über die Ticker die Nachricht erhalten, dass das heutige Spitzengespräch erfolgreich war und die Reform nun vor der Sommerpause unter Dach und Fach sein soll. Aus unserer Sicht ist die Art und Weise, in der bei dieser Föderalismusreform vorgegangen wird, nicht nur eine Missachtung des Parlaments, sondern es ist auch eine Missachtung der bildungspolitischen Fachöffentlichkeit, (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die sich fast geschlossen mit sehr vielen guten Gründen und im Übrigen quer über alle politischen Richtungen hinweg gegen die vorliegenden Vorschläge ausspricht. (Jörg Tauss (SPD): Dann lassen Sie sie doch diskutieren!) Ich möchte versuchen, zumindest einige der Bedenken deutlich zu machen. Im Prinzip besteht bei einigen grundlegenden Fragen in der Bildungspolitik Einigkeit quer über alle Fraktionen, beispielsweise darüber, dass wir endlich mehr Chancengleichheit im Bildungssystem realisieren müssen, dass die frühkindliche Bildung gestärkt werden muss, dass die Studierendenquote erhöht werden soll oder dass die Weiterbildung ausgebaut werden muss. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Die geplante Föderalismusreform steht allerdings in krassem Widerspruch zu all diesen Zielen. Auch hier möchte ich einige Beispiele nennen: Initiativen wie das Ganztagsschulprogramm wären zukünftig verboten. Jedes Land könnte beim Hochschulzugang und bei den Abschlüssen seine eigenen Regelungen verabschieden. Es gäbe keine bundesweit abgesicherten Arbeitsbedingungen für die im Bildungsbereich Beschäftigten mehr. Der dringend erforderliche Ausbau der Hochschulen wäre gefährdet. Aus unserer Sicht ist solch eine Föderalismusreform keine Grundlage für eine progressive Bildungspolitik. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Frage, weshalb trotzdem ein Interesse an dieser Reform bestehen könnte, lässt sich relativ leicht beantworten. Im Prinzip handelt es sich einfach um einen faulen Kompromiss im Machtgezerre zwischen Bund und Ländern, der zudem ziemlich durchsichtig ist. Die Länder verzichten auf Zustimmungspflicht im Bundesrat, im Gegenzug erhalten sie mehr Kompetenzen, etwa in der Bildungspolitik. Das Problem dabei ist aber, dass eine Diskussion über die Konsequenzen für die Bildung so weit es geht vermieden wird. Genau das wollen wir mit unserem Antrag ändern. Wir fordern darin, dass man den bildungspolitischen Bereich aus dem Föderalismuspaket vorerst ausklammert und neu darüber diskutiert. (Beifall bei der LINKEN) Wir wollen an dieser Stelle klarstellen: Wir sind durchaus der Ansicht, dass wir eine Föderalismusreform brauchen. Aber wir sind nicht der Ansicht, dass wir eine Föderalismusreform brauchen, die zulasten von Vätern und Müttern, Schülerinnen und Schülern, Studentinnen und Studenten und Lehrerinnen und Lehrern geht. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Kollegin Hirsch, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Tauss? Cornelia Hirsch (DIE LINKE): Ja, gerne. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte schön, Herr Tauss. Jörg Tauss (SPD): Liebe Frau Kollegin, ich nehme das, was Sie sagen, mit Interesse zur Kenntnis. In vielen Punkten haben wir noch nicht einmal unterschiedliche Auffassungen. Aber angesichts der Vehemenz, mit der Sie vortragen, möchte ich Sie fragen: Haben Sie in den beiden Ländern, in denen Sie mitregieren in Berlin und in Mecklenburg-Vorpommern , schon eine ähnlich feurige Rede gehalten, und ist zu konstatieren, dass die dortigen Landesregierungen aufgrund Ihrer Intervention aus der bisherigen Phalanx der 16 : 0-Ministerpräsidentenriege ausbrechen und ihre Auffassungen möglicherweise überdenken? (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP) Cornelia Hirsch (DIE LINKE): Herr Kollege Tauss, vielen Dank für Ihre Nachfrage. In meiner ersten Aussage habe ich darzustellen versucht, dass ich vor allen Dingen die Problematik der Missachtung parlamentarischer Vorgänge sehe. (Jörg Tauss (SPD): Aber warum? Wir fangen doch gerade erst an!) Ebenso habe ich kritisiert, dass heute das Gespräch zwischen den Regierungsspitzen stattgefunden hat. (Jörg Tauss (SPD): Aber es ist doch eine Regierungsvorlage!) Sie persönlich kritisiere ich in keiner Form, (Jörg Tauss (SPD): Das ist aber nett! Aber das wollte ich gar nicht hören!) Ich rufe lediglich die anwesenden Abgeordneten ganz grundsätzlich dazu auf, dieses Anliegen, das für uns sehr wichtig ist, abzulehnen, wenn es in das Parlament eingebracht werden sollte. (Beifall bei der LINKEN) Das ist kein Vorwurf an Sie, sondern nur ein Aufruf. Nochmals danke für Ihre Nachfrage, Herr Tauss. Da ich das Ende der mir zur Verfügung stehenden Redezeit schon erreicht habe, will ich abschließend klarstellen: Es geht uns nicht darum, jemandem widersprechen zu wollen, dass wir eine Föderalismusreform brauchen. (Jörg Tauss (SPD): Das ist ja mal etwas Vernünftiges!) Wir wollen deutlich machen, dass wir die vorliegenden Vorschläge ablehnen und dass das Parlament einer Grundgesetzänderung aus gutem Grund zustimmen muss und sie nicht einfach im Rahmen eines Koalitionsvertrags beschlossen werden kann. (Jörg Tauss (SPD): Ja!) Deshalb unser Appell: Wir alle sollten den vorliegenden faulen Kompromiss nicht mittragen. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Marcus Weinberg von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dateiende
„Wir alle sollten den vorliegenden faulen Kompromiss nicht mittragen“
Rede
von
Nele Hirsch,