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Weltaidstag: Mehr Verantwortung übernehmen!

Rede von Monika Knoche,

Monika Knoche (DIE LINKE):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Herren und Damen!

Aids ist keine Schande. Aids ist auch keine Seuche. In Deutschland kann man das auf jeden Fall sagen. Ich möchte an dieser Stelle einer Frau danken, der wir im Zusammenhang mit einer aufgeklärten, sehr zivilisierten und kulturvollen Aidspolitik viel zu verdanken haben. Es ist Ihre Kollegin Frau Dr. Rita Süssmuth, die als Gesundheitsministerin sehr viel dazu beigetragen hat, dass wir dieses aufgeklärte Verständnis haben.

(Beifall im ganzen Hause)

Ich möchte Ihnen aber auch sagen, dass ich es in diesem Zusammenhang überhaupt nicht nachvollziehen kann, warum Sie in kleinkarierter Weise die Linke aus diesem Diskurs heraushalten wollen und uns nicht zur Erarbeitung des gemeinsamen Antrages eingeladen haben.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dass wir in Deutschland mit dieser Problematik sehr gut zurechtkommen, führe ich maßgeblich auf das starke zivilgesellschaftliche Engagement und insbesondere auf das Engagement der homosexuellen Gruppen zurück, die viel dazu beigetragen haben, dass wir einen sehr entwickelten Stand auch in der medizinischen Versorgung und Forschung haben. Auch unser Gesundheitswesen hat bislang viel dazu beigetragen, dass alle HIV-Infizierten und Aidserkrankten die volle Sachleistung erhalten, dass wir also ein sehr hohes Versorgungsniveau haben.

Obwohl dem so ist und wir wissen, dass einigen HIV-Infizierten und Aidskranken, die spritzdrogenabhängig sind, sehr gut geholfen werden könnte, wenn weiterhin Heroinsubstitution betrieben würde auch ein wichtiges Thema, das wir heute nicht außen vor lassen sollten,

(Zustimmung bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

bin ich der Auffassung, dass die Welt vor der Gefahr steht, den Kampf gegen Aids zu verlieren. In Europa ist das nicht so, genauso wenig in Nordamerika. In Lateinamerika sind viele wichtige Initiativen gestartet worden. Aber insbesondere in Afrika besteht die Gefahr, dass wir ich sage bewusst „wir“, weil wir alle dafür Verantwortung tragen den Kampf gegen Aids verlieren.

In diesen Tagen wird darüber gesprochen, dass sich der G-8-Gipfel des Themas HIV/Aids annimmt. Ich wünsche mir eher, dass in diesen Fragen die UN und insbesondere die UNAIDS gestärkt werden und mehr Verhandlungskompetenz bekommen und dass der Global Fund von deutscher Seite sehr stark finanziell gefeatured wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Das ist leider nicht der Fall. Wenn wir aber schon beim G-8-Gipfel sind, möchte ich sagen: Dorthin gehört auch die Frage, um die es im Hinblick auf Afrika zentral geht. Es geht um das TRIPS-Abkommen, um die Verweigerung des Zugangs zu Medikamenten. Noch immer unterliegen über 70 Prozent der HIV-Medikamente und Aidsmedikamente dem Patentschutz. Es ist den betroffenen Menschen und den Regierungen nahezu unmöglich, unter diesen Kautelen eine adäquate und vor allen Dingen kostengünstige Aidsbehandlung durchzuführen. Hier muss eine radikale Revision, ein Umdenken in der Patentschutzpolitik stattfinden. Sonst kann das Problem Aids nicht bewältigt werden.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Wodarg (SPD))

Natürlich muss auch der IWF genannt werden, wenn wir schon die Welt ins Auge fassen; denn vieles, was die betroffenen Staaten im Rahmen ihrer medizinischen Infrastruktur nicht leisten können, hat mit dem Staatszerfall und der Deregulierungspolitik zu tun. Ich habe insbesondere in einigen afrikanischen Ländern, die ich besucht habe - ich nenne nur Namibia als Beispiel, für das Deutschland eine besondere historische Verpflichtung hat - gesehen, dass die NGOs, die oftmals die Einzigen sind, die Maßnahmen ergreifen können, häufig ein Nebeneinander von Hilfsmaßnahmen pflegen und dass eine konzertierte staatliche Gesundheitspolitik und eine entsprechende Versorgungsinfrastruktur nicht möglich sind.

