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Wehrpflicht konsequent abschaffen - Freiwilligendienste existenzsichernd ausbauen

Rede von Steffen Bockhahn,

"Sie sind auch für den Zivildienst zuständig. Was haben Sie hier heute zum Zivildienst gesagt? In Zeitungen, im Fernsehen, in Gesprächen mit vielen Betroffenen höre ich, dass das ein großes Thema ist. Was sagen Sie zu dem Thema? Nichts! Was soll ein 18-jähriger Azubi, der nächstes Jahr fertig wird, heute denken? Worauf soll er sich einstellen? Er muss sich jetzt darüber im Klaren werden, ob er einen Arbeitsplatz für die Zeit nach dem Ende der Ausbildung suchen oder ob er sich um eine Zivildienststelle kümmern muss. Er weiß aber gar nicht, ob es den Zivildienst nach dem 30. Juni 2011 überhaupt noch geben wird."

Steffen Bockhahn (DIE LINKE):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

Ich habe im Sommer eine sehr schöne Veranstaltung bei mir zu Hause in Rostock besucht, nämlich die Feier anlässlich des 20. Jahrestages der Gründung des Frauennetzwerks „Die Beginen“. Frau Ministerin Schröder, Sie sind die Frauenministerin. Ich glaube, diesen Frauen haben Sie heute richtig Kraft gegeben. Was sagt die Frauenministerin zum Thema Frauen? - Nichts. Für Gleichstellungspolitik sind in diesem 6,4-Milliarden-Euro-Etat ganze 17 Millionen Euro vorhanden. 4,5 Millionen Euro davon sind für die Förderung von Jungen und Männern mit Programmen wie „MEHR Männer in Kitas“ und „Neue Wege für Jungs“ vorgesehen. Es bleiben also 12,5 Millionen Euro für Gleichstellungspolitik im Sinne von Frauenpolitik.
Machen wir einmal ein Gedankenexperiment. Stellen wir uns einmal eine Studentin vor, die in Wiesbaden studiert, vier Jahre Studium hinter sich hat, demnächst fertig ist und kurz davor ist, in das Berufsleben einzusteigen.

(Dorothee Bär (CDU/CSU): Dafür gibt es 12 Milliarden Euro vom Bundesministerium für Forschung!)

Diese Frau schaut sich an, wie die Situation für Frauen in Deutschland zurzeit aussieht. Sie sieht: Frauen bekommen durchschnittlich für die gleiche Arbeit, die Männer leisten, nur drei Viertel des Geldes bis heute. Was tut die Frauenministerin?

(Ingrid Fischbach (CDU/CSU): Eine ganze Menge!)

Nichts.

Der ehemalige sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf hat als Leiter der Zukunftskommission Anfang der 90er-Jahre festgestellt, dass die erhöhte Erwerbsneigung ostdeutscher Frauen eine der Ursachen für die großen Probleme am Arbeitsmarkt im Osten ist. Die Arbeitslosigkeit von Frauen ist dort deutlich höher als die von Männern. Die Inanspruchnahme von Sozialleistungen durch Frauen ist dort deutlich höher als die von Männern. Was tut die Ministerin dagegen?

(Zuruf von der SPD: Nichts!)

Nein, nicht nichts. Sie hat vielmehr eine Steuerungsgruppe zum Aktionsprogramm „Perspektive Wiedereinstieg“ eingerichtet. Dazu einen Stufenplan für mehr Frauen in Führungspositionen. Anfang des Jahres haben wir erfahren, dass die Telekom eine Selbstverpflichtung eingegangen ist, mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen. Was ist seitdem passiert? Nichts. Es gibt ein Ressortgespräch „Entgeltungleichheit“. Super! Was ist dabei herausgekommen? Nichts!

(Andreas Mattfeldt (CDU/CSU): Jetzt wird es langweilig, Steffen!)

- Es wird bei dieser Statistik leider langweilig; das ist völlig richtig, Kollege Mattfeldt. - Das Problem dabei ist, dass wir immer noch auf ein Gleichstellungskonzept der Bundesregierung warten müssen. Das Einzige, was sich im Bundeshaushalt tatsächlich zur Gleichstellung findet, ist die Aussage des Bundesministeriums der Finanzen, dass die Gleichstellungspolitik die Sache der einzelnen Ressorts sei. Und was macht die Ministerin, um ihren Auftrag als Frauenministerin insofern zu erfüllen?

(Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nichts!)

Nichts! Frau Ministerin, es tut mir leid, Ihnen Folgendes attestieren zu müssen: Sie lassen die Frauen alleine.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Frauen sind aber nicht die Einzigen, die von Ihnen alleingelassen werden. Sie sind auch für den Zivildienst zuständig. Was haben Sie hier heute zum Zivildienst gesagt? In Zeitungen, im Fernsehen, in Gesprächen mit vielen Betroffenen höre ich, dass das ein großes Thema ist. Was sagen Sie zu dem Thema? Nichts!
Was soll ein 18-jähriger Azubi, der nächstes Jahr fertig wird, heute denken? Worauf soll er sich einstellen? Er muss sich jetzt darüber im Klaren werden, ob er einen Arbeitsplatz für die Zeit nach dem Ende der Ausbildung suchen oder ob er sich um eine Zivildienststelle kümmern muss. Er weiß aber gar nicht, ob es den Zivildienst nach dem 30. Juni 2011 überhaupt noch geben wird.

(Georg Schirmbeck (CDU/CSU): Das ist das Geheimnis von Politik!)

Er weiß auch gar nicht, wo er sich heute noch um eine Zivildienststelle bewerben kann. Er weiß nicht, ob er einen Pflichtzivildienst machen muss oder ob er einen freiwilligen Zivildienst machen muss.

(Dr. Peter Tauber (CDU/CSU): Einen freiwilligen muss er nicht machen, den kann er machen! - Georg Schirmbeck (CDU/CSU): Er kann ja zum Militär gehen, das bleibt!)

Wie der freiwillige Zivildienst bezahlt wird und was für ein Dienstverhältnis er dann tatsächlich haben wird, weiß er heute ebenfalls noch nicht. Auch diesen jungen Mann, Frau Ministerin, lassen Sie allein.

Fragen wir uns einmal, was die Eltern eines behinderten Kindes denken müssen, das in der Kita von einem Zivi betreut wird! Fragen wir uns, was mit der 94-jährigen Oma ist, die vom Zivi das Essen auf Rädern bekommt und für die der Zivi der einzige Kontakt zur Außenwelt ist!

(Dorothee Bär (CDU/CSU): Darum kümmern wir uns!)

Auch sie weiß nicht, was in Zukunft passieren soll.
Was ist mit den Trägern der Zivildienststellen, die heute nicht wissen, ob sie wieder neue Stellen schaffen können? Was ist mit den Angestellten in den Einrichtungen, in denen Zivis arbeiten? Wer macht die Arbeit, die heute der Zivi macht, wenn er weg ist?
(Dr. Peter Tauber (CDU/CSU): Ist das ein Plädoyer für die Wehrpflicht oder wie?)

- Nur um richtig verstanden zu werden: Die Wehrpflicht muss weg. Sie darf nicht nur ausgesetzt, sondern muss abgeschafft werden.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Freiwilligendienste dürfen wir nicht gegeneinander ausspielen. Das gilt auch für einen möglichen freiwilligen Zivildienst und das Freiwillige Soziale Jahr. Wir brauchen stattdessen eine Ausweitung des Zivildienstes oder vielmehr der Freiwilligendienste auch auf 16- und 17-Jährige, damit eine berufliche Frühorientierung stattfinden kann. Wenn Sie wollen, dass junge Menschen nach dem Zivildienst oder dem Freiwilligendienst sich beispielsweise für einen Pflegeberuf entscheiden, dann müssen Sie auch an Haupt- und Realschülerinnen und -schüler denken. Diese brauchen spätestens mit 16 ein Angebot. Wir brauchen eine Kampagne für einen Freiwilligendienst. Wir brauchen eine gute Werbung. Wenn Bundeswehr-Jugendoffiziere in Schulen gehen können, dann können dort auch Menschen auftreten, die für Freiwilligendienste werben.

(Beifall bei der LINKEN)

Vor allem aber brauchen wir die Finanzierung gesellschaftlich notwendiger Arbeit - und das zu existenzsichernden und sozialversicherungspflichtigen Einkommen.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)