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»Weg mit Hartz IV - Für gute Arbeit und eine sanktionsfreie, bedarfsdeckende Mindestsicherung«

Rede von Klaus Ernst,

In Folge des Urteils des Bundesverfassungsgerichts, dass die Berechnung der Hartz IV Regelsätze für grundgesetzwidrig erklärt ist eine Diskussion um die Zukunft von Hartz IV entstanden. DIE LINKE hat ihren Antrag ”Weg mit Hartz IV - Für gute Arbeit und eine sanktionsfreie, bedarfsdeckende Mindestsicherung” vorgelegt. Klaus Ernst spricht am 25. Februar 2010 im Deutschen Bundestag zur ersten Lesung des Antrags.

Klaus Ernst (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Grundproblem der Hartz-Gesetze liegt darin, dass sie von Annahmen ausgehen, die nicht haltbar sind.

(Elke Ferner (SPD): Ja!)

Die erste Annahme der Hartz-Gesetze war und ist, dass die Menschen nicht arbeiten wollen. Dem entspricht auch die eine oder andere Einlassung des Außenministers, von dem man nicht mehr weiß, ob er Arbeits- und Sozialminister werden will. Ich sage Ihnen: Alle Praxis zeigt, dass sich die Menschen bemühen, oft über das erträgliche Maß hinaus, einen Job zu finden. Sie jetzt zu verunglimpfen, indem man sagt, sie wollten gar nicht arbeiten und man müsse sie zur Arbeit zwingen, das ist ein Skandal.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die zweite Grundannahme der Hartz-Gesetze ist, dass die Löhne zu hoch sind. Ein Ziel der Hartz-Gesetze besteht deshalb darin, die Löhne zu senken; das war und ist der Sinn von Hartz. Das ist Ihnen leider auch gelungen; schauen Sie sich die Lohnquote in diesem Land an. Herr Kolb, ob die Unternehmerschaft dies bewusst oder unbewusst macht, möchte ich außen vor lassen. Fakt ist, dass die Löhne in diesem Land, insbesondere die Niedriglöhne, gesunken sind, auch im Aufschwung. Das ist ein Skandal.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, alle Hartz-Parteien ‑ da möchte ich keine ausnehmen ‑ haben vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eine Ohrfeige gekriegt, die man bis nach Berlin gehört hat.

(Beifall bei der LINKEN)

Hinterher ‑ ich habe ja gedacht, mich tritt ein Pferd ‑ stellten sich Vertreter aller Parteien hin und sagten: Das Urteil ist klasse, wir begrüßen es. ‑ Ich frage mich: Ist das eine Form von kollektivem Masochismus?

(Heiterkeit bei der LINKEN)

In diesem Urteil wurde Ihnen bescheinigt, dass Sie ein verfassungswidriges Gesetz verabschiedet haben, und dabei geht es nicht um Randnotizen. Der eine oder andere, der sich jetzt aus der Verantwortung stehlen will, war übrigens im Vermittlungsausschuss dabei. Fakt ist, dass der Kern dieses Gesetzes, nämlich die Antwort auf die Frage: „Wie viel Geld gibt es?“, verfassungswidrig ist, nicht eine Randnotiz. Das müssen wir ändern.

(Beifall bei der LINKEN - Karl Schiewerling (CDU/CSU): Das ist nicht der Kern des Gesetzes!)

‑ Doch,

(Karl Schiewerling (CDU/CSU): Nein!)

der Kern des Gesetzes ist die Antwort auf die Frage: Wie viel Geld wird gezahlt? Wenn das Bundesverfassungsgericht feststellt, dass die Sätze falsch berechnet sind, dann haben wir den Punkt erreicht, dass das soziokulturelle Existenzminimum nicht gewährt wird.

(Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Das steht doch gar nicht im Gesetz!)

Wenn Sie das Urteil genau lesen, stellen Sie fest, dass Sie einige Dinge sofort zu ändern haben. Sie regieren nämlich gerade.

(Beifall bei der LINKEN - Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Haben Sie mal das Sozialgesetzbuch II gelesen? - Karl Schiewerling (CDU/CSU): Das Gesetz ist nicht verfassungswidrig, sondern nur ein Teil! -Volker Kauder (CDU/CSU): Gut, dass Sie wenigstens das wissen!)

Sie haben jetzt die Möglichkeit, tatsächlich Korrekturen vorzunehmen; dazu haben wir einen Antrag vorgelegt. Stattdessen höre ich aber etwas ganz anderes. Ich höre, dass der Außenminister dieses Landes dieses Urteil offensichtlich ignorieren will. Statt die Hausaufgaben zu machen, wird auf Arbeitslose und Niedriglöhner mehr oder weniger eingeprügelt, und sie werden gegeneinander aufgehetzt. Herr Westerwelle, vielleicht habe ich an dieser Stelle in der Schule nicht gut aufgepasst,

(Jörg van Essen (FDP): Ja! Das denke ich auch! - Pascal Kober (FDP): Sehr gut möglich!)

aber ich sage Ihnen: Im alten Rom waren es nicht die Sklaven, nicht die Unfreien und auch nicht die unteren Schichten der Gesellschaft, die in Dekadenz gelebt haben, sondern es war die politische und wirtschaftliche Führung.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich habe den Eindruck, heute ist es wieder so.

Herr Westerwelle, Leistungsverweigerer leben in Deutschland nicht von Hartz IV. Die Kontrolle des Kontostands und die Entscheidung, wie viel Geld ins Ausland transferiert wird, ist keine besondere Leistung.

(Elke Ferner (SPD): Richtig!)

Deshalb sage ich Ihnen: Die Leistungsverweigerer in diesem Land sind die Steuerhinterzieher und die Spekulanten

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

und nicht Leute, die im Hartz-Bezug sind.

(Elke Ferner (SPD): Wo er recht hat, hat er recht!)

Weil ich gehört habe, dass überlegt wird, ob man in Zukunft Gutscheine an Hartz-IV-Bezieher ausgibt, rate ich Ihnen, Herr Westerwelle, künftig die Boni von Bankern in Gutscheinen auszugeben.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN und der SPD)

Dann würde das Geld wenigstens wieder in den Wirtschaftskreislauf fließen und würde nicht verspekuliert werden.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, statt Hartz wollen wir eine wirklich repressionsfreie und bedarfsorientierte Grundsicherung.

Da momentan auch darüber diskutiert wird, ob „Hartz“ der richtige Name für diese Gesetze ist, sage ich Ihnen: Ja, selbstverständlich ist „Hartz“ der richtige Name. Hartz hat sich nicht an die Gesetze gehalten, und die Hartz-Gesetze sind grundgesetzwidrig. Das ist doch eine schöne Parallele, oder nicht?

(Beifall bei der LINKEN - Karl Schiewerling (CDU/CSU): Sie sind nicht grundgesetzwidrig!)

Meine Damen und Herren, die Menschen haben ein Problem, nämlich dass sie keinen Job finden. Dieses Problem nimmt angesichts der Krise noch zu. Leider höre ich von Ihnen keine Vorschläge, wie man das ändern kann. Wir wollen ‑ das ist der erste wichtige Punkt ‑, dass ein Zukunftsprogramm für Arbeitsplätze aufgelegt wird. Zweitens wollen wir, dass endlich ein Mindestlohn eingeführt wird.

In der Welt vom 12. Februar 2010 liest man von Herrn Westerwelle die Aussage, zunehmend seien die, die Arbeit haben, die „Deppen der Nation“, weil es sich auch ohne Arbeit gut leben lasse. Herr Westerwelle, Sie machen die Arbeitnehmer zu Deppen der Nation. Ihre Partei ist es nämlich, die den Arbeitnehmern den Mindestlohn verweigert. Das ist der eigentliche Skandal in dieser Gesellschaft.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir wollen, dass das Arbeitslosengeld I länger gezahlt wird. Wir wollen eine Mindestsicherung, das heißt 500 Euro Regelleistung plus Kosten der Unterkunft. Dann sind wir auch im Hinblick auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts auf der sicheren Seite. Und wir wollen, dass das Ganze sanktionsfrei abläuft.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich über alle, die sich von dem, was sie gemacht haben, distanzieren; ich freue mich, wenn sich die Einsicht weiter verbreitet. Sie haben heute die Möglichkeit, diesen Fehler ein Stück weit zu korrigieren. Wir brauchen eine Mindestsicherung, die verfassungskonform ist und die den Menschen die Angst vor der Arbeitslosigkeit nimmt. Ein Ziel der geltenden Gesetzgebung ist es nämlich, den Menschen so viel Angst vor Arbeitslosigkeit zu machen, dass sie Arbeit annehmen, egal wie diese bezahlt wird. Das müssen wir verhindern, alle miteinander.

(Anhaltender Beifall bei der LINKEN)