Rede von Kerstin Kassner, kommunalpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, in der ersten Lesung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen mit dem Titel "Eine Milliarde Euro Entlastung für Kommunen im Jahr 2014 umsetzen" (Drucksache 18/975) im Plenum des Deutschen Bundestags.
Kerstin Kassner (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Kollegen herzlichen Glückwunsch zu seiner ersten Rede! Die Botschaft, dass die Kommunen von der neuen Bundesregierung gut versorgt werden, höre ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.
(Alois Karl (CDU/CSU): Das ist ja Ihr Problem!)
Ich habe in meiner Funktion als Landrätin auf Rügen in zehn Jahren sehr wohl erlebt, dass da Anspruch und Wirklichkeit auseinanderdriften. Zuallererst Glückwunsch an die Kollegen von den Grünen, dass sie es geschafft haben, hier einen Antrag vorzulegen, zu dem wir uns äußern können, um die Situation hier klar und deutlich zu beschreiben und sie zu verändern.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Situation der Kommunen ist nach wie vor bedenklich, und wir haben die Pflicht, hier darüber zu reden.
Herr Rehberg, trotz Ihres heutigen Geburtstages: Es ist mir in meiner Zeit als Landrätin gelungen, ein Defizit von 8 Millionen Euro im Haushalt des Landkreises Rügen auf null zu reduzieren. Das muss erst einmal nachgemacht werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich habe mir einmal angesehen, wie die Situation in Mecklenburg-Vorpommern ist. Auch dafür trägt Herr Rehberg Mitverantwortung.
(Volker Kauder (CDU/CSU): Was? ‑ Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): Ich?)
In den letzten 20 Jahren gab es 12 defizitäre Jahre für die Landkreise, nur 8 waren positiv. Am Ende steht heute, mit Abschluss des Jahres 2013, für die Kommunen ein Defizit von 412,4 Millionen Euro. Es ist also fast eine halbe Milliarde Euro, die die Landkreise in Mecklenburg-Vorpommern quält. Das kann keine gute Bilanz sein.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Sozialausgaben, Herr Rehberg, sind von 1995, als alle Landkreise 618 Millionen Euro aufbringen mussten, auf im Jahre 2013 mittlerweile 1,302 Milliarden Euro gestiegen, haben sich also mehr als verdoppelt. Eine ganz kräftige Zäsur war dabei die Einführung des Hartz-IV-Gesetzes. In diesem Zusammenhang hat ein exorbitanter Anstieg stattgefunden.
Ich will es mit Zahlen aus meinem Haushalt auf Rügen untersetzen:
(Volker Kauder (CDU/CSU): Lassen Sie es lieber!)
Damals, bis zum Jahre 2004, hatten wir im Kreis Rügen 5 Millionen Euro für Sozialausgaben aufzubringen. Für die Kosten der Unterkunft hatten wir dann von einem Jahr zum nächsten 18 Millionen Euro aufzubringen. Ein Teil wurde vom Bund gegenfinanziert, aber am Ende mussten wir 15 Millionen Euro aus unserer Kasse aufbringen. Und wie es so ist: Der Kreis kann die Ausgaben nur über die Kreisumlage refinanzieren. Das heißt, dass wir allen Kommunen auf der Insel in die Tasche greifen mussten. Ich denke, das muss der Bund verhindern. Deshalb ist mein Appell an Sie als Verantwortliche in der Großen Koalition: Prüfen Sie jedes Ihrer Vorhaben auf seine Auswirkungen auf die Kommunen.
Dabei ist es nicht so einfach, eine mögliche Relevanz für die Kommunen darzustellen. Denn oft ist es so, dass sich ein Vorhaben im Durchschnitt zwar positiv auf die Kommunen auswirkt; aber dasselbe Vorhaben kann für die Gemeinden und die Landkreise, in denen die wirtschaftliche Konjunktur nach wie vor schwach ist, die sozialen Belastungen hoch sind, die Arbeitslosigkeit immer noch annähernd bei 20 Prozent liegt und sehr viele Menschen Leistungen im Rahmen der Grundsicherung im Alter - Gott sei Dank hat jetzt der Bund diese Kosten übernommen -, aber auch ergänzende Leistungen vom Sozialamt oder vom Jobcenter erhalten, eine richtig harte Zäsur bedeuten. Oft können sie sich ein Vorhaben nicht leisten und müssen die entsprechenden Aufwendungen über Kassenkredite finanzieren.
Ich will es ganz deutlich sagen: Wir haben in unserer Fraktion einen Kommunal-TÜV eingeführt; jedes Vorhaben, das wir auf den Weg bringen, wird auf seine Auswirkungen auf die Kommunen hin untersucht. Das erwarte ich, bitte schön, auch von der Großen Koalition. Also: Hände weg von den Kommunen!
Danke schön.
(Beifall bei der LINKEN)