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„Weg von einem Bildungssystem, das ausgrenzt und selektiert - hin zu einem integrativen Bildungssystem“

Rede von Nele Hirsch,

Der Bildungsetat der Bundesregierung reicht nicht aus, um der sozialen Ungleichheit im Bildungssystem entgegen zu wirken. Dazu kommt, dass die Bundesregierung die falschen Schwerpunkte setzt. DIE LINKE. fordert, die öffentliche Verantwortung im Bildungssystem zu stärken. Ein Schritt in diese Richtung wäre die Verankerung der Gebührenfreiheit der Bildung im Grundgesetz. Nele Hirsch in der Haushaltsdebatte am 22. Juni 2006 zum Einzelplan 30 des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei all den genannten Zahlen darf aus unserer Sicht eine Sache nicht aus dem Blick geraten: In bildungspolitischen Studien und Untersuchungen wird regelmäßig nachgewiesen, dass Armut in diesem Land erblich ist und dass sie durch unser Bildungssystem zementiert und immer weiter verschärft wird. (Beifall bei der LINKEN) Der Haushaltsentwurf 2006 bietet für diese Herausforderungen wieder einmal keine Lösungen. Erstens bleiben die öffentlichen Ausgaben für die Bildung weiterhin viel zu niedrig und zweitens können wir, wie wir schon bei der Einbringung des Haushalts angemerkt haben, immer noch keine klare Schwerpunktsetzung bei der Unterstützung struktureller Reformen, die die Aufhebung der sozialen Ungleichheit zum Ziel haben, erkennen. Eben das ist der Grund für unseren Änderungsantrag „Zukunft Bildung“. Ich will Ihnen einige Beispiele nennen, was getan werden müsste und mit den von der Bundesregierung veranschlagten Bundesmitteln auch getan werden könnte, um die Chancengleichheit im Bildungssystem zu verbessern: Erster Punkt. Die frühkindliche Erziehung. In allen Fraktionen wird davon geredet, wie wichtig sie ist. Ein erster Ansatz, um sie auch qualitativ aufzuwerten, wäre eine grundlegende Reform der Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern. Hier könnte an erfolgreiche Modellprojekte an Fachhochschulen angeknüpft werden. (Beifall bei der LINKEN) Zweiter Punkt. Die Schule. Auch wenn die Union es immer noch nicht wahrhaben will, ist es mittlerweile mehr als offensichtlich, dass das gegliederte Schulsystem ausgrenzt und selektiert, anstatt zu fördern. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Kai Boris Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)) Wir brauchen Geld für eine strukturelle Fortentwicklung. Ein erster Ansatzpunkt könnte das von Rot-Grün gestartete Ganztagsschulprogramm sein. Dritter Punkt. Geschlechtergerechtigkeit. Erste geschlechtsspezifische Auswertungen zur Studienreform zeigen, dass Frauen deutlich häufiger als Männer die Hochschulen schon nach dem Bachelor verlassen. Hier müsste man gegensteuern, doch stattdessen werden die Mittel für das erfolgreiche Programm „Chancengleichheit für Frauen in Forschung und Lehre“ in diesem Jahr um rund ein Sechstel gekürzt. Vierter Punkt. Die Internationalisierung. Auf der Tagesordnung steht heute darauf ist schon hingewiesen worden gemeinsam mit dem Haushaltentwurf das Übereinkommen über die Anerkennung von Qualifikationen im Hochschulbereich in der europäischen Region. Die Ratifizierung dieses Übereinkommens ist auch aus unserer Sicht ausdrücklich zu begrüßen und längst überfällig. Wichtig ist aber, dass den Worten auch Taten und vor allem auch Euros folgen. Ansonsten ist zu befürchten, dass der Bundestag das Übereinkommen zwar ratifiziert, danach an den Hochschulen aber, weil die finanziellen Mittel fehlen, nur eine Umsetzung à la carte erfolgt. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und der Union, auf Grundlage unserer jetzigen Verfassung hätten Sie die Möglichkeit, solche Programme zu entwickeln, zu finanzieren und durchzuführen. Wir halten es für unverantwortlich, dass diese Möglichkeit auch in diesem Jahr wieder nicht genutzt wird. (Beifall bei der LINKEN) Noch fataler wäre es darauf müssen wir aufgrund der Aktualität hinweisen , wenn diese Möglichkeiten zukünftig sogar grundgesetzlich verboten wären. Denn genau das ist im jetzigen Entwurf zur Föderalismusreform vorgesehen. Wir möchten die Gelegenheit hier nutzen, um an die Vernunft aller Beteiligten zu appellieren, uns allen noch etwas mehr Zeit zur Beratung zu geben und die Weichen nicht vorschnell in eine falsche Richtung zu stellen. Für uns ist klar: Ein Mehr an Chancengleichheit im Bildungssystem setzt strukturelle Reformen voraus. Diese zu entwickeln und umzusetzen, ist eine gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern und muss es auch bleiben. Wir alle dürfen deshalb nicht zulassen, dass die bisherige Gemeinschaftsaufgabe „Bildungsplanung“ in eine reine Berichterstattungs- und Informationskompetenz umgewandelt wird und von Bund und Ländern keine gemeinsamen Schlussfolgerungen mehr gezogen werden dürfen. Wir dürfen auch nicht zulassen, dass der Bund den Ländern keine finanziellen Mittel mehr für die vorschulische und die schulische Bildung zur Verfügung stellen kann. Im Bereich der Hochschulen scheint es in dieser Frage erfreulicherweise an dieser Stelle ein ausdrücklicher Dank an die SPD Bewegung zu geben. Aber klar ist auch, dass das natürlich bei weitem nicht ausreicht. (Beifall bei der LINKEN Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nicht zu früh freuen!) Schon jetzt führen die Länder ihre leeren Kassen als Argument an, um die Verantwortung für die Bildungsfinanzierung mehr und mehr auf die Einzelnen zu übertragen. Die Folgen sind Einführung von Kindergartengebühren, Einschränkung der Lernmittelfreiheit, Anstieg des Bedarfs an privater Nachhilfe und vor allem auch die Einführung von Studiengebühren. Durch solche Maßnahmen wird sich die soziale Ungleichheit im Bildungssystem nur noch weiter verschärfen. Wir sagen stattdessen: Die Ausgaben für Bildung müssen steigen. Bund und Länder müssen in allen Bildungsphasen weiterhin gemeinsam die Möglichkeit zur Finanzierung haben. Wir sagen, dass die gemeinsame Bildungsplanung von Bund und Ländern nicht abgeschafft werden darf, sondern erhalten und deutlich ausgebaut werden muss. Ziel sind strukturelle Reformen: weg von einem Bildungssystem, das ausgrenzt und selektiert, hin zu einem integrativen Bildungssystem, das jedes einzelne Kind und jeden einzelnen Jugendlichen individuell fördert. (Beifall bei der LINKEN) Schließlich muss die öffentliche Verantwortung für das Bildungswesen gesichert werden. Ein Schritt in diese Richtung wäre, die Gebührenfreiheit im Bereich der Bildung im Grundgesetz zu verankern. Wir finden es erschreckend, dass Diskussionen über solche Forderungen nicht einmal mehr stattfinden. Die aktuellen Proteste der Studierenden in immer mehr Bundesländern gegen die Pläne, Studiengebühren einzuführen, weisen in eine andere Richtung. Aus diesem Grund haben diese Proteste unsere volle Unterstützung und Solidarität. (Jörg Tauss (SPD): Auch unsere! Das ist wahr!) Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) )