Auch in dieser Hinsicht sollten die Entwicklungspolitikerinnen und Entwicklungspolitiker stärker darauf achten, wie die NGOs im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit unterstützt werden können, damit der staatlichen Gesundheitsversorgung die Priorität zukommt, die sie haben sollte.

(Beifall bei der LINKEN)

Die vielen HIV/Aids-Waisen, dazu ist schon vieles gesagt worden, was ich nicht zu wiederholen brauche zeigen, dass im Gegensatz zu Europa und Nordamerika, wo die Krankheit im Wesentlichen homosexuelle Menschen und Spritzdrogenabhängige betrifft, in Afrika Aids hauptsächlich bei Heterosexuellen auftritt. Das hängt auch damit zusammen, dass die Stellung der Frau völlig anders ist als bei uns. Viele Sexualpraktiken, die zur Übertragung des Virus beitragen, sind in die Kultur integriert. Das darf bei der Aufklärung nicht tabuisiert werden. Die mitunter brutale männliche Sexualität im afrikanischen Raum muss zum Thema gemacht werden, damit Präventionsstrategien überhaupt greifen können. Wenn Frauen über sexuelle Praktiken nicht selbst entscheiden dürfen, dann ist es schlichtweg nicht möglich, dass sie sich schützen.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Detlef Parr (FDP))

Darauf muss bei der Aufklärung besonderer Wert gelegt werden. Sonst können Präventionsstrategien nicht erfolgreich sein. Auch wenn wir den schwangeren Frauen mit Medikamenten helfen können, die Übertragung des Virus während der Geburt zu vermeiden, so besteht immer noch das Problem, dass die Frauen nicht die Kraft und nicht die gesellschaftliche Stellung haben, ihren Schutz beim Sexualverkehr durchzusetzen. Die Gefahr der Reinfektion besteht nach wie vor, weil die Frauen keine sexuelle Autonomie haben. Diese Probleme sollten wir im Zusammenhang mit Afrika im Auge behalten.

Eine tragische und üble Entwicklung findet in Osteuropa statt, insbesondere im Baltikum und in der Ukraine. In Osteuropa gibt es einen regen männlichen Sextourismus, der insbesondere von spritzdrogenabhängigen jungen Frauen profitiert. Diese werden Sexarbeiterinnen und sind Opfer des organisierten Menschenhandels. In diesem Milieu breitet sich HIV massiv aus. Diesem Problem müssen wir Europäerinnen und Europäer uns stellen; denn das passiert nicht im fernen Russland oder hinter einem eisernen Vorhang, sondern direkt hinter unseren Grenzen. Die gewissenlosen Praktiken beim Sextourismus sind ursächlich für die Ausbreitung der Infektionen in heterosexuellen Kreisen verantwortlich. Frauen, die sich nicht wehren können, sind hier die Opfer.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Machen wir uns die Dramatik bewusst. Es werden immer mehr heterosexuelle Menschen mit dem HIV-Virus infiziert. In Deutschland sind es vorwiegend junge schwule Männer, die aufgrund der guten medizinischen Versorgung schon vergessen haben, dass es sich bei Aids um eine tödliche Erkrankung handelt. Wir haben noch einiges zu tun. Ich möchte Ihnen sagen: Lassen Sie die ideologischen Barrieren beiseite! Schließen Sie emanzipatorische linke Kräfte ein! Wir haben einen guten Draht auch zu jungen Menschen.

(Jens Spahn (CDU/CSU): Den haben wir auch! Hartmut Koschyk (CDU/CSU): So was Plattes!)

Es ist gut, wenn wir alle im Hause zusammenstehen. Lassen Sie uns das in Zukunft so handhaben.
Danke.