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Weg zur Beschäftigungssicherung muss breiter werden

Rede von Kornelia Möller,

Das Gesetz, das wir heute verabschieden, ist längst überfällig und es ist nötig. Die Anregungen des DGB, der eine Ausweitung auf weitere Branchen vorschlägt, zum Beispiel auf das Hotel- und Gaststättengewerbe in den Saisongebieten, die Verarbeitung von landwirtschaftlichen Produkten, den Erwerbsgartenbau sowie den Kabel- und Freileitungsbau, unterstützen wir ausdrücklich. Umso mehr bedauern wir, dass die Regierungskoalition kurzfristig mit einem Änderungsantrag die Hürden für die dringend notwendige Einbeziehung weiterer Branchen sehr hoch gelegt hat. Kornelia Möller in der Debattte des Gesetzes zur Förderung ganzjähriger Beschäftigung (Drs. 16/429)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alle Jahre wieder kommen im Winter zu den Millionen Menschen ohne Arbeit noch Hunderttausende hinzu und alle Jahre wieder bietet die Politik keine befriedigende Lösung dieses Problems an. Das soll sich nun ändern. Ja, das Gesetz, das wir heute verabschieden, ist längst überfällig und es ist nötig. Erinnern wir uns: Im Jahre 1995 wurde das Schlechtwettergeld von der Regierung Kohl ersatzlos gestrichen. Eine gut funktionierende Regelung fiel den Sparanstrengungen des damaligen Finanzministers Theo Waigel zum Opfer. Waigel befand, das Schlechtwettergeld sei zu teuer und belaste die Bundesanstalt für Arbeit über Gebühr. (Jörg Rohde [FDP]: Vor allem die Beitragszahler!) Das Ergebnis dieses kurzsichtigen sozialen Einschnitts war und ist ein erheblicher Anstieg der saisonalen Arbeitslosigkeit in den Bauberufen und ähnlich witterungsabhängigen Branchen - alle Jahre wieder. Ausbaden müssen dies die Bauarbeiter in Hamburg und Leipzig, in München und Schwerin. Aber unter dem Strich wurden nicht nur sie, sondern wurde auch die Bundesanstalt für Arbeit zusätzlich belastet. In diesem langen, harten Winter wirkt sich das besonders negativ aus und es erschwert die Lage der ohnehin bereits gebeutelten Beschäftigten der Bau- und Baunebengewerke sowie der Unternehmen dieses Zweiges zusätzlich. Das Fehlen einer Schlechtwettergeldregelung hat die Zahl der Arbeitslosen mit in die Höhe getrieben. Viele Menschen stehen auf der Straße; sie erwarten zu Recht auch von der Politik eine Regelung. Wir als Linksfraktion begrüßen, dass ein gelungenes, wenn sicherlich auch nicht ganz einfaches Gemeinschaftswerk zwischen der öffentlichen Hand, den zuständigen Gewerkschaften sowie den beteiligten Unternehmerverbänden zustande gekommen ist. (Beifall bei der LINKEN) Das ist ein zufrieden stellendes Ergebnis, vor allem für die Hauptbetroffenen: die Beschäftigten des Baugewerbes und ähnlicher witterungsabhängiger Branchen. Das ist doch schon mal was, im Gegensatz zu anderen Projekten, mit denen hoch geschraubte Versprechen abgegeben wurden, die dann aber entweder im Sande verliefen oder die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes in Armut führten und ihnen ihre Bürgerrechte aberkannten. So viel zum Stichwort Reformen. Ich danke denen, die diesen Gesetzentwurf vorbereitet haben. Dabei handelt es sich insbesondere um die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt, den Zentralverband des Deutschen Baugewerbes und den Hauptverband der Deutschen Bauindustrie. (Jörg Rohde [FDP]: Hat denn die Koalition damit gar nichts zu tun?) Sie schufen im Juli vergangenen Jahres mit ihrer tariflichen Vereinbarung zur Weiterentwicklung der Förderung der ganzjährigen Beschäftigung in der Bauindustrie die praktischen Voraussetzungen dafür, dass dieses Gesetz, wenn es dann beschlossen ist, erstmals im Winter 2006/2007 wirksam werden kann. Ganz wesentlich ist, dass mit dieser Regelung ein Weg beschritten wird, der sichert, dass sich beide Tarifpartner aktiv an der Beschäftigungssicherung in ihrer Branche beteiligen. Vom Gesetzgeber erwarten wir, nun unverzüglich zu prüfen, welche weiteren Branchen in den Geltungsbereich des vorliegenden Gesetzes einbezogen werden können. (Beifall bei der LINKEN) Das sind bei 5 Millionen Arbeitslosen kleine Schritte, aber immerhin weisen sie diesmal in die richtige Richtung. Die Anregungen des DGB, der eine Ausweitung auf weitere Branchen vorschlägt, zum Beispiel auf das Hotel- und Gaststättengewerbe in den Saisongebieten, die Verarbeitung von landwirtschaftlichen Produkten, den Erwerbsgartenbau sowie den Kabel- und Freileitungsbau, unterstützen wir ausdrücklich. Umso mehr bedauern wir, dass die Regierungskoalition kurzfristig mit einem Änderungsantrag die Hürden für die dringend notwendige Einbeziehung weiterer Branchen sehr hoch gelegt hat. Erst im Winter 2008/2009 soll es möglich sein - und dann ausschließlich auf Basis eines neuen Gesetzes und nicht, wie ursprünglich vorgesehen, im Rahmen einer Rechtsverordnung des BMA -, weitere Branchen einzubeziehen. Gestern erreichte mich eine Resolution - es ist nicht die einzige, aber ich führe sie exemplarisch an - von Betriebsräten und Beschäftigten der Ziegelindustrie, die um ihre Arbeitsplätze fürchten, sollte das Gesetz sie ausschließen. Sie schreiben ganz konkret: Das Gesetz zur Förderung ganzjähriger Beschäftigung könnte die Rettung für viele Familien sein, die sonst in das ALG II gingen. Auch sie weisen darauf hin, dass die Bundesagentur für Arbeit durch die Begrenzung auf wenige Branchen weit stärker finanziell belastet würde. Um auf Ihren Ausdruck zurückzukommen, Herr Brauksiepe: Eine Zwangsbeglückung würden sie gerne annehmen. (Beifall bei der LINKEN - Jörg Rohde [FDP]: Dazu gehören immer zwei Partner!) Ich muss mich schon fragen: Reden Sie denn nicht mit den Menschen vor Ort, kriegen Sie so etwas nicht mit, sprechen sie nicht mit den Leuten? Oder haben Sie keine Ahnung, haben Sie niemanden, der sich mit der Materie auskennt? Denn es ist doch so, dass man zunächst einmal nachdenken und nachfragen muss, ehe man ein Gesetz verabschiedet. (Beifall bei der LINKEN) Die Beschäftigten der Ziegelindustrie sind nicht die Einzigen, die vergessen werden. Es trifft auch Beschäftigte, die zwar saisonalen, aber keinen Witterungseinflüssen ausgesetzt sind, zum Beispiel Künstler, vor allem Schauspieler und künstlerische Produktionskräfte, die zwischen ihren Engagements immer wieder arbeitslos sind. Auch hier müssen dringend Lösungen gefunden werden. (Beifall bei der LINKEN) Ich möchte daran erinnern, dass 2003 im Zuge von Hartz III die so genannte Anwartschaftszeitverordnung nach § 123 SGB III von Rot-Grün ersatzlos gestrichen wurde. Alle Betroffenen, die nicht mehr als acht Beschäftigungsmonate pro Jahr erreichen, sind seitdem nicht mehr in der Lage, ihre Phase von witterungsbedingter und/oder saisonaler Arbeitslosigkeit mit dem Arbeitslosengeld I zu überbrücken, weil sie den dafür nötigen Anspruch nicht mehr aufbauen können. Um einmal eine Zahl zu nennen: Nach Berechnungen der IG BAU sind von dieser Regelung allein im Bauhauptgewerbe 400 000 Beschäftigte betroffen. Trotz der hohen Zahl der betroffenen Menschen sah es eine Weile so aus, als würden die Beschäftigten der Bauindustrie noch länger auf eine zufrieden stellende Schlechtwetterregelung warten müssen. Denn während der ersten Ausschussberatung zog Schwarz-Rot plötzlich die eingereichte Vorlage zurück. Anlass waren vermutlich Meinungsverschiedenheiten innerhalb des Regierungslagers (Zuruf von der LINKEN: Das war die Wirtschaftslobby!) - genau -, hervorgerufen durch den Widerstand der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Im Kern ging es dabei um den Vorwurf, die Beschäftigten der Bauindustrie könnten mit dem Saisonkurzarbeitergeld zu gut wegkommen. Ich empfehle den Verantwortlichen der BDA, sich nicht von einer neoliberalen Ideologie oder von Sozialneid leiten zu lassen, sondern sich stattdessen der Realität zu öffnen. (Beifall bei der LINKEN) Es ist also vor allem den weit fortgeschrittenen Tarifverhandlungen der Verbände der Baubranche und der IG BAU zu verdanken und damit dem gewerkschaftlichen Druck - das zu betonen, ist in dieser Zeit besonders wichtig -, dass der vorliegende Gesetzentwurf den Weg in die heutige Sitzung des Bundestages geschafft hat. Wir werden dem Gesetz zur Förderung ganzjähriger Beschäftigung zustimmen und wir werden uns dafür engagieren, dass auch die Beschäftigten ähnlicher, durch saisonale Schwankungen gefährdeter Bereiche von diesen Regelungen profitieren können. Lassen Sie mich abschließend noch eines sagen: Wir werden unseren Kampf gegen Hartz IV im Interesse aller Menschen, die von Erwerbslosigkeit bedroht oder betroffen sind, weiter führen. (Beifall bei der LINKEN) Ceterum censeo: Hartz IV ist ein schlechtes Gesetz. Hartz IV muss weg. Danke. (Beifall bei der LINKEN)