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Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen

Rede von Richard Pitterle,

Nach dem Zusammentritt der griechischen Regierung unter dem neuen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras im Januar 2015 wurde der deutschen Öffentlichkeit ein neues Feindbild präsentiert: der griechische Reeder. Es sei jetzt höchste Zeit, dass Griechenland seine Reeder besteuert, tönte es aus den vorderen Reihen der Union. Denn wer die Reichsten der Reichen nicht besteuere, könne auch keine europäische
Solidarität einfordern.

Äußerungen, die so manchen deutschen Reeder ins Schwitzen gebracht haben dürften. Die Großzügigkeit gegenüber deutschen Reedern und der maritimen Wirtschaft hierzulande braucht den Vergleich mit Griechenland nicht scheuen. Zwar garantiert das Grundgesetz nicht deren Besteuerungsfreiheit. Mit Artikel 27 GG ist aber auch die deutsche Handelsflotte in der Verfassung fest verankert. 1995 adelte das Bundesverfassungsgericht die deutsche Handelsflotte als quasi unverzichtbar und erteilte dem Gesetzgeber aufgrund des kaum beeinflussbaren Wettbewerbs der Handelsschifffahrt in internationalen Gewässern eine Blankovollmacht bei der Rechtsetzung.

Bei Lobbyisten knallten die Sektkorken. Geht nicht, gab es nicht mehr. Schließlich haben die Reeder ein Druckmittel, von dem andere Branchen nur träumen: die „Ausflaggung“. Wenn deutsche Industriebetriebe mit Standortwechseln drohen, ist das oft nicht mehr als ein Säbelrasseln. So einfach ist es nicht, Produktionsstätten und Know-how aus dem Inland zu verlagern. Welches Recht jedoch auf einem Schiff gilt, das in den Meeren der Welt unterwegs ist, überlässt das Völkerrecht der Flagge, also dem Hoheitszeichen eines Staates. Allein die Flagge bestimmt somit die Geltung von Steuerrecht, Arbeitsrecht, Sozialversicherungsrecht. Wem das deutsche Recht zu kostenintensiv erscheint, der flaggt aus. Wem das deutsche Recht zu umweltfreundlich erscheint, der flaggt aus. Wem das deutsche Recht zu viele Arbeitsschutzvorgaben macht, der flaggt aus. Ein spröder Verwaltungsvorgang, der sich wie der Kauf von Schuhen online erledigen lässt. Und so kommt es, dass zwar deutsche Reeder mit 3 000 Schiffen derzeit die viertgrößte Handelsflotte weltweit stellen. Nach der Beflaggung landet Deutschland mit höchstens 500 Schiffen aber weit abgeschlagen auf dem 16. Platz. Die Sieger sind Panama und Liberia. Selbst Griechenland landet nur auf Platz 8 – hinter Malta mit gerade 400 000 Einwohnern.

Und während die Steuer- und Finanzpolitik weltweit gegen Steueroasen und Schattenfinanzzentren kämpft, ergibt sich die Wirtschafts- und Verkehrspolitik dem scheinbar unvermeidlichen Schicksal und der unverhohlenen Erpressung der Reeder. Unter Federführung des schwarz-gelb dominierten Verkehrsausschusses wurden 1999 unter Beifall der SPD die Tonnagebesteuerung und der Lohnsteuereinbehalt eingeführt. Bei der Tonnagebesteuerung wird der Gewinn anhand der Größe des Schiffes bestimmt. Das ist so, als würden Juweliere ihren Gewinn anhand der Umverpackungen von Brillantringen ermitteln. Allein dadurch sind in den Jahren 2003 bis 2014 Steuermindereinnahmen in Höhe
von 4 Milliarden Euro entstanden.

Beim Lohnsteuereinbehalt teilen sich Fiskus und Reeder die von ihren Arbeitnehmern gezahlten Steuern. 40 Prozent darf der Reeder derzeit in die eigene Tasche umleiten. Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf soll er 100 Prozent behalten dürfen. Eine Forderung, die von Bündnis 90/Grüne schon 1999 erhoben wurde. Der Staat erhält vom Besatzungsmitglied dann nicht nur keine Lohnsteuer mehr, er müsste sogar bei der Veranlagung lediglich auf dem Papier an ihn überzahlte Steuern erstatten. Zusätzlich gewährt der Staat jährlich großzügig Zuschüsse zu Lohnnebenkosten von circa 50 Millionen Euro. Und doch ist das nur die Spitze des Subventions- und Steuervergünstigungseisberges.

Ob das alles überhaupt etwas nützt, ist der Bundesregierung aber nicht bekannt. Untersuchungen zu Rückflüssen an Steuern und Sozialabgaben lägen ihr nicht vor. Trotzdem wurden die Vergünstigungen immer weiter ausgebaut. Inzwischen schadet selbst das vorübergehende Ausflaggen nicht mehr, um Steuervorteile in Anspruch zu nehmen.

Ich stehe hier vor Ihnen als Steuerpolitiker. Nur zufällig ist nicht der Verkehrs- oder Wirtschafts-, sondern der Finanzausschuss federführend. Und wie auch meine Kolleginnen und Kollegen im Finanzausschuss des Bundesrates lehne ich diesen Gesetzentwurf ab. Ich erkenne an, dass die maritime Wirtschaft ein wichtiger Wirtschaftsfaktor Deutschlands und in einer besonderen Wettbewerbssituation ist. Der Verzicht auf Steuern ist aber keine sinnvolle wirtschaftspolitische Maßnahme. Steuerliche Vorteile als Lenkungszweck verpuffen oft. Die Ausflaggung bleibt trotz Milliardensubventionen seit über einem Jahrzehnt unverändert hoch. Steuerliche Vorteile führen darüber hinaus schnell zu Fehlanreizen. Eine Lektion, die gerade Millionen Kleinanleger von Schiffsfonds mit mehr als 50 Milliarden Euro und oft dem Verlust der Altersvorsorge
schmerzlich bezahlen. Deutsche wie griechische Reeder braucht das nicht zu stören, solange es von Politikern, wie dem griechischen Schifffahrtsminister Dritsas, auf griechischer wie auch auf deutscher Seite im Gleichklang heißt: „Für uns ist es sehr wichtig, die Wettbewerbsfähigkeit der Schifffahrtsindustrie zu bewahren“. Um jeden Preis